Tsunami vor 10 Jahren: "Ich habe bis heute Angst vor Wellen"

Foto: Michael Lenz
Ehepaar Maesri Harntalay und Lim Jetana mit ihrer Tochter Bui
Tsunami vor 10 Jahren: "Ich habe bis heute Angst vor Wellen"
Am 26. Dezember 2004 überrollte ein gigantischer Tsunami weite Teile der Küsten des Indischen Ozeans. Hunderttausende kamen ums Leben, wer überlebte, war meist obdachlos. Heute sind die äußeren Spuren weitgehend beseitigt. Die inneren Wunden bleiben.

Es ist der Zweite Weihnachtstag 2004, als der Tsunami über Khao Lak hinwegrollt und Tod und Verderben bringt. Wie durch ein Wunder hat Watt Game überlebt. Auch seine Familie ist unbeschadet davongekommen, sein Elternhaus in der thailändischen Urlaubsregion blieb unzerstört. Aber die Welt rings um den damals 12-Jährigen war vollständig im Tsunami versunken. "Freunde sind in den Wellen umgekommen, die Häuser vieler Bekannter waren zerstört", erinnert sich Watt.

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Am diesjährigen 26. Dezember jährt sich zum zehnten Mal der Tag, an dem nach einem Seebeben der Stärke 9,1 der Tsunami über die Küstenregionen der Anrainerstaaten des Indischen Ozeans hereingebrochen war. 230.000 Menschen starben, davon alleine 165.000 in Aceh. Über 110.000 Menschen wurden verletzt, mehr als 1,7 Millionen Küstenbewohner wurden obdachlos. An Thailands Westküste traf es vor allem die Insel Phuket und das Ferienparadies Khao Lak. Fast 6000 Menschen kamen dort ums Leben.

"Wir waren schon zwei Tage später mit Hilfe vor Ort", erzählt Marie-Teres Benner, die seinerzeit als Länderkoordinatorin den Hilfseinsatz der Malteser in Khao Lak leitete. Erst stand die humanitäre Soforthilfe mit Lebensmitteln, Decken, Kleidung, Kochutensilien, Zeltplanen und Wasser im Vordergrund; in der nächsten Phase der Wiederaufbau. Finanziert wurde die Hilfe durch ein überwältigendes Spendenaufkommen aus Deutschland. Die Projekte sind längt abgeschlossen, aber im November reiste Benner doch nach einmal Khao Lak. "Ich wollte sehen, was aus unseren Projekten geworden ist", sagt sie.

"Ich will dem Waisenhaus etwas zurückgeben"

In der Schule von Ban Muang waren 52 Schüler umgekommen, die Schule selbst blieb unversehrt. Sie steht weit genug vom Meer entfernt. Für die Überlebenden bauten die Helfer zusammen mit der stellvertretenden Schuldirektorin ein psycho-soziales Projekt auf, um sie bei der Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse zu unterstützen.

Kern des Projektes war es, Lehrer und Schüler zu Peer-Beratern auszubilden. Einer dieser Schülerberater war Watt. In seiner Freizeit engagiert sich der 22-Jährige, der inzwischen Jura studiert, heute noch in dem Projekt. Allerdings geht es jetzt, zehn Jahre später, nicht mehr um den Tsunami. "Schüler kommen mit ganz normalen Problemen zu uns. Das kann die Scheidung der Eltern sein oder Liebeskummer", erzählt Watt.

Auch seine eigenen Eltern hatten sich vor dem Tsunami getrennt, sein Vater mochte ihn nicht. "Erst wurde ich zu einer Tante angeschoben und dann in ein Heim für Tsunamiwaisen", erzählt Watt. In dem Heim in Takuap, der Distrikthauptstadt von Khao Lak lebt Watt noch heute, hilft den Waisenkindern und arbeitet als Berater in der Schule. Auch nach Ende des Studiums will er dem Waisenhaus verbunden bleiben. "Ich werde da arbeiten. Ich habe dem Heim viel zu verdanken. Jetzt will ich etwas zurückgeben."

Die Erinnerungen verblassen

Heute erinnert nur noch wenig an den Tsunami. Khao Lak ist längst wieder aufgebaut, schöner und größer denn je. Die großen Hotelketten haben Häuser eröffnet und damit den Massentourismus in das einstige Mekka für vorwiegende deutsche Urlauber gebracht, die sich in Strandhütten und einfachen Bungalows erholten und mit dem Trubel von Phuket nichts am Hut haben wollten. Eine Blitzumfrage unter Deutschen bei einem Straßenfest des Tourismusverbands von Khao Lak Ende November ergab: "Ach ja, stimmt, das war ja hier" oder "Passieren kann überall etwas".

