Unerklärlich lang war die Nachkriegszeit kein Filmstoff; historische Mehrteiler befassten sich vor allem mit dem "Dritten Reich" und den Kriegsjahren. Gerade in den letzten Monaten aber haben sich ARD und ZDF des Themas mit Produktionen wie "Landauer – Der Präsident", "Das Zeugenhaus" oder zuletzt "Tannbach – Schicksal eines Dorfes" derart vorbildlich angenommen, dass von Nachholbedarf keine Rede mehr sein kann. Das macht filmische Erinnerungen an jene Jahre nicht weniger wichtig, schließlich wurden damals die Weichen für das politische Schicksal des Landes gestellt.
Die Macher von "Himmelsleiter", einem Zweiteiler der ARD-Tochter Degeto, standen allerdings vor einer ganz besonderen Herausforderung. Peter Zingler hat in seinem Drehbuch die eigenen Kindheitserinnerungen verarbeitet, und diese Kindheit hat er in Köln verbracht. Die Handlung setzt 1947 ein, und da war die Stadt immer noch praktisch komplett zerstört. Natürlich stammen die Panoramabilder mit dem kaputten Dom und den halb im Rhein versunkenen Brücken aus dem Computer, aber für die Spielszenen wurde eine echte Umgebung benötigt; die ausgesprochen glaubwürdig wirkenden Ruinen wurden in einer ehemaligen Prager Zuckerfabrik errichtet.
Kampf ums Überleben
"Die Himmelsleiter" erzählt die Geschichte zweier Familien, die auf unselige Weise miteinander verbunden sind: Der nach dem Krieg umgehend wieder auf die Füße gekommene Altnazi Zettler (Axel Prahl) hat einst dafür gesorgt, dass Adam, der jüdische Mann von Anna Roth, deportiert wurde. Anna (Christiane Paul) würde ihm das gern heimzahlen, aber dank seiner Verbindungen ist Zettler, eine Art Pate seines Viertels, praktisch unantastbar. Später kehrt Adam (Ernst Stötzner) zurück. Wie durch ein Wunder hat er sowohl das KZ der Nazis wie auch das Arbeitslager der Russen überlebt, aber selbst seine Aussage kann Zettler nicht hinter Gitter bringen, weil es keine Beweise gibt.
Zinglers personelles Kaleidoskop ist allerdings derart umfassend, dass sogar 180 Minuten kaum genügen. Sein von Christian Schnalke überarbeitetes Drehbuch steckt voller kleiner Geschichten, die alle zusammen das Sittengemälde einer Zeit entwerfen sollen, in der jeder ums Überleben kämpfte; mit Ausnahme von Männern wie Zettler, den Axel Prahl hingebungsvoll als mal jovialen, mal jähzornigen feisten Despoten verkörpert. Mitunter aber hat "Himmelsleiter" fast zu viele Facetten zu bieten, was den Film des öfteren episodisch wirken lässt, weil die diversen Erzählstränge nicht immer harmonisch miteinander verknüpft sind.
Trotzdem ist der Zweiteiler schon allein wegen der vielen Handlungsmotive faszinierend. Zettlers älterer Sohn, ein ehemaliger SS-Mann, scheut selbst vor Schüssen auf seinen Bruder nicht zurück und trägt auch die Schuld am Tod von Annas Sohn Michel, aber ansonsten geht es meist um Liebe, was regelmäßig zu melodramatischen Momenten führt: Anna verliert ihr Herz just dann an einen hilfsbereiten Bauern (Henning Baum), als Adam wieder auftaucht (das gab es schon in "Die Frau des Heimkehrers"), ihre Tochter Eva liebt Zettlers wohlgeratenen Sohn, ihre Tochter Sophie ist zwar verheiratet, verguckt sich aber in einen belgischen Leutnant (Nikola Kinski).
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das ist alles recht gefällig, doch von den durch Regisseur Carlo Rola ohnehin nicht immer gut geführten Nebendarstellern hinterlässt allein Sarah Horváth als Sophie einen bleibenden Eindruck, und das keineswegs allein wegen ihrer markant-attraktiven Gesichtszüge. Einige der besten Momente hat der kleine Luis Vorbach. Er spielt Paul, Sophies unehelichen Sohn, und ist das Alter Ego von Peter Zingler; Pauls haarsträubende Erlebnisse sind autobiografisch.
Für Menschen mit einer gewissen Affinität zum Rheinland ist "Himmelsleiter" trotzdem kaum auszuhalten: weil die Schauspieler samt und sonders ein furchtbares Dialektimitat von sich geben. Das gilt ausgerechnet vor allem für die beiden Hauptdarsteller, den Holsteiner Prahl und die Berlinerin Paul. Der Titel bezieht sich übrigens auf die Eifelregion Hürtgenwald, in der in den letzten Kriegsmonaten eine furchtbare Schlacht tobte. Noch viele Jahre nach dem Krieg war das Gelände vermint. Ein Fehltritt genügte, um umgehend in den Himmel zu kommen. Für Schmuggler war dies zwar in der Tat der kürzeste Weg Richtung Grenze, aber der Film tut so, als liege Belgien quasi gleich hinter Köln.