Selten im Jahr sieht der Altar so einladend aus wie am ersten Sonntag im Oktober, wenn in vielen Gemeinden das Erntedank-Fest gefeiert wird. Wäre er nicht aus Stein oder massivem Holz gefertigt, er würde sich wohl biegen unter der Menge der Gaben. Obst und Gemüse in leuchtenden Farben türmt sich auf, Getreide, Brot und Wein sind auch dazwischen. Wer es beim alltäglichen Supermarktgang nicht mehr bewusst wahrnimmt, bekommt es hier ganz deutlich vor Augen geführt: Wir leben in einem reichen Land, an Nahrungsmitteln ist kein Mangel.
Gedeihen bleibt in der Natur verwurzelt
Das Erntedank-Fest hebt diese Fülle aus eben dieser alltäglichen Selbstverständlichkeit und nimmt sie zum Anlass zu feiern und zu danken. Auch wenn heute mit High-Tech-Maschinen, chemischer Düngung und nahezu vollautomatisierten Ställen Landwirtschaft mehr und mehr zu einer Management-Aufgabe wird, letztlich bleibt das Gedeihen und Reifen der Früchte und Tiere buchstäblich in der Natur verwurzelt. In einer Natur, die Christen als Gottes gute Schöpfung wahrnehmen. Die sie bebauen und bewahren können, aber niemals ganz in der Hand haben. Auch heute noch kann ein kalter Sommer, zu viel Regen, Hagel und Unwetter für Einbrüche bei der Ernte sorgen. Nur weil Obst und Gemüse mitunter um den halben Globus reist, ehe es bei uns auf dem Tisch landet, werden diese Verluste meist nur an den Preisschwankungen der Produkte spürbar.
Für manche Menschen freilich sind das sehr deutliche Schwankungen. Wer genau aufs Geld schauen muss und nicht aus dem Vollen schöpfen kann, der bekommt auch den Mangel deutlicher zu spüren. Auch daran erinnert das Erntedank-Fest: Satt ist nicht selbstverständlich, auch nicht im reichen Deutschland. Die üppigen Gaben, die Gemeindemitglieder für den Erntedank-Altar zusammengetragen haben, werden deshalb in vielen Gemeinden am Bedürftige verteilt.
Zusage von Gotten Segen seit der Sintflut
Seinen besonderen Stellenwert hat das Erntedankfest natürlich aus Zeiten und Kulturen, die die Auswirkungen einer guten oder schlechten Ernte unmittelbar erfahren haben. Wenn im Herbst keine ausreichenden Vorräte eingelagert werden konnten, stand ein harter Winter bevor: Entbehrungen, Hunger, Krankheiten oder gar Todesfälle waren die Folge. Seit dem 3. Jahrhundert feiern Christen deshalb, wenn durch die Früchte des Bodens das Auskommen der Gemeinschaft gesichert ist.
###mehr-artikel### Traditionell ist der Termin für das Fest nicht verbindlich festgeschrieben, schließlich endet die Ernte-Saison in den verschiedenen Regionen und Kulturen unterschiedlich. Die meisten Gemeinden in Deutschland aber haben sich auf den Sonntag nach Michaelis-Tag (29. September) geeinigt. Oft wird ein Familiengottesdienst gestaltet, an dem die Kinder gerne mitwirken. Sie lernen dabei etwas über den bewussten Umgang mit Nahrung, den Genuss und den Segen eines gedeckten Tisches.
Diesen Segen hat Gott den Überlebenden der Sintflut, Noah mit seiner Familie, den Tieren der Arche und all ihren nachkommen zugesagt: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. (1. Mose 8,22) Das bleibt seither eine Gewissheit im Glauben, aber keine Selbstverständlichkeit.
Dieser Text erschien erstmals am 12. September 2012 auf evangelisch.de.