Respekt vor dem ORF, der mit seinem "Tatort" immer wieder für eine Überraschung gut ist. Dank der Beweglichkeit von Moritz Eisner, der als Sonderermittler des österreichischen BKA im ganzen Land unterwegs ist, geht es in den Krimis erst um organisierte Kriminalität im großen Stil und dann wieder um vergleichsweise harmlose Provinzdelikte. Aber nicht nur die Geschichten variieren, auch der Stil wechselt: mal sind die Krimis knallhart, mal fast so komisch wie der "Tatort" aus Münster.
Ein neuzeitliches Projektil
Auch "Grenzfall" trägt mitunter fast parodistische Züge; bis die Handlung irgendwann dank ihrer Bezüge zu den späten Sechzigern gar nicht mehr komisch ist. Sie nimmt ihren Lauf, als in der Nähe einer niederösterreichischen Ausgrabungsstätte in unmittelbarer Nähe zur tschechischen Grenze ein Kanufahrer leblos aus seinem Boot kippt. Der auf raffinierte Weise ermordete Mann entpuppt sich als Mitglied des tschechischen Geheimdienstes. Später entdecken die Archäologen in den Überresten einer Steinzeitsiedlung zwischen den Knochen eines Hundes ein neuzeitliches Projektil. Als sich rausstellt, dass der Vater des Toten ebenfalls Agent war, ahnt Eisner (Harald Krassnitzer), dass die Lösung für den aktuellen Mord im Jahr 1968 liegt: Seit damals wartet ein Sohn darauf, dass sein Vater vom Fischen in der Thaya, dem Grenzfluss zur damaligen Tschechoslowakei, zurückkehrt; aber dieser alte Fall ist unter den Teppich der Geschichte gekehrt worden.
"Grenzfall" ist ein Film von Rupert Henning. Der Autor ist gemeinsam mit Wolfgang Murnberger und Uli Brée einer der kreativen Köpfe hinter der ORF-Serie "Vier Frauen und ein Todesfall" und war außerdem an den Murnberger-Komödien "Alles Schwindel" und "Schwarze Löwen" beteiligt. Seine Handschrift ist auch diesmal unverkennbar: Einige der Figuren sind fast parodistisch angelegt, allen voran die Leiterin der Ausgrabung (Andrea Clausen), die sich über die Ermittler lustig macht, weil Moritz Eisner und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) die Namen von Kinderbuchhelden tragen; prompt redet sie Eisner hartnäckig als "Emil" an.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Ein komödiantisches Kleinod ist auch Eisners Besuch beim forensischen Mediziner, der aus seiner Untersuchung des Toten aus der Thaya kurzerhand ein Seminar für seine Studenten macht. Krassnitzer wiederum legt seinen Sonderermittler diesmal konsequent als Grantler an, dessen lakonisches "Passt!" seine Version des Summa cum laude ist. Auch die Musik (Kyrre Kvam) sorgt dafür, dass der Film eine durchgehend komische Note hat. Dabei ist die zunächst recht gemütlich wirkende Handlung im Grunde ziemlich tragisch, zumal sie mit ihren Anleihen beim Kalten Krieg ein düsteres Kapitel der österreichischen Geschichte erzählt.
"Grenzfall" ist Hennings erste Regiearbeit. Auch deshalb gebührt dem ORF Respekt, schließlich ist der "Tatort" in Österreich ebenfalls ein Prestigeprojekt. Allerdings war das Risiko offenbar überschaubar: Der Film lässt handwerklich keine Wünsche offen, im Gegenteil. Die Inszenierung verzichtet auf Einstellungen, die aus dem Rahmen fallen, aber ein rasant geschnittener Schlagabtausch zwischen Eisner und seinem Chef, dem "Ernstl" (Hubert Kramar), beweist Hennings gutes Gespür für Tempo.