Nach dem gelungenen Auftakt der Vernau-Reihe im ZDF, "Das Kindermädchen", war schon die zweite Verfilmung eines Romans von Elisabeth Herrmann, "Die letzte Instanz", über weite Strecken bloß noch ein gewöhnlicher und zudem nicht mal sonderlich spannender TV-Krimi. Auch Nummer drei, "Der Mann ohne Schatten", lebt in erster Linie davon, dass es grundsätzlich Spaß macht, Jan Josef Liefers zuzuschauen, ganz egal, welche Figur er verkörpert. Erneut hat die Schriftstellerin ihre Vorlage selbst adaptiert, erneut oblag die Regie dem routinierten "Rosa Roth"-Regisseur Carlo Rola, der für das ZDF zudem diverse aufwändige Mehrteiler inszeniert hat ("Krupp - Eine deutsche Familie"). Auch er kann allerdings nicht verhindern, dass der Film einen ziemlich langen Anlauf braucht, bis er halbwegs spannend wird.
Der falsche Bruder
Dabei ist die Geschichte durchaus reizvoll: Vor dreißig Jahren ist Martin Gebhardt spurlos verschwunden. Seine Schwester (Gudrun Landgrebe) ist allerdings überzeugt, dass er noch lebt. Als sie das gemeinsame Elternhaus verkaufen will, braucht sie seine Unterschrift und beauftragt den Joachim Vernau (Liefers) mit der Suche. Die einzige Spur führt nach Kuba, und tatsächlich wird der Anwalt unerwartet rasch fündig. Gebhardt (Henry Hübchen) erweist sich als gastfreundlich und kooperativ, und da er bereitwillig eine Verzichtserklärung unterschreibt, scheint die Sache erledigt, wäre da nicht ein winziges irritierendes Detail. Seine Schwester ist sich sicher: Dieser Mann kann nicht ihr Bruder sein.
Schon in den beiden anderen Filmen barg die Vergangenheit den Schlüssel zur Gegenwart. In "Das Kindermädchen" war es der Zweite Weltkrieg, in "Die letzte Instanz" die DDR. Diesmal spielt die Zeit der Hausbesetzungen zu Beginn der Achtziger eine entscheidende Rolle: Gebhardt musste damals untertauchen, weil er angeblich bei einer Demonstration einen Molotow-Cocktail auf Polizisten geworfen hatte. Wie sich seine Biografie dann weiterentwickelt hat, ist tatsächlich faszinierend. Gerade das letzte Drittel der Handlung steckt voller verblüffender Auflösungen, zumal sich Herrmann wieder eines düsteren Kapitels der DDR-Geschichte angenommen hat, aber im Grunde geht der Film erst nach sechzig Minuten richtig los. Bis dahin hat Rola über weite Strecken nicht mehr zu bieten als Liefers, der mit einem beeindruckenden Straßenkreuzer durch Havanna fährt. Rolas bevorzugter Kameramann Frank Küpper hat für wunderbare Bilder gesorgt, aber für einen Krimi passiert entschieden zu wenig. Immerhin hat Liefers mit Henry Hübchen einen würdigen Gegenspieler, und da sich Vernau die Zeit zwischendurch mit einer geheimnisvollen Einheimischen vertreibt, gibt’s auch ein bisschen Romantik. Zunächst wirkt Alina Levshin in diesen Szenen ähnlich ungelenk wie als Erfurter "Tatort"-Ermittlerin, aber später stellt sich raus, dass auch die schöne Anna-Maria ein doppeltes Spiel spielt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Völlig überflüssig sind dagegen die offenbar als komödiantische Einlagen gedachten Berliner Zwischenspiele mit Vernaus Mutter und ihrer Freundin, und Stefanie Stappenbeck ist zum dritten Mal an die Rolle von Vernaus Kanzleipartnerin Marie-Luise verschwendet; immerhin hat sie entscheidenden Anteil daran, dass schließlich die Wahrheit ans Licht kommt. Aber, Havanna – arm, aber sexy – ist sehenswert, Alina Levhin ist schön anzuschauen, und wer anderen gern beim Genuss kostbarer Zigarren zusieht, kommt ebenfalls auf seine Kosten.