Gott weiß mehr als Facebook

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Gott weiß mehr als Facebook
Wer ein Profil auf Facebook hat, zeigt dort nicht alles über sich. Die Bilder und Posts sind immer eine Inszenierung der eigenen Person. Wie schaffen wir es, uns zu zeigen und dabei Privates zu verbergen? Die Theologin Christina Ernst hat sich mit Identität und Selbstdarstellung auf Facebook befasst.

Frau Ernst, auf Facebook sind viele inzwischen auch mit dem Chef befreundet. Was tun Menschen, um mit der Überschneidung von Beruflichem und Privatem umzugehen?

Christina Ernst: Das kommt auf die Branche an. Für mediennahe Berufe wie Journalisten sind beide Bereiche schwer trennbar. Im Bankbereich ist das etwas ganz anderes. Viele Unternehmen verbieten ihren Mitarbeitern inzwischen, Berufliches auf Facebook zu posten. Oder man hat selbst gemerkt, dass negative Konsequenzen entstehen, wenn der Chef einen Eintrag liest. Der Wunsch nach mehr Privatsphäre entsteht erst durch die eigene Bildungsgeschichte – und durch schlechte Erfahrungen.

Sie haben in Ihrer Dissertation untersucht, wie Menschen soziale Medien nutzen und sich trotzdem verbergen. Wie machen sie das?

Ernst: Auf Facebook bilden sich bestimmte Konventionen heraus. Auf den Profilfotos verbirgt man sein Gesicht, indem man die Hände davor hält oder das Bild unscharf stellt. Oder indem man statt seines Gesichtes etwas anderes zeigt. Zum Beispiel den Kleiderschrank. Der ist auch privat, aber schafft gleichzeitig Distanz, weil er das eigene Bild ersetzt. Dann gibt es eine große Bandbreite von Fotos, auf denen man sich bei der Selbstdarstellung zeigt. Etwa wenn man sich im Spiegel fotografiert. Das symbolisiert: Man ist zwar im Internet zu finden, aber es ist nur eine Inszenierung.

"Medien und vor allem Facebook bewirken, dass man ganz verschiedene Rollen auf einmal hat"

Was hat diese Inszenierung noch mit Identität zu tun?

Ernst: Ich denke, Selbstdarstellungen sind eine Facette von Identität. Menschen brauchen Möglichkeiten, um sich selbst zu entwerfen. Das können sie im Internet oder durch Kleidung, Schmuck, Gesten, Haltungen. Schon in der Porträtmalerei des 17. Jahrhunderts hat man sich ähnlich inszeniert wie heute auf Facebook. Damals verschickte man Miniaturen an Freunde, Familie oder auf Brautschau. Diese Portraits waren dazu gedacht, eine Beziehung aufzubauen und die Bildsprache ist durchaus ähnlich. Ein Mann ließ sich vor dem Hintergrund des Himmels malen und wollte damit zeigen, dass er weltoffen ist und mitten im Leben steht. Heute postet man ein Urlaubsbild.

Nicht nur ich poste Fotos von mir auf Facebook, andere tun es auch. Wie viel Kontrolle habe ich noch über mein Selbstbild?

Ernst: Je mehr Fotos es gibt, desto weniger wert ist das einzelne. Was die Kontrolle über das eigene Bild betrifft: Ich denke, das hängt vom Freundeskreis ab. Die Menschen bewegen sich in sehr unterschiedlichen Facebooks. Bei Jugendlichen ist man schon ein Looser, wenn man unter einem Bild weniger als 100 Likes hat. Menschen Ende 30 dagegen nutzen Facebook, um die neusten Fotos der Kinder zu verschicken. Ich habe das Gefühl, je nachdem was man für einen Freundeskreis hat, ist man sich auch einig, was geht und was nicht.

Auf Facebook steht allen Nutzern das gleiche Formular zur Verfügung um sich darzustellen. Hat das Auswirkungen darauf, wie man sein Leben oder sich selbst versteht?

Ernst: Was verloren geht, ist das Gefühl, eine Einheit zu sein. Früher hatte man vielleicht drei soziale Rollen: Im Beruf, beim Hobby und als Ehefrau. Das war relativ stabil. Medien und vor allem Facebook bewirken, dass man ganz verschiedene Rollen auf einmal hat. Wenn man aber jede Woche und in jedem Kontext anderes sein kann, sorgt das für Orientierungslosigkeit. Man weiß irgendwann nicht mehr, was einen eigentlich ausmacht oder was einem wirklich wichtig ist. Viele autoritäre Staaten versuchen, die Privatsphäre möglichst gering zu halten, weil sich die Menschen dann leichter manipulieren lassen. Durch die vielen Kontexte, die Medien schaffen, entsteht eine ganz ähnliche Situation.

Können Theologen dem etwas entgegensetzen?

Ernst: Im christlichen Weltbild geht man davon aus, dass der Mensch eine von Gott geschaffe Identität hat. Sie ist nicht darstellbar und weder ich selbst noch jemand anders kann sie komplett erfassen. Einzelne Selbstdarstellungen sind immer nur ein Teil von mir. Ich bin nicht festgelegt, aber zugleich wird alles umflossen von einer Gesamtidentität, die erst vor Gott zu ihrem Ende kommt. Das ist sehr entlastend und gibt mir eine große Freiheit, denn meine Identität ist unabhängig davon, wie gut ich mich ausdrücken kann oder wie mich andere bewerten.

Weiß Facebook nicht jetzt schon alles über mich?

Ernst: Gott hat mich geschaffen, das ist noch einmal etwas anderes. Facebook kann nur beschreibbare Dinge über mich wissen: Was ich mag, wo ich mich aufhalte. Es kann aber nicht wissen, wie ich mich selbst als Person sehe. Allerdings wird schon jetzt meine Handlungsfreiheit angegriffen, wenn Unternehmen versuchen vorherzusagen, wie ich mich verhalten werde. Es ist bestürzend, dass sich nicht viel mehr Menschen darüber aufregen.

 

Mehr von Christina Ernst und mehr zum Thema Kirche und Internet in: "Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft" , Lesebuch zur Tagung der EKD-Synode in Dresden, 2. korrigierte Auflage, erhältlich im chrismonshop.