"Du bist schön!" Zuspruch in der Umkleidekabine

Anprobe in Leipziger Boutique
Foto: Luise Poschmann
Julia sucht ein Kleid für eine Hochzeit, Ingeborg Wolf hilft ihr bei der Anprobe.
"Du bist schön!" Zuspruch in der Umkleidekabine
Zweifel vor dem Spiegel kennt Anett Buschmann aus Leipzig nur zu gut. Die Inhaberin eines Bekleidungsgeschäfts sieht oft Frauen, die sich in ihrer eigenen Haut nicht wohlfühlen und gerne jemand anderes wären. Alles Unsinn, meint die 59-Jährige. Sie ermutigt ihre Kundinnen, eigene Vorzüge zu erkennen – und sagt auch einfach mal: "Du bist schön!" Dieser starke Satz ist das Motto der diesjährigen evangelischen Fastenaktion "7 Wochen Ohne", die am Sonntag (22. Februar) mit einem Gottesdienst in Leipzig eröffnet wird.

Ein wenig unsicher zupft Julia an dem dunkelblauen Abendkleid herum. Die 29-Jährige dreht sich zum Spiegel, wieder zurück und blickt Anett Buschmann fragend an. "Ist noch nicht genau dein Kleid, finde ich", sagt die und ermutigt Julia, noch etwas anderes auszuprobieren. Geduldig bietet die Inhaberin eines Leipziger Bekleidungsgeschäfts ganze Stapel feinster Roben für eine Hochzeit im Sommer an, bis Julias Augen zustimmend leuchten und der Blick in den Spiegel ein Lächeln hervorruft. Buschmann bringt ihr noch einen passenden Schal, dann sagt sie schlicht: "Du bist schön!"

Anett Buschmann, Inhaberin des Ladens "Kleider für Weiber" in Leipzig

"Du bist schön! Sieben Wochen ohne runtermachen", ist auch das Motto der diesjährigen Fastenaktion der evangelischen Kirche, die am Sonntag in der Leipziger Michaeliskirche offiziell mit einem Fernsehgottesdienst eröffnet wird. Auch Buschmann wird dort sprechen und von ihren jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem nicht immer ganz einfachen Thema Schönheit berichten: Sie kennt die jungen Mädchen, die durch unrealistische Fotos in Magazinen ein ganz bestimmtes Bild von Attraktivität im Kopf haben und ältere Frauen, die unsicher sind, ob sie überhaupt noch wahrgenommen werden.

Als Julia mit einer Freundin das Geschäft betritt, zieht der Februar-Wind kalt durch die Tür. Die Sommerhochzeit scheint noch weit weg, doch die Kleidersuche hat längst Hochsaison. Die jungen Frauen kennen den Laden mit dem schlichten Namen "Kleider für Weiber" durch Verwandte oder Bekannte, die umfassende Beratung wird geschätzt. Kunden dürfen sich in dem Geschäft aus Prinzip nicht selbst bedienen und klammheimlich in die Kabine zurückziehen, selbst wenn dann auch mal jemand warten oder später wiederkommen muss. Dass Buschmann ihren Kundinnen immer wieder sagt, sie seien schön, hat sich schon vor Jahren eingebürgert. Wo das genau hergekommen ist, kann sie nicht recht erklären. Nur eins weiß sie ganz genau: "Das ist meine Aufgabe", sagt sie überzeugt.

"Nie sehen wir so aus wie auf einem Bild"

Angefangen mit der Mode hat sie schon zu DDR-Zeiten, mit einem kleinen Schneider-Atelier in der vor allem von Industrie geprägten Gemeinde Böhlitz-Ehrenberg nahe Leipzig. Damals brachten die Kunden die Stoffe für ihre Kleider häufig noch selbst mit, meist aus dem Westen. "Jeder wollte individuell sein, etwas anderes haben", sagt Buschmann. Heute sei das natürlich nicht viel anders, kein Mädchen wolle bei der Konfirmation das gleiche Kleid wie die Freundin tragen, meint sie. "Das ist ja auch richtig", findet die 59-Jährige, "jeder soll das anziehen, was zu ihm passt."

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Um zu erklären, was sie damit genau meint und warum ihr gerade das so wichtig ist, erzählt sie die Geschichte von einem Mädchen, das vor ein paar Jahren in ihr Geschäft kam und ein Kleid für die Konfirmation und eine Tanzstunde suchte. Der Teenager hatte ein Bild aus einer Zeitschrift dabei, von einem wunderschönen Model in einem wunderschönen Kleid. Genau das sollte auch ihr perfektes Kleid sein, genau so wollte sie dann aussehen.

"Aber da kann man probieren und probieren – es wird natürlich nie genauso aussehen wir auf dem Bild", sagt Buschmann. Schließlich seien es ganz unterschiedliche Personen, mal abgesehen davon, dass in den Zeitschriften unendlich viel retuschiert werde. "Wir wollen die Kunden ermutigen, kein 'Double' zu sein", sagt Buschmann. Schönheit sei doch in erster Linie Ausstrahlung.

Keinem Zerrbild von sich selbst hinterherlaufen

Seit 30 Jahren lädt die evangelische Kirche ein, in der Fastenzeit unter dem Leitspruch "7 Wochen Ohne" nicht nur auf Zigaretten oder Alkohol zu verzichten, sondern sich selbst bewusst mit seinem Leben auseinanderzusetzen. "Du bist schön!" ist in diesem Jahr eine Einladung, an Nachbarn oder Freunden nicht immer nur rumzumäkeln, sondern ihnen auch mal positiv zuzusprechen. Der Zusatz "Sieben Wochen ohne runtermachen" verrät, dass dies nicht immer der Fall ist. Und zwar nicht nur mit Blick auf das Umfeld, sondern auch beim Blick in den eigenen Spiegel.

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So erzählt auch Pfarrer Ralf Günther von der Leipziger Michaelis-Friedenskirchgemeinde in seiner Videobotschaft zum Gottesdienst von Stimmen, die er in sich selbst vernimmt: "Du hast einen ganz schön dicken Bauch" sagen sie, oder "du musst alles genau planen und perfekt sein".

So oft überwiegen heutzutage Zweifel, es gibt kaum einen Teil des Alltags oder des Körpers, der nicht optimiert werden könnte. Davon weiß natürlich auch ein Pfarrer. Die Fastenaktion der evangelischen Kirche aber hat sich mit dem diesjährigen Motto zum Ziel gesetzt, das Unverwechselbare zu entdecken und wertzuschätzen. Sie lade ein, aus vollem Herzen zu sagen: "Du bist schön!" – zu den Mitmenschen wie auch dem eigenen Spiegelbild, heißt es von den Organisatoren.

Anett Buschmann hat sich zur Aufgabe gemacht, zumindest jene Stimmen zu verjagen, die ihre Kundinnen immer wieder in der Umkleide ereilen. Sie wolle mit ihrem Zuspruch den Frauen einfach Mut machen, ihre eigene Schönheit zu erkennen und keinem Zerrbild von sich selbst hinterherzulaufen. Weil es eben irgendwie ihre Aufgabe ist, sagt sie.