Die Kirche hinter der Mauer

Sprengung der Versöhnungskirche im Todesstreifen in Berlin.
© epd-bild / Versöhnungsgemeinde
Am 28. Januar 1985 fiel der Turm der Versöhnungskirche im Todesstreifen in Berlin.
Kirchensprengung im Grenzstreifen
Die Kirche hinter der Mauer
Die innerdeutsche Grenze verlief durch die Bernauer Straße in Berlin. Auch die evangelische Versöhnungsgemeinde wurde durch den Mauerbau 1961 in zwei Teile gerissen, die Versöhnungskirche im Todesstreifen 1985 von den DDR-Oberen gesprengt. "Mauerpfarrer" Manfred Fischer setzte sich nach 1989 für die Errichtung der "Kapelle der Versöhnung" ein.

Über seinem Schreibtisch im Untergeschoss des Gemeindezentrums in der Bernauer Straße hing ein schwarz gerahmtes Foto vom Augenblick der Sprengung. Als am 28. Januar 1985 der Turm der 1892 geweihten Versöhnungskirche auf dem Mauerstreifen an der Bernauer Straße fiel, hielt der "Mauerpfarrer" sich zu einem Studienaufenthalt in den USA auf. "Ich sah die Bilder im Fernsehen, es war schockierend, ein furchtbares Bild.

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Dahinter steckte natürlich die Botschaft des Regimes an uns: Diese Kirche werdet ihr nicht mehr brauchen. Die Sprengung war für uns das Ende", sagte Pfarrer Manfred Fischer 2012, ein Jahr vor seinem plötzlichen Tod im Alter von nur 63 Jahren infolge einer Herzoperation.

Pfarrer Manfred Fischer im Februar 2013 vor der Kapelle der Versöhnung.

Ganz überraschend kam die Zerstörung der Kirche allerdings nicht. Fischer war 1975 aus Frankfurt am Main nach Berlin gezogen und hatte die bereits seit dem Mauerbau 1961 zerrissene Versöhnungsgemeinde übernommen, "weil sie keiner wollte. Für mich war das eine Herausforderung." In Ost-Berlin hatte die Gemeinde schon lange keine Mitglieder mehr, denn die Wohnhäuser an der Ostseite der Berliner Straße waren für die Mauer abgerissen worden. Nach jahrelangen Verhandlungen zwischen den Konsistorien der Kirchen West und Ost sowie dem DDR-Staat gab die Kirche das Grundstück auf dem "Todesstreifen" auf und erhielt dafür ein Grundstück im Ostberliner Neubaugebiet Hohenschönhausen.

Die Gemeinde fand nicht wieder zusammen

Kritiker warfen Fischer damals vor, nicht genug gegen den Verkauf des Kirchengrundstückes auf dem Todesstreifen an die DDR getan zu haben. "Es ging uns damals nicht um Gebäude, sondern um das Gebet. Wir brauchten ein Dach für die Gläubigen, die in der DDR geblieben waren", erklärte der Pfarrer Jahre später. "Meine Aufgabe war es, die Gemeinde im Westen zusammenzuhalten in dieser schwierigen Zeit." Fischer zog mit den Resten seiner Gemeinde in ein provisorisches Gemeindezentrum mit Andachtsraum in der Bernauer Straße und engagierte sich für den Zusammenhalt der Menschen in dem Viertel, das durch seine Lage direkt an der Mauer baulich und auch sozial verkam. "Die alten Häuser mit den Kriegsschäden wurden abgerissen, die Menschen umgesiedelt. Wir nannten das Kahlschlagsanierung."

Christliche Stadtteilarbeit verstand Fischer als Seelsorge. Im neuen Gemeindehaus trafen sich Aktivisten und Bürgerinitiativen – die "Bernauer 111" wurde bald zum Anlaufpunkt für Menschen mit ihren Problemen. "Politisches Engagement und Frömmigkeit ohne Pathos gehörten für mich zusammen", so Manfred Fischer. "Wenn ich aus dem Fenster guckte, sah ich unsere Versöhnungskirche hinter Mauer und Stacheldraht. Unbenutzt stand sie da, und ich musste diese absurde Situation mit den Gemeindemitgliedern aushalten." Bis die Kirche 1985 gesprengt wurde.

