Im Frühjahr 2011 hat das Sylter Trio mit dem alten Haudegen Theo Clüver (Robert Atzorn), seiner Assistentin Ina Behrendsen (Julia Brendler) und dem besserwisserischen Hinnerk Feldmann (Oliver Wnuk), einem Zugereisten von der Ostsee, ein erfolgreiches TV-Debüt geführt. Bevor das ZDF in drei Wochen die dritte "Nord Nord Mord"-Episode zeigt, wiederholt es heute noch mal die zweiten. Man kann nur darüber spekulieren, ob es Absicht der Beteiligten war, "Clüver und die fremde Frau" zunächst wie einen TV-Krimi von der Stange wirken zu lassen, aber mit zunehmender Dauer gewinnt der Film enorm an Intensität; und die Geschichte an Abgründen.
Erblasser, aber keine Erben
Auch dieser Krimi beginnt mit dem obligaten Leichenfund: Bei dem Körper, den Walbeobachter am Strand ("Da bläst er!") sichten, handelt es sich mitnichten um den erhofften Schweinswal, sondern um eine Hamburger Kneipenwirtin. Die Spur führt zu Privatermittler Matau, der immer dann beauftragt wird, wenn es zwar einen Erblasser, aber keinen Erben gibt. Der gute Mann (Jürgen Tarrach) hat aber irgendwann festgestellt, dass es zumindest für ihn weitaus einträglicher ist, falsche Erben aus dem Hut zu zaubern, als nach den echten zu fahnden. Offenbar hat zudem jemand nachgeholten, damit noch schneller geerbt werden kann. Matau ist aufgrund seines scheinbar eigenhändig vorgenommenen Ablebens bei der Wahrheitsfindung allerdings keine große Hilfe mehr.
Die zunächst beinahe schlicht anmutende Geschichte steckt voller Überraschungen und wird immer undurchsichtiger, was in diesem Fall naturgemäß ein Qualitätsprädikat ist. Erst recht sehenswert wird der Film, weil Drehbuchautor Thomas O. Walendy die Figuren mit viel Tiefe ausstattet. Viele scheinen auf den ersten Blick genauso ähnlich leicht zu durchschauen wie die Handlung, aber einige offenbaren ähnlich grausige Abgründe. Großen Anteil an der Qualität des ansonsten unauffällig inszenierten Films haben die von Regisseur Anno Saul vortrefflich geführten Schauspieler. Während Robert Atzorn dank seines gewohnt sparsamen, aber akzentuierten Spiels eine Art Fels in der Brandung ist, hat gerade Oliver Wnuk mit vielen kleinen, nie übertrieben vorgetragenen Momenten großen Anteil daran, dass der Film seiner tödlichen Geschichte zum Trotz nicht nur heitere, sondern dank der Romanze zwischen Klugscheißer Hinnerk und der abwartenden Ina auch romantische Momente hat. Trotzdem hebt sich "Clüver und die fremde Frau" klar von den Krimikomödien aus dem ARD-Vorabend ab; hier geht es weniger heiter, sondern vorwiegend tödlich zu.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Trefflich besetzt und gut gespielt sind auch die Rollen der weiteren Mitwirkenden, allen voran Henrike von Kuick als Freundin der Toten, die offenbar auf einem Rachefeldzug ist. Die schönsten Szenen aber gehören zwei Nebenfiguren: Tanja Schleiff (als Mitarbeiterin des Erbenermittlers) und Peter Kurth (als Barmann in der Kneipe der Toten) sorgen mit ihren kurzen Auftritten für wunderbare darstellerische Kleinodien.