Mit Gott groß werden
In Hamburg wurde vor einigen Jahren für die evangelischen Kitas der Stadt das Motto ausgegeben: "Mit Gott groß werden". Dieser Slogan macht deutlich, worum es den kirchlichen Trägern vor allem geht: In einer evangelischen Kita ist von Gott die Rede. Gott begleitet die Entwicklung der Kinder. Das ist zunächst ein Bekenntnis, denn es sagt: Wir stehen dafür ein, dass in unserer Kita Gott zum Thema gemacht wird. Es ist außerdem ein Versprechen, das nicht immer leicht einzulösen ist. Seit die deutschen Kindertagesstätten als Orte für frühkindliche Bildung entdeckt wurden, könnte man dieses Versprechen so verstehen, als ob "Religion" neben dem Erwerb erster mathematischer und fremdsprachlicher Grundkenntnisse auf dem "Lehrplan" evangelischer Kitas steht, nach dem Motto: Montags Sprachförderung, dienstags Religionspädagogik. Einige kirchliche Einrichtungen haben ihre Aufgabe tatsächlich ähnlich verstanden und das Thema Religion den Pfarrerinnen und Pfarrern der eigenen Gemeinde überlassen: Die kommen in die Kita und machen das dann. Doch in den meisten Fällen haben evangelische Kitas das Versprechen, dass Kinder bei ihnen "mit Gott groß werden" können viel grundsätzlicher umgesetzt.
Die Grundlage: Das "biblisch-christliche Menschenbild"
Die meisten evangelischen Kindertagesstätten in Deutschland führen in ihren Leitbildern den Begriff vom "biblisch-christlichen Menschenbild" an: Nach diesem Bild schauen wir auf Ihr Kind. Dahinter steht eine Sichtweise auf den Menschen, die sich in folgenden Aussagen beschreiben lässt:
- Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes.
Diese Aussage wird biblisch immer wieder betont. Schon in der Schöpfungsgeschichte wird deutlich: Der Mensch ist von Gott gewollt. Er selbst legt Hand an, macht ihn. Es heißt auch, dass der Mensch selbst eben nicht der Schöpfer ist, nicht allmächtig, nicht unsterblich, sondern er ist vergänglich, verletzlich. (Vergleich dazu: Psalm 90,1-6) - Der Mensch ist das Ebenbild Gottes.
Damit ist gemeint, dass der Mensch eine einzigartige Beziehung zu seinem Schöpfer hat, weil er ihm sozusagen "aus dem Gesicht geschnitten" ist. Da wir dies mit allen Menschen teilen, bedeutet es auch, dass wir alle eine Würde haben, die uns durch nichts und niemanden genommen werden kann. Wir sind Wesen in Beziehung zueinander und zu Gott selbst. (Vergleiche Genesis 1,26-28) - Der Mensch ist frei und hat doch eine Bestimmung.
Die Bibel erzählt von der Freiheit des Menschen, das Richtige oder das Falsche zu tun. Das ist der Grund für die vielen Ermahnungen Gottes und nicht zuletzt für die große Vergebung, die den Menschen durch Jesus Christus widerfährt. Denn obwohl der Mensch frei ist, das Richtige zu tun, so ist er doch auch nicht dazu in der Lage, das immer und sein ganzes Leben lang zu schaffen. Er braucht Vergebung und immer wieder die Möglichkeit zu einem Neuanfang. Dennoch bleibt der Anspruch an ihn. (Vergleiche Matthäus 5,43-48)
Für die evangelischen Kindertagesstätten, die sich dem biblisch-christlichen Menschenbild verpflichtet sehen, bedeutet das, dass all ihr Tun diesem Bild entsprechen soll – eben nicht nur zu bestimmten Zeiten. Es geht um eine Grundhaltung, die alle, die in einer evangelischen Kita arbeiten, haben.
Ein evangelisches Gesamtkonzept erwächst aus der Grundhaltung
Eine evangelische Kindertagesstätte wird aus dieser Grundhaltung heraus ein Konzept entwickeln, das über einzelne Besuche eines geistlichen "Profis" weit hinausgeht. In den meisten Einrichtungen ist es üblich, mit den Kindern zu beten. Zum gemeinsamen Mittagessen oder auch im Morgenkreis. Biblische Geschichten gehören ebenso selbstverständlich zu einem evangelischen Kindergarten wie die Tatsache, dass hier nicht nur die Jahreszeiten das Kita-Jahr bestimmen, sondern auch der Kirchenjahreskreis. Weihnachten wird nicht bereits im Advent gefeiert, und man wird in einer evangelischen Kita auch davon hören, warum wir denn überhaupt Weihnachten feiern. Einige Einrichtungen statten sich mit entsprechendem Material wie biblischen Erzählfiguren aus. In Dienstbesprechungen wird hier und dort die Tageslosung gelesen.
