Die Geschichte klingt nach großem Krimi: Das Zeugenschutzprogramm hat einen Opernsänger ausgerechnet als Schäfer auf die Insel Föhr verschlagen, und weil Katharina Reiff ja nicht nein sagen kann, sieht sie sich schließlich mit einem veritablen Auftragskiller konfrontiert. Aber "Reiff für die Insel" ist gar keine Krimireihe; zumindest nicht in erster Linie. Der Charme der Filme besteht vor allem darin, die Heldin (Tanja Wedhorn) und ihre mehr oder minder skurrilen Mitstreiter mit Herausforderungen zu konfrontieren, die eigentlich eine Nummer zu groß für sie sind. Das kann - wie in "Katharina und der Schäfer" - eine Bedrohung von außen sein; aber auch die Liebe.
Der jährliche Inselball
Deshalb erfindet Autor Marcus Hertneck immer wieder neue Hindernisse, die sich zwischen der früheren Anwaltsgehilfin und ihrem Freund, dem ehemaligen Inselpolizisten Thies (Jan-Gregor Kremp), auftürmen. Diesmal ist es der jährliche Inselball: Beide warten darauf, dass der andere den ersten Schritt macht und die Einladung ausspricht. Wie Katharina und Thies jedes Mal um ihren heißen Beziehungsbrei schleichen, weil keiner über seinen Schatten springen will, macht einen großen Reiz der Reihe aus; und die Bilder (zum vierten Mal Christoph Chassée) ergeben auch diesmal wieder einen schönen ruhigen Handlungsfluss.
Außerdem verknüpft Hertneck die romantische Ebene äußerst geschickt mit der Krimihandlung. Katharina, von Tanja Wedhorn als Frau verkörpert, die jede(r) gern zur Freundin hätte, nimmt die Sache zunächst gar nicht ernst: Der Sturm, der über Föhr wütet, hat es zwar in sich, aber dass sich eine verängstige Schafherde auf den Minigolfplatz flüchtet, ist in der Tat eher komisch, zumal Oliver Schmitz die entsprechenden Szenen wie ein Geschenk für alle Fans von "Shaun, das Schaf" inszeniert. Katharina soll die Tiere einsammeln und befreit dabei auch den unter einem umgestürzten Baum begrabenen Schäfer (Antoine Monot, Jr.). Als sie entdeckt, dass der Baum angesägt wurde, rückt der Mann nach und nach mit der Wahrheit raus: Er heißt eigentlich Manuel Lombardo und soll gegen eine berüchtigte Hamburger Rockerbande aussagen. Später stellt sich noch raus, dass er das aus Liebe tut, weil er eine junge Frau aus den Fängen der Gang befreien will. Alsbald allerdings zeigt sich, dass sich Katharina mit ihrer Hilfsbereitschaft in große Gefahr begibt: Offenbar haben die Rocker ein Killerkommando auf die Insel geschickt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Es kommt zwar tatsächlich gelegentlich ein bisschen Thrillerspannung auf, wenn ein dunkler Transporter Katharina und den vermeintlichen Schäfer verfolgt oder die Inselbewohner den Killer in die Enge treiben, aber die Bezeichnung "Verfolgungsjagd" wäre angesichts der Harmlosigkeit dieser Szenen völlig übertrieben, zumal Buch und Regie dafür sorgen, dass sie sich in humorvollem Wohlgefallen auflösen; so nutzen Thies, sein Vater (Dietrich Hollinderbäumer) und Inselpolizist Fiete (Andreas Schmidt) beispielsweise die Belagerung des gedungenen Mörders für einen feuchtfröhlichem Umtrunk. Neben den schönen Dialogen, die dem Adjektiv wortkarg eine ganz neue Bedeutung verleihen, und dem wunderbar zusammengestellten Ensemble, zu dem unter anderem noch Birge Schade als bärbeißige Tierärztin oder Karin Hanczewski als Fietes Freundin gehören, sind es vor allem diese unerwarteten Wendungen, die "Reiff für die Insel" immer wieder sehenswert machen. Ein solcher Moment ist auch die Szene, in der Lombardo überraschend "Nessun Dorma" schmettert, um der skeptischen Katharina zu beweisen, das er wirklich Opernsänger ist. Als der Mann schließlich tatsächlich von der Kugel des Killers getroffen wird, zieht Schmitz alle Register und unterlegt die bewegenden Zeitlupenbilder mit Puccinis "Tosca"-Arie "E lucevan le stelle". Das ist in der Tat große Oper wie aus einem Mafia-Film – bis Schmitz das unvermeidliche Sentiment durch eine trockene Auflösung beendet.