Zum 10. Jahrestag sind in Khao Lak eine Reihe von Gedenkveranstaltungen geplant. Für deutsche Tsunamiopfer und ihre Angehörigen gestaltet die Notfallseelsorge der evangelischen Kirche im Rheinland zusammen mit den Pfarrern der deutschsprachigen katholischen und evangelischen Gemeinden in Bangkok am Strand von Khao Lak eine Zeremonie. Auch die Botschafter Deutschlands, Österreichs und der Schweiz werden teilnehmen.

Maesri Harntalay mit einem Foto ihres Sohnes Bon Nijiang
Fernab vom touristischen Rummel Khao Laks liegt das Dorf Bangsak. Hier lebt inmitten von Reisfeldern und Kokospalmen das Ehepaar Maesri Harntalay und Lim Jetana. Der Tsunami hatte ihnen ihren ihr Haus geraubt und ihren 13 Jahre alten Sohn. Traurig zeigt die Maesri ein verblasstes Foto von ihm: "Das ist Bon Nijiang."

Anders als viele andere im Dorf haben sie sich keine Arbeit in der Tourismusbranche gesucht. Sie verdienen sich ihren Lebensunterhalt als Feldarbeiter und verkaufen Kokosnüsse auf dem Markt. Ihr neues Haus steht auf Stelzen und ist aus Beton. Spärlich möblierte Räume, schmucklose Wände. Den beiden reicht es so, wie es ist, sie sind zufrieden – und  stolz auf ihr Haus: "Das haben die Malteser gebaut", sagt Maesri. Die Eheleute freuen sich über das Wiedersehen mit Marie-Teres Benner.

"Wären wir besser vorbereitet gewesen..."

Auf der Veranda des Hauses erzählt Benner bei einem Becher Kokoswasser aus frisch gepflückten Nüssen über das Wiederaufbauprojekt. "Wir haben die Menschen selbst entscheiden lassen, wie ihre Häuser aussehen sollen. Zu oft wurden nach solchen Katastrophen Häuser gebaut, die nicht den Traditionen und Bedürfnissen der Menschen entsprachen." Die Familien hätten ihre Häuser zudem selbst gebaut und seien dafür von den Maltesern bezahlt worden. "Das war besser, als Bauarbeiter anzuheuern. So konnten wir den Leuten für eine gewisse Zeit zu einem Einkommen verhelfen. Sie hatten ja in dem Tsunami alles verloren", sagt Benner.

Auch die 25-jährige Bui, Tochter von Maesri und Lim, hat inzwischen ihr eigenes Haus und ihre eigene Familie. Sie trägt sehr kurze Shorts und ein rotes T-Shirt. Mit der traditionellen Lebensweise ihrer Eltern hat sie nicht mehr viel gemein. Sie arbeitet als Köchin in einem Hotel. Als der Tsunami kam, war sie 15. Bis heute kann sie das schreckliche Erlebnis nicht vergessen. "Wenn ich Wellen höre, bekomme ich Angst. Das Geräusch bohrt sich wie ein Eisenspieß in mein Herz."

Auch das benachbarte Fischerstädtchen Ban Nam Khem war schwer von dem Tsunami betroffen. Die Fotos von großen Fischerbooten, die von der Welle in Häuser geschleudert wurden, gingen damals um die Welt. Bürger aus Ban Nam Khem haben aus der Katastrophe ihre Lehren gezogen. Mit fachlicher Hilfe der deutschen Entwicklungshilfeagentur GIZ ("Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit") wurde ein Katastrophenschutzprojekt gestartet, das inzwischen in ganz Thailand kopiert wird. "Wir sind auf alle möglichen Katastrophen vorbereitet, egal ob Unfälle, Hochwasser oder Dürren", erzählt Prayoon. In der Zeit vor dem Tsunami war er Fischer.

"Mein Boot wurde zerstört. Ich habe überlegt, was ich tun soll. Durch die ziemlich chaotischen Rettungsaktivitäten damals kam mir der Gedanke, dass man mit einer besseren Ausbildung mehr hätte machen können. So kam ich zu dem Katastrophenschutzprojekt", erzählt der 47-Jährige, der durch den Tsunami 60 Familienmitglieder verloren hat, darunter seinen Vater und seine Schwiegermutter. So eine Tragödie soll sich nicht wiederholen, das ist das Mantra von Prayoon, der heute das 50-köpfige, ehrenamtliche Katastrophenteam von Ban Nam Khem leitet. "Wären wir damals besser vorbereitet gewesen, hätte es weniger Tote gegeben", sagt er.