Meist waren es in solchen Filmen bislang die Männer, die in fortgeschrittenem Alter entdeckten, dass sie sich in sexueller Hinsicht viele Jahre lang etwas vorgemacht haben. In diesem Liebesdrama von Rainer Kaufmann ist es eine Frau, die in der Mitte ihres Lebens völlig überrascht feststellt, dass sie sich unwiderstehlich zu einer anderen hingezogen fühlt. Im Grunde ist das auch die ganze Geschichte: Zunächst wehrt sich Marie gegen ihre Gefühle, gibt ihnen dann doch nach und hat anschließend ein schlechtes Gewissen. Ayla geht es nicht anders, sie ist schwanger und kurz davor, ihren Freund zu heiraten, empfindet aber so viel für Marie, dass sie das Baby als ihr gemeinsames Kind betrachtet.
Unbekannte Saite
Sehenswert ist "Ich will Dich" vor allem wegen der ausgezeichneten Schauspieler und ihrer exzellenten Führung durch den vielfach ausgezeichneten Regisseur Rainer Kaufmann (zuletzt "Zuckerbrot"). Ina Weisse und Erika Marozsán verkörpern Marie und Ayla mit einer Intensität, die überhaupt erst die Voraussetzung dafür ist, dass man sich für die Luxusprobleme dieser beiden Oberschichtfrauen interessiert. Die dritte Hauptrolle ist mit Ulrich Noethen ähnlich exquisit besetzt, denn der Film ist auch ein Ehedrama: Die Beziehung von Marie und Bernd, ein erfolgreiches Düsseldorfer Architektenpaar mit gemeinsamer Firma, mag in die Jahre gekommen sein, aber sie sind ihren pubertierenden Kindern gute Eltern; auch Ayla (ihren Mann spielt Marc Hosemann) macht nicht den Eindruck, als hätte sie sich auf eine neue Liebe eingelassen, wenn Marie nicht eine bislang völlig unbekannte Saite in ihr zum Klingen gebracht hätte. Die entsprechenden Szenen sind recht erotisch und von Kaufmann womöglich expliziter umgesetzt, als dies bei einem männlichen Paar der Fall gewesen wäre.
Zwischendurch vermittelt der Film trotzdem den Eindruck, das Drama allein sei den Beteiligten zu wenig gewesen, weshalb sich Bernd und Marie noch mit den typischen Problemen von Teenagereltern (die Tochter will die Pille, den Sohn hat die Polizei mit Gras erwischt) rumplagen müssen. Das Drehbuch stammt von Kathrin Richter und Jürgen Schlagenhof; das Duo hat für Kaufmann unter anderem jene ZDF-Familienfilmreihe geschrieben, die 2008 mit "Das Beste kommt erst" begonnen hat. Von Richter stammen auch die Bücher zu Kaufmanns Kinofilmen "Einer meiner ältesten Freunde" (1995), "Die Apothekerin" (1997) sowie "Ein fliehendes Pferd" (2007), und tatsächlich sind gewisse Parallelen gerade zur Walser-Verfilmung nicht zu übersehen; Petra Schmidt-Schaller, die darin noch die verlockende Versuchung für Ulrich Noethen verkörperte, hat in "Ich will Dich" eine winzige Gastrolle als Bernds Affäre.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Natürlich lebt der Film auch ein bisschen von dem vermittelten Nervenkitzel, der sich immer einstellt, wenn jemand eine Entscheidung fällt, die sein bisheriges Leben auf den Kopf stellt. Aber letztlich sind es vor allem die Gegensätze zwischen den beiden Hauptfiguren und ihren Darstellerinnen, die den Reiz ausmachen. Die kühle, blonde, elegante und kontrollierte Marie ist eine perfekte Rolle für Ina Weisse; gleiches gilt für die wild und brünett gelockte impulsive Ayla und die hierzulande durch "Ein Lied von Liebe und Tod" (1999) bekannt gewordene Ungarin Erika Marozsán. Beide verkörpern ausgesprochen glaubwürdig, wie ihnen die verwirrenden Gefühle den sicheren Boden ihrer bisherigen Existenz unter den Füßen wegziehen.