"Tag der Migranten": Die Integration ist weiblich

Foto: dpa/Axel Heimken
"Tag der Migranten": Die Integration ist weiblich
Kommen Asylbewerber nach Deutschland, dürfen sie zunächst nicht arbeiten. Besonders den Männern macht das zu schaffen. Und so sind es oft die Frauen, die stark sind, Familien zusammenhalten und die Integration vorantreiben. Zum heutigen "Internationalen Tag der Migranten" stellen wir zwei von ihnen vor.

"In Deutschland ist die Sicht auf Migrantinnen als Opfer von Zwangsprostitution, häuslicher Gewalt, Rückständigkeit und Fremdbestimmung häufig von Stereotypen geprägt", bedauert die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Peine, Silke Tödter. Ihr ist wichtig, dass auch die Stärken von Migrantinnen und ihre Schlüsselfunktion auf dem Weg zu Integration und Partizipation wahrgenommen und gewürdigt werden.

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Sozialarbeiterin Christina Grümbel hat in 25 Jahren Arbeit mit und für Migranten die oft übersehene, starke Leistung der Frauen schätzen gelernt. "Selbst wenn viele Migrantinnen nicht unseren kulturellen Vorstellungen von Rollenverteilung, Emanzipation und Gleichberechtigung entsprechen, verdienen sie unseren Respekt. Die Frauen sind erst einmal alle stark: Alles hinter sich zu lassen, sich ins Ungewisse zu stürzen und trotz der Verluste und Traumata für die Familie eine Art Normalität zu schaffen - schon allein das ist eine starke Leistung", betont sie.

"Mama, gut, dass du so stark warst", sagen Adhurim und Kosovar, die beiden 16 und 13 Jahre alten Söhne von Dashurije Shala* oft, wenn sie sich die Geschichte ihrer Eltern von Flucht und Neuanfang erzählen lassen. Die Söhne sind stolz auf ihre Mutter. "Mit Recht, ich habe wirklich viel geschafft", stimmt die 43-Jährige mit dem Selbstbewusstsein zu, das ihr erst in den Jahren in Deutschland zugewachsen ist. Als sie am 22. November 1998 nach Wochen der Illegalität und Flucht vor dem Bürgerkrieg im Kosovo mit dem damals sechs Monate alten Adhurim in Koblenz ankam, hatte sie nichts als Schrecken im Gepäck; dazu 5000 Mark Schulden und eine ungewisse Zukunft vor Augen.

Männer und Hausarbeit? Im Kosovo undenkbar

Heute bewohnt die Familie ein bescheidenes eigenes Haus, das sie ohne Dashurijes beharrliches Drängen und ohne ihre Arbeit als Küchenhilfe in einem Restaurant kaum hätte kaufen können. Es war Dashurije, die ihren Mann zum Kauf überredete und alle Verhandlungen führte. "Dort, wo ich herkomme, machen Frauen so etwas nicht. Dort gehen sie auch nicht arbeiten. Aber ich wollte ein anderes Leben", sagt sie.

Der Weg dorthin war schwer, die erste Zeit von Heimweh geprägt. Dennoch schafft es Dashurije, mit dem Geld, das sie von den Asylbewerber-Leistungen beiseitelegt, die Schulden abzustottern und den Rechtsanwalt für das Asylverfahren zu finanzieren. Sie nimmt Putzstellen an, besucht trotz der kleinen Kinder einen Sprachkurs, macht den Führerschein. Als ihr das Ausländeramt mit Hinweis auf die mangelhaften Sprachkenntnisse ihres Mannes das Niederlassungsrecht verweigert, kämpft sie. "Wieso kriege ich mein Recht nicht, nur weil mein Mann nicht gut Deutsch spricht?"

Sie hat Erfolg. Heute haben beide einen gesicherten Aufenthaltsstatus und eine Arbeit. Besonders freut Dashurije, dass ihr Mann inzwischen auch bei der Hausarbeit anpackt. "Das wäre zu Hause, im Kosovo, kaum vorstellbar", sagt sie. Ebenso undenkbar wäre, dass sie als Muslima weder Schleier noch Kopftuch trägt und nicht in die Moschee beten geht: "Ich will das nicht", sagt Dashurije.

