"Der Heilige Geist ist durch nichts zu ersetzen"

Flüchtlinge bei der Allianzgebetswoche in Burbach
Foto: Anne Kampf
Hans-Peter Ginsberg, Koordinator für die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit (3.v.l.) mit Flüchtlingen aus Ghana und Nigeria und Edith Unverzagt (r).
"Der Heilige Geist ist durch nichts zu ersetzen"
"Nehmt einander an" lautet die Forderung der Jahreslosung. Das geht nur, wenn man einander wahrnimmt und miteinander spricht. Oder gleich betet. In Burbach, Siegerland, haben evangelische Christen Flüchtlinge aus der Notunterkunft in ihr Gemeindezentrum eingeladen. Eine Idee, die sie selbst erst nervös machte… Doch dann wurde es ein wunderbarer Abend.

An der Hauptstraße von Burbach, Siegerland: "Excuse me – where can I buy a SIM-card?", fragt ein junger Mann höflich, er hat drei Kameraden im Schlepptau. Sofort ist klar: Die vier sind Flüchtlinge, vorübergehend leben sie hier in einer Notunterkunft. Verwirrt laufen sie durch den Ort, suchen weiter. So ist das jetzt in Burbach, überall sieht man junge Männer in Gruppen oder Familien, die Kleinkinder in Buggys umherschieben.

Eindrücke aus der Ortsmitte von Burbach

Das Bild des ruhigen Örtchens am Rande des Westerwaldes hat sich verändert, seit die ehemalige Kaserne als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird. Die Burbacher sind nicht mehr unter sich, die ganze Welt kommt bei ihnen an. Und das ist nicht ganz einfach.

Es wurde diskutiert und gestritten in Bürgerversammlungen, Lokalzeitungen und Sozialen Netzwerken, der Ton blieb nicht immer freundlich. In der zeitweise überfüllten Unterkunft gab es Schlägereien, im Ort Ladendiebstähle. Muss man Angst haben vor den Fremden? Kinder seien "angetatscht" worden, erzählt ein Mann im Einkaufszentrum, Frauen fühlten sich zum Teil unsicher, sagt ein anderer. "Meistens sind es diese jüngeren Burschen", berichtet eine Supermarktkundin, "sicher, die haben nichts zu tun, sitzen da und haben 'ne Flasche Bier", aus ihren Worten ist Verständnis, aber auch Befremden herauszuhören. Eine andere Passantin dagegen ärgert sich über die viele Polizei im Ort, "das find' ich dann auch nicht so schön."

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Mit den Misshandlungsfällen durch Sicherheitskräfte in der Unterkunft schaffte es Burbach als Top-Thema in die Schlagzeilen. Eine junge Frau auf dem Supermarkt-Parkplatz verdreht die Augen, als sie nach der momentanen Stimmungslage gefragt wird: "Für Burbach ist das ein leidiges Thema." Doch seit dem Betreiberwechsel und dem Rückgang der Belegungszahl in der Unterkunft ist es auch im Ort ruhiger geworden. Eine ältere Dame äußert sich sogar extra positiv über die Umgangsformen der Fremden: "Ich bin hier an der Haltestelle schon ein paarmal eingestiegen, dann standen von denen auch welche da, die waren recht freundlich. Also ich kann nichts Negatives sagen."

Pfarrer Walter: "Bei uns hat sich ganz viel verändert"

Einwohner und Flüchtlinge sollten "vernünftig" und "respektvoll" miteinander umgehen, wünschen sich die Burbacher. "Auf jeden Fall mehr miteinander kommunizieren", schlägt ein Mann vor. Das allerdings ist manchmal gar nicht so einfach – allein wegen der Sprache, und weil man viel Mut braucht, um auf fremde Menschen zuzugehen. Doch hin und wieder machen Flüchtlinge es den Burbachern auch leicht – indem sie sonntags den evangelischen Gottesdienst besuchen, zum Beispiel. Da sitzt man dann nebeneinander, beäugt sich gegenseitig, und wagt nach der Kirche vielleicht einen vorsichtigen Satz in angestaubtem Schul-Englisch. "Wir Siegerländer sind eben nicht so, dass wir freudestrahlend auf jeden zustürmen und sagen 'Schön, dass du da bist!'", erklärt der evangelische Pfarrer Thomas Walter.

Pfarrer Thomas Walter

Für seine Gemeinde klingt die Jahreslosung für 2015 wie ein Arbeitsprogramm: "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zum Lob Gottes." (Römer 15,7) Die Sache mit den Flüchtlingen sei der Kirche "einfach in den Schoß gefallen als ein Gemeindekonzept." Wie kann das also gelingen – einander annehmen? "Ich glaube, man muss sich begegnen", sagt Thomas Walter. "Das ist das A und O. Eine echte Begegnung ist eben nicht, wenn man sich irgendwo auf der Straße sieht, sondern wenn man sich wahrnimmt." Der Pfarrer erzählt das Beispiel einer Frau aus der Gemeinde, die im Supermarkt arbeitet und dort mit Diebstählen und Unfreundlichkeit konfrontiert wurde. Dann meldete sie sich für die Kinderbetreuung in der Unterkunft und merkte: "Ich hab die vorher immer nur als Problem wahrgenommen und auf einmal seh' ich die Kinder und wie die sich freuen und wie nett die sind." Thomas Walter findet die Entwicklung spannend. "Ich glaube, da hat sich ganz viel bei uns verändert und das ist schön!"

