Die ARD hat das sicher anders geplant, aber im Nachhinein erweist es sich als gar nicht so schlecht, dass auf den grandiosen "Baron Münchhausen" (Weihnachten 2012) im letzten Jahr der denkbar schwache Zweiteiler "Pinocchio" folgte. Um so besser steht nun "Till Eulenspiegel" da. Die knapp hundert Minuten langen Abenteuer des klugen Narren mögen zwar nicht ganz die Qualität der noch mal aufwändigeren Prestigeproduktion mit Jan Josef Liefers als Lügenbaron haben, aber nicht zuletzt dank der enormen Spielfreude von Jacob Matschenz ist der ebenfalls zweiteilige Film ganz sicher ein Höhepunkt des diesjährigen Weihnachtsfernsehens. Interessanterweise nutzen Dieter und Leonie Bongartz eine ganz ähnliche Dramaturgie wie "Münchhausen"-Autor Marc O. Seng, um die vielen Streiche Eulenspiegels zu einem roten Faden zu verknüpfen. Wie der Baron, so wird auch der Komödiant bei seiner Heldenreise von einem Mädchen begleitet, das sich schließlich als seine Tochter entpuppt. Abgesehen davon verkörpert Matschenz den leichtsinnigen Draufgänger in der Tradition großer Leinwandvorbilder und exakt so, wie ihn wohl auch Liefers gespielt hätte: nie um einen Spruch verlegen, immer mit einem Grinsen im Gesicht und vor allem enormem Erfolg bei den Frauen, denen er aber selbstredend nicht treu sein kann.
Heute die Hanse, morgen die ganze Welt
Natürlich ist jeder Filmheld nur so gut wie sein Gegenspieler, und deshalb darf Devid Striesow seinen sorgsam ausgesuchten Schurkenrollen eine weitere hinzufügen. Klaas Wüllenwever, Bürgermeister von Lübeck, hat große Pläne: heute die Hanse, morgen die ganze Welt. Macht, Eitelkeit und Habgier jedoch sind exakt die Eigenschaften, auf die Till Eulenspiegel geradezu allergisch reagiert, weshalb er den Bürgermeister vor aller Welt bloßstellt. Der will das natürlich nicht auf sich sitzen lassen, und weil seine Soldaten Till nicht zu fassen kriegen, kerkern sie kurzerhand die schöne Kathrin (Anna Bederke) ein, die ihm bei der Flucht geholfen hat; sie ist Tills Jugendliebe, hat ihn einst jedoch ziehen lassen müssen, weil ein Freigeist wie er selbstredend kein Mann zum Heiraten ist. Kathrins Tochter Marie überzeugt Till, dass sie die Mutter befreien müssen, und weil sie dafür einige wichtige Zutaten brauchen, müssen sie zunächst kreuz und quer durch Norddeutschland reisen und dabei jene Abenteuer bestehen, die später zur Legende wurden.
Regisseur Christian Theede hat bereits mehrere der alljährlichen ARD-Märchen inszeniert (zuletzt "Vom Fischer und seiner Frau"), alle übrigens ebenfalls nach Bongartz-Drehbüchern und als Produktionen von Zieglerfilm Köln entstanden; es ist daher keine Überraschung, dass sich "Till Eulenspiegel" durch eine ganz ähnliche Atmosphäre auszeichnet. Bildsprachlich ist der Zweiteiler allerdings nicht zuletzt dank des kongenialen Zusammenspiels aus Kamera (Felix Cramer), Schnitt (Martin Rahner) und der großen Musik von Peter W. Schmitt sogar noch eine Klasse besser. Auch Kostüm (Elena Wegner) und Ausstattung (Thorwald Kiefel) haben vortreffliche Arbeit geleistet.
Besondere Anerkennung verdient Theede aber für die Führung der weiblichen Hauptdarstellerin. Gelegentlich ist zwar nicht zu überhören, dass die junge Jule Hermann sehr viele und auch sehr komplexe Dialoge hat, weil Marie ein ausgesprochen kluges (und mitunter auch altkluges) Mädchen ist, aber meistens meistert sie die Herausforderung bravourös; Rolle und Darstellerin erinnern an die junge Emma Watson und Verkörperung der Hermine aus den "Harry Potter"-Filmen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Über allem aber steht selbstredend der Titelheld; eine echte Traumrolle, der sich Matschenz in jeder Hinsicht als würdig erweist, ganz gleich, ob Till koboldgleiche Streiche spielt, turnerisch den Naturgesetzen trotzt oder Wüllenwevers Schergen wiederholt ein Schnippchen schlägt. Dazu ein Drehbuch mit klugen und anspielungsreichen Dialogen sowie eine Liebe zum Detail, die sich nicht zuletzt in vielen kunstvollen Übergängen zeigt. Kurzum: Wunderbare Unterhaltung für die ganze Familie.