Die Töchter wollen in der Schule die Besten sein

Als Sophia Sahin* mit ihrem sechs Jahre älteren Ehemann Arslan 1993 aus der Türkei nach Deutschland kommt, ist sie 21 Jahre alt und Mutter von zwei kleinen Töchtern. "Ich war 16, als ich Arslan unbedingt heiraten wollte. Als ich mit 17 Mutter wurde, war ich unglaublich stolz", erzählt sie. Die Sahins gehören zur christlichen Minderheit in der Türkei. Sie wollen den alltäglichen Schikanen und der Behördenwillkür entkommen, denen sie sich als Christen massiv ausgesetzt fühlen. Zur Familie gehören auch Michael und Sarah, die beiden noch schulpflichtigen Geschwister von Arslan. Vier Jahre lang leben sie zu sechst in zwei winzigen Zimmern der Asylunterkunft.

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Sophias Alltag ist ausgefüllt mit "Frauenarbeit", ihre Tage sind strukturiert und haben einen Sinn: die Töchter beschäftigen, kochen, waschen, einkaufen, putzen. Mit Michael und Sarah lernt sie Deutsch, damit sie in der Schule einen Abschluss schaffen. In ihren Töchtern weckt Sophia, die selbst nur vier Jahre zur Schule ging, ungestümen Ehrgeiz: Sie sollen und wollen zu den Besten gehören. Sie ist stolz, als die beiden schon in der Grundschule ambitionierte Ziele verkünden, Sozialarbeiterin und Juristin wollen sie werden. "Damit wir Leuten im Asyl helfen können."

"Wenn wir Frauen stark sind, während unsere Männer jahrelang zu Hause sitzen müssen, werden sie seelisch immer kleiner", beschreibt Sophia ein Problem, das sie auch aus anderen Migrantenfamilien kennt. Ihr hilft, dass sie in der örtlichen Kirchengemeinde Kontakte knüpft und eine mütterliche Freundin fand, die der inzwischen siebenköpfigen Familie eine Wohnung anbot. Wieder ein Schritt, um in Deutschland anzukommen.

Sophias Mann Arslan dagegen darf als Asylbewerber nicht arbeiten, er sehnt sich zurück. Zurück in die Männergesellschaft, in der er im Winter jagen ging, zurück zu Olivenhain und Tabakfeld. Zurück in die vertraute Rolle als Ernährer und Familienoberhaupt, zurück in die Großfamilie, in der es klare Rollen gibt. "Wer bin ich hier schon?", klagt er.

"Du machst, was du willst", wirft er ihr vor

"Frauen machen ihren Job, halten die Familie emotional über Wasser, während Männer in den Zeiten der Ungewissheit oft in eine Art Starre fallen", beobachtet auch Christine Althöfer, Mitarbeiterin der Beratungsstelle für Flüchtlinge des Evangelischen Kirchenkreises An der Agger. "Selbst wenn die Männer auf den ersten Blick oft dominieren, sind doch meist die Frauen der Motor für Überleben und Integration", sagt sie.

"Entweder du stehst als Frau auf deinen Beinen, oder die Familie geht kaputt", sagt Sophia im Rückblick. Als ihnen 1998 endlich das Bleiberecht zugesprochen wird, ist sie es, die zuerst Arbeit findet: Hilfsarbeiterin im Dreier- Schicht-System, dazu Haushalt und Familie fordern sie bis an den Rand ihrer Kräfte. Arslan dagegen tut sich schwer damit, dass Sophia ihr eigenes Geld verdient und mit flotter Kurzhaarfrisur und modischer Kleidung so gar nicht ins Bild einer "türkischen Mama" passt. Am meisten Probleme hat er mit Sophias wachsender Eigenständigkeit. "Du machst, was du willst", wirft er ihr vor.

Heute ist Sophia Vorarbeiterin und hat in ihrer Firma auch Arslan eine Stelle besorgt. Alles könnte gut sein. Sie haben ein altes Haus mit Garten gekauft, die Töchter studieren - wie angekündigt - Soziale Arbeit und Jura. Sie haben deutsche Freunde, leben für Arslans Empfinden "viel zu deutsch". Sophia aber will in die alte Rolle als türkische Mama nicht zurück, auch wenn der Preis dafür die Entfremdung von Arslan ist. "Was du nicht kennst, vermisst du nicht. Aber jetzt weiß ich, was ich kann", sagt sie.

*Namen geändert