Kirche im Grenzstreifen

Vier Jahre später erlebten Fischer und die Gemeindemitglieder den Mauerfall mit doppelter Intensität. "Die Wunde der Sprengung war noch frisch, der Mauerfall war einfach ein Hammer!" Bei der offiziellen Verabschiedungszeremonie des gesprengten Kirchengebäudes hatte Fischer 1985 gesagt: "Symbole haben eine stille Kraft, Unmögliches zu verwandeln in Möglichkeiten." Dass nur vier Jahre später seine Utopie zur Wirklichkeit wurde, konnte er selbst kaum glauben. Die getrennte Versöhnungsgemeinde fand derweil nicht wieder zusammen. Im Mittelpunkt der Gemeindearbeit stand ab 1989 das Gedenken an die Mauer und an die Opfer des Schießbefehls.

Wie durch ein Wunder wurde das Turmkreuz erhalten

"Die Tendenz war damals: die Mauer muss weg! Wir wussten aber: Damit der Mensch etwas begreift, braucht er etwas zum Begreifen. Spuren sind für die Orientierung wichtig. Ich wollte deshalb Relikte der Mauer als Denkmal erhalten. Das hat etwas mit Anfassen zu tun. Ich habe mich gefragt, wie erzählt ein Pfarrer der Gemeinde diese Geschichte ohne die Spuren?" Unterstützung für eine Gedenkstätte bekam Fischer vom Deutschen Historischen Museum, von Politikern und sogar von ehemaligen Volkspolizisten, die an der Mauer ihren Dienst getan hatten.

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Nach zähen Verhandlungen um die Eigentumsverhältnisse und um die Weiternutzung des ehemaligen Kirchengrundstücks setzte Manfred Fischer – auch gegen Widerstände aus der Gemeinde und trotz äußerst knapper Finanzreserven – den Bau der Kapelle der Versöhnung durch. Sie wurde am am 9. November 2000 eingeweiht. Auf dem Gelände pflanzte er Roggen an, deren Saatgut in anderen Ländern Osteuropas ausgesät und 2014 in Berlin zu Brot gebacken wurden – als Symbol für das friedliche Zusammenleben.

Was Manfred Fischer damals nicht wissen konnte: Von der gesprengten Versöhnungskirche wurden nicht nur die Glocken, die Taufschale, die Abendmahlsgeräte, eine Bibel und die Altarplatte gerettet. Auch das Turmkreuz, das sich bei der Detonation bereits von der Spitze gelöst hatte, bevor der Turm auf die Hinterlandmauer krachte und diese teilweise zerstörte, fand sich wie durch ein Wunder auf dem nahegelegenen Friedhof wieder und ist ebenfalls erhalten.

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Gedenkstätte und Versöhnungskapelle werden heute jährlich von 700.000 Menschen aus aller Welt besucht. Bis heute findet in der Kapelle an vier Tagen in der Woche eine Gedenkandacht für die Teilung und ihre Opfer statt, das Gemeindezentrum dient bis auf zwei Räume als Dokumentationszentrum der Gedenkstätte Berliner Mauer. Nach dem plötzlichen Tod Manfred Fischers im Juni 2013 übernahm Pfarrer Thomas Jeutner die Versöhnungsgemeinde, der die Unterdrückung der Kirche in der DDR hautnah miterlebt hatte. Anlässlich der Gedenkfeier zur Sprengung der Kirche in diesen Tagen sagte Jeutner: "Jeden Tag spüre ich die Kraft, die von diesem Ort ausgeht. Dass die unmenschliche Mauer gefallen ist, ist dem Mut vieler zu verdanken."