###mehr-artikel###Doch geht eine evangelische Einrichtung auch darüber noch hinaus, denn eine Einrichtung kann keine Grundhaltung leben. Das können nur diejenigen, die dort arbeiten. Deshalb spielen die Erzieherinnen selbst eine Schlüsselrolle, sie sind Teil des evangelischen Konzepts.
Die Erzieherinnen sind mit ihrer Kompetenz gefragt, auf die religiösen Äußerungen der Kinder einzugehen. Denn Kinder philosophieren über das Leben, machen die Erfahrungen von Brüchen in ihrem Leben, machen sich Gedanken dazu und suchen nach Antworten. Es gehört zur Bildung dazu, dass Erzieher auf diese religiös-philosophischen Bedürfnisse und Fragen von Kindern eingehen.
Kinder haben religiöse Fragen
Der Theologe und Religionspädagoge Friedrich Schweitzer hat bereits im Jahr 2000 ein Buch verfasst, in dem er sich sowohl an Erzieherinnen in kirchlichen Kindertagesstätten als auch an interessierte Eltern wendet. Der Titel des Buches lautet programmatisch: "Das Recht des Kindes auf Religion." Schweitzer schreibt, dass Kinder im Kindergartenalter fünf religiöse Fragen haben, die sie auf bestimmte Weise stellen: Kinder erleben ständig Umbrüche in ihrem Leben, sei es durch Todesfälle in der Familie oder durch Trennungen anderer Art. Das lässt sie nach dem Sinn fragen: "Warum muss das so sein?" Kinder suchen nach Geborgenheit, nach Orten, Menschen und Ritualen, bei denen sie sich wohl fühlen können. Das ist ihre Weise, nach Gott zu fragen. Kinder entdecken ihre eigenen Fähigkeiten und verstehen immer besser, sich in der Welt zurecht zu finden. Dabei stoßen sie auch immer wieder an Grenzen und fragen: "Wer bin ich? Wer darf ich sein?" Es ist ihre Frage nach dem Ich. Dazu kommt, dass sie sich in ständig wechselnden Wertesystemen bewegen: Zuhause gelten andere Regeln als in der Kita. Sie fragen sich, was sie dürfen und nicht zuletzt, warum sie das eine dürfen und das andere nicht. So fragen sie nach Ethik. Nicht zuletzt erleben Kinder, dass es nicht nur eine Religion gibt und sie fragen danach, warum das so ist und wo Unterschiede und Gemeinsamkeiten liegen.
Es kommt auf die Erzieherinnen an
Wenn Kinder so fragen, und die Kita für diese Fragen ein Platz sein soll, dann sind die Erzieherinnen gefragt. Das bedeutet nicht, dass jede Erzieherin, die in einer evangelischen Einrichtung arbeitet, eine besonders fromme Person sein muss, die sich in allen Bereichen des christlichen Lebens "auskennt", vielmehr zeichnet sich eine evangelische Kita dadurch aus, dass die Erzieher, die hier arbeiten, diese Fragen aufnehmen, indem sie gemeinsam mit den Kindern nach Antworten suchen und auch von sich selbst erzählen können. Das fällt nicht jedem Menschen leicht. Häufig sind Kinder deutlich unbefangener, wenn es diese Fragen geht. Darum werden Erzieherinnen in mehreren Bundesländern entsprechend fortgebildet. Das Ziel dieser Fortbildungen ist, es einerseits ein Grundwissen in Sachen Bibel, Christentum und Kirche zu vermitteln. Hauptsächlich aber kommt es darauf an, die pädagogischen Fachkräfte auch in religiöser Weise "sprachfähig" zu machen. Wie rede ich von meinem eigenen Glauben? Wer das kann, wird auf die religiösen Grundbedürfnisse von Kindern eingehen können und eine Kita zu jeder Zeit zu einer evangelischen Kita machen. Das macht evangelische Kitas evangelisch.