"Weißt du, was hier los ist?" fragte die Freundin aus dem fernen Maiduguri in Nigeria am Telefon. Es waren immer wieder verstörende Neuigkeiten, die die Mainzer Pfarrerin Renate Ellmenreich in den zurückliegenden Monaten zu hören bekam - Berichte von niedergebrannten Dörfern, versklavten Frauen und von Flüchtlingen, die sich nur mit ein paar Lumpen in die Provinzhauptstadt retten konnten. Die Terrormiliz Boko Haram hat Borno, den nordöstlichsten Bundesstaat Nigerias, ins Chaos gestürzt. Die evangelische Theologin Ellmenreich konnte dem nicht mehr tatenlos zusehen.
"Widows Care" heißt der Hilfsverein, den sie im vergangen Jahr gründete und dem sich inzwischen fast alle Mainzer Pfarrerinnen angeschlossen haben. Sie sammeln Spenden und Gottesdienst-Kollekten für mittellose Witwen, deren Männer von Boko Haram ermordet wurden. Schon rund 30.000 Euro kamen in den vergangenen Monaten zusammen. Das Geld floss an einen nigerianischen Verein, als Kontaktperson fungiert eine Lehrerin, mit der Ellmenreich einst zusammenarbeitete, als sie von 1999 bis 2004 selbst für die Basler Mission im Nordosten Nigerias tätig war. Vor Ort entscheide dann ein "Witwen-Komitee" über die Verteilung des Geldes.
"Witwen haben in Afrika keine Lobby", sagt die Pfarrerin. In Nigeria dürften alleinstehende Frauen weder Land besitzen, noch ein Geschäft oder auch nur ein Bankkonto eröffnen. Mit den Spenden aus Deutschland können Flüchtlingsfrauen sich Stoff für ein neues Kleid oder Medikamente kaufen. Der nigerianische Partnerverein unterstützt Frauen auch dabei, wie sie beispielsweise mit Straßenverkäufen wieder etwas Geld verdienen können. Außerdem bemühen sich die Partner in Nigeria, die Verbrechen von Boko Haram zu dokumentieren und auf der Flucht getrennte Angehörige wieder zusammenzubringen.
Sie sind nicht ganz vergessen
Zu jener Zeit, als Ellmenreich als Missionarin in Nigeria war, konnte sie sich in der Region noch frei bewegen, Christen und Muslime seien meist gut miteinander ausgekommen. "Es war ein friedliches und nettes Nebeneinander", bericht die Pfarrerin, "wir persönlich haben uns nicht unsicher gefühlt." Allerdings habe es auch schon zu ihrer Zeit keine funktionierenden staatlichen Strukturen gegeben. So hätten Polizisten keinen Lohn mehr bekommen und sich ihren Lebensunterhalt oft durch Wegezölle verdient.
Den Anfang jener Entwicklung, bei der Boko Haram von einer Sammelbewegung ultrafrommer Islamisten zu einer unheimlichen Terror-Miliz mutierte, erlebte die Mainzerin noch selbst mit: "Anfangs hatten die nur Messer und Macheten, dann haben sie Waffen erbeutet, viele Banken überfallen und Lösegelder eingenommen." Noch viel weniger als beim "Islamischen Staat" handele es sich bei den Kämpfern in Nordnigeria um eine zentral gelenkte Vereinigung. Manche der Kämpfer seien nur an Raubüberfällen interessiert und hätten gar keine fanatisch-religiös untermauerte Ideologie.
Inzwischen haben die nigerianischen Behörden die Kontrolle über fast den ganzen Bundesstaat verloren, Ausländer dürfen die Provinz nicht mehr besuchen, die Stadt Maiduguri platzt wegen der Flüchtlinge aus allen Nähten. Aus Angst vor Attentaten sind staatliche Schulen geschlossen. Die Methoden der Terrormiliz werden den Berichten aus Maiduguri zufolge immer brutaler. Unlängst habe Boko Haram einem zehnjährigen Mädchen einen Sprengstoffgürtel umgehängt und das Kind mit einem Fernzünder in die Luft gesprengt. "Die Methoden werden immer gruseliger und teuflischer", sagt Ellmenreich.
###mehr-links### Für 2015 drohe außerdem eine große Hungersnot. Ob die Stadt und ihre Menschen sich dauerhaft gegen Boko Haram wehren können, ist unklar. Für die Witwen von Maiduguri sei die Hilfe aus Deutschland von unschätzbarem Wert - gerade auch als Zeichen, dass sich jemand auf der Welt noch für sie interessiert. Das Wissen, nicht ganz vergessen zu sein, macht vielen Frauen großen Mut.