An diesem Abend ist er aufgeregt, der Pfarrer, er ist früh im Gemeindezentrum und geht seine zweisprachige Ansprache immer wieder durch. Auf Deutsch und Englisch – und wer weiß, in welchen Sprachen noch? – wird im Gemeindehaus ein internationaler Gebetsabend stattfinden. Allianzgebetswoche mal ganz anders. Sie wollen Flüchtlinge dazu einladen und haben keine Ahnung, wie viele kommen und wie sie einander verstehen werden. Sprachlich, aber auch religiös.

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Hans-Peter Ginsberg, Koordinator für die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit in der Notunterkunft, denkt über so etwas nicht lange nach, sondern legt einfach los. Beim Abendessen in der Kaserne geht er auf Einladungstour. Während die Flüchtlinge ihre Wurstbrote kauen, steuert der pensionierte Polizist mutig auf sie zu. Zuerst spricht er diejenigen an, die er schon in den Andachten hier gesehen hat. "Today, seven o'clock", so fängt Ginsberg an jedem Tisch neu an, "we will pray for your parents and brothers and sisters." Er versucht langsam zu sprechen, "together with people from Burbach". Ein großer dunkelhäutiger Mann mit lustigen Locken lächelt und sagt freudig zu: "I will come!" Er verspricht, noch andere Afrikaner einzuladen und fängt damit sofort in der Warteschlange an. Unter den Afrikanern sind viele Christen.

Bei den Muslimen muss Hans-Peter Ginsberg sich dagegen erstmal auf Diskussionen einlassen – sie zögern, einen christlichen Gebetsabend zu besuchen. Doch Ginsberg sagt "no problem" und argumentiert ebenso hartnäckig wie simpel: "Noah, Mose, Abraham, Jesus, Mohammed", zählt er auf. "Es gibt nur einen Gott. Den Gott, den die Propheten schon gekannt haben." Nur ein Gott – only one God – das verstehen die Männer, wiederholen es und nicken – sie sind heute Abend dabei. Auch die Albaner, die am Mittag SIM-Karten gesucht hatten, sagen zu.

Gifty aus Ghana: "Ich schaffe das, ich glaube an mich"

19 Uhr, das Gemeindezentrum füllt sich mit vorwiegend älteren Frauen und Männern aus Burbach. Zur Allianzgebetswoche gehen, das gehört hier dazu, und heute Abend sind sie auch ein bisschen neugierig. Hans-Peter Ginsberg ist mit dem Kirchenbus zur Kaserne aufgebrochen, um Flüchtlinge abzuholen. Er muss mehrmals fahren, am Ende sitzen zwei Dutzend Flüchtlinge in den Stuhlkreisen, auf einer Seite Christen aus Ghana und Nigeria, auf der anderen Seite Muslime aus Albanien samt Dolmetscher, und weiter hinten noch einige Iraner. Hans-Peter Ginsberg strahlt über das ganze Gesicht.

Lefter Venari (22) aus Albanien

Thomas Walter beginnt vor vollem Haus, stöpselt einen Leuchtglobus ein und sagt: "Jede Stunde steigt ein Gebet zu Gott." Er zeigt auf die Länder, aus denen die Gäste kommen, die Burbacher applaudieren, die Flüchtlinge jubeln. Walter versucht die Stimmung zu halten. "Praise the Lord", ruft er, und tatsächlich, das "Hallelujah" im Saal wird immer lauter. Die reformiert-pietistischen Siegerländer geben alles, um mit den Gästen warm zu werden.

"Brot" ist das Thema des Abends. Was heißt es, hungrig zu sein? Davon kann ein junger Afrikaner ebenso erzählen wie ein älterer Burbacher. Die Stimmung wird nachdenklich, das Gebet beginnt. Halblautes Gemurmel aus den "einheimischen" Stuhlkreisen, die albanischen Muslime senken die Köpfe, die Afrikaner beten inbrünstig, einer sinkt auf die Knie. Zwar bleiben die  Gruppen unter sich, doch trotzdem beten sie gemeinsam. "Wir fühlten uns eins mit den Deutschen", sagt Lefter Venari (22) später, der junge Albaner mit der neuen SIM-Karte. "Es fühlte sich für mich großartig an", sagt er. Selbst die Rede des Pfarrers von Jesus Christus als "lebendigem Brot" hat ihn als Muslim offenbar nicht gestört. An diesem Abend kommt es auf die Atmosphäre an, nicht auf religiöse Differenzen.

Gifty Atittsogbiu (34) aus Ghana

"Mir hat der Abend sehr gefallen!" sagt auch Gifty Atittsogbiu (34), Christin aus Ghana. Sie fühlt sich nach dem Gebet gestärkt, ist voller Hoffnung für ihren weiteren Weg: "Ich denke, ich werde es schaffen, ich glaube an mich. Weil ich ein Geschenk Gottes bin", sagt sie und wiederholt es immer wieder wie ein Mantra, "I'll make it, I believe in me." Nachdenklich bleibt sie auf ihrem Stuhl sitzen.

Jetzt, wo alle so froh und ergriffen sind, kann man die Gäste nicht sofort wieder zurückbringen, denkt Pfarrer Thomas Walter. Er holt Kekse und Chips herbei, alles was das Gemeindezentrum hergibt. Es funktioniert: Schachteln und Tüten werden herumgereicht, Burbacher und Flüchtlinge reden miteinander, die Stimmung ist gelöst. "Und sie wollen morgen alle wiederkommen", strahlt Hans-Peter Ginsberg. "Der Heilige Geist ist durch nichts zu ersetzen!" Dann verteilt er vor lauter Begeisterung Abschiedsküsschen an die Damen. Auch so kann es gehen in Burbach, Siegerland.