Kirchenasyl: Die Flucht ist nicht zu Ende

Volker Jung besucht Kirchenasyl in Gross-Gerau
Foto: epd/Thomas Rohnke
Volker Jung hat eine Familie aus dem Iran besucht, die in der evangelischen Kirchengemeinde Gross-Gerau bei Darmstadt Kirchenasyl gefunden hat.
Kirchenasyl: Die Flucht ist nicht zu Ende
Eine evangelische Kirchengemeinde in Hessen gewährt einer iranischen Familie seit drei Monaten Asyl. Kirchenpräsident Volker Jung hat die Familie besucht. Trotz der Anspannung zwischen Politik und Kirche, die wegen des Themas Kirchenasyl herrscht.

Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), bedankt sich. Bei der Kirchengemeinde Groß-Gerau für das Asyl, dass sie der iranischen Familie gewährt, die im Mai 2014 nach Deutschland kam und nun seit drei Monaten in der evangelischen Gemeinde Groß-Gerau Süd unterkommt. Volker Jung bedankt sich außerdem ausdrücklich bei der Politik: "Politische Verantwortliche akzeptieren Kirchenasyle. Dafür sind wir dankbar."

Es knirscht bei der stillen Übereinkunft, dass Kirchengemeinden Flüchtlingen Asyl gewähren und die Behörden dies akzeptieren. Es knirscht zwischen Politik und Kirche. Im September hatte die Abteilungsleiterin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Gräfin Ursula von Praschma auf politische Überlegungen hingewiesen, die Sperrfrist für Flüchtlinge, die nach der Dublin-Verordnung in ein Drittland zurückgeschickt werden dürfen, von sechs auf 18 Monate auszuweiten. Außerdem hatte der Präsident des Bamf Kirchenasyle in einem Interview mit dem epd scharf kritisiert.

Zahl der Kirchenasyle gering

Nun sitzt Volker Jung in einem Raum des Gemeindehauses in Groß-Gerau und versucht zu relativieren: "Kirchenasyl ist nicht attraktiv", sagt er. Man sei eingesperrt, könne das Gelände nicht verlassen. "Wir werben nicht für Kirchenasyle", sagt er, "denn sonst würden wir dieses Instrument zerstören." Er ist sehr bemüht darum, die Aufregung klein zuhalten.

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Dass die Aufregung groß sein müsste, lässt sich aus den Zahlen auch nicht erschließen: Die Zahl der Menschen, die Asyl in der Kirche gefunden haben, liegt in Deutschland bei 357. In Hessen beherbergen zurzeit zwölf Gemeinden Flüchtlinge. Als Vorsitzender der Kammer für Migration der EKD hofft Volker Jung nun auf ein Gespräch zwischen Bamf und Kirche, das im ersten Quartal 2015 stattfinden könnte.

Der iranische Flüchtling Amir hingegen, der mit Frau und Kind in Groß-Gerau im Kirchenasyl lebt, darf nun auf eine Wohnung hoffen. Dem Antrag auf ein Asylverfahren in Deutschland ist nun stattgegeben. Nach sechs Monaten des Wartens, Versteckens, Hoffens. Nach sechs Monaten in denen die Abschiebung nach Italien drohte, die Familien im Iran bedroht werden und die Einsicht kam, dass eine Flucht nicht zu Ende ist, wenn man den Boden des Landes betritt, in das man einreisen wollte.

Grundlage des Christlichen

Für Facebook-Posts in der Art von "warum dürfen wir nicht auf der Straße demonstrieren?", "warum gibt es keine vom Volk gestellten Präsidentschaftskandidaten?" hatten er und seine Familie ihr Leben zurücklassen müssen. Um aus dem Iran zu fliehen, hatte Amir bei der italienischen Botschaft in Teheran Schengen-Visa für sich, seine Frau und sein Kind beantragt. Obwohl er nach Deutschland wollte, hier leben zwei seiner Onkel. Doch die Italiener hatten einfach den ersten Termin frei. Amir nahm die Visa und floh. Er musste schnell sein, denn die Sicherheitspolizei hatte ihn schon mehrere Male vorgeladen. Da Deutschland im Schengen-Raum ist, dachte Amir, sei es kein Problem dort einen Asylantrag zu stellen.

Aber nun kennt Amir die Dublin-Verordnung. Diese europäische Verordnung, die zulässt, dass Flüchtlinge in das Land abgeschoben werden dürfen, dessen Boden sie zuerst betraten; dass sie nur dort ihren Asylantrag stellen dürfen. Wer es laut diesem Vertrag allerdings schafft, sechs Monate in Deutschland zu bleiben, darf auch hier einen Asylantrag stellen. Dank des Kirchenasyls schaffte es die Familie sechs Monate zu überbrücken. Und nicht nach Italien abegeschoben zu werden.

"Wir wollen mit dem Kirchenasyl nicht die Dublin-Verordnung kritisieren. Das Kirchenasyl ist kein Instrument der politischen Auseinandersetzung", sagt Volker Jung. Stattdessen sei es Grundlage des Christlichen, verfolgten Fremden Gastfreundschaft zu gewähren. Und auch, wenn das Kirchenasyl nicht die Kritik an einer Verordnung ist - Kritik äußern, darf die Kirche dennoch: "Wir sehen allerdings, dass es deutlichen Nachbesserungsbedarf im Asylrecht gibt", sagt Volker Jung. Und eben deshalb bedarf es einer Grauzone der Humanität, wie sie das Kirchenasyl darstellt.