Darf's noch etwas weniger sein?

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Darf's noch etwas weniger sein?
Einkaufen mit Maß und ohne schlechtes Gewissen
Die Schaufenster sind festlich dekoriert, in den Kaufhäusern läuft "Driving Home For Christmas" rauf und runter, viele Geschäfte locken mit Rabatten und an jeder Ecke wird daran erinnert, dass sicher noch passende Geschenke für Kinder, Eltern und Partner fehlen. Überall werden wir zum Konsum animiert. Nicht nur, aber gerade in der Vorweihnachtszeit. Experten erklären, in welchen Situationen wir besonders anfälllig für Spontankäufe sind.

Eigentlich wollte man nur ein oder zwei Kleinigkeiten besorgen, aber bei den vielen verlockenden Dingen in den Kaufhäusern beschleicht manche Menschen fast ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht mit vielen Tüten bepackt wieder aus dem Laden stiefeln. Einige wollen sich kein Schnäppchen entgehen lassen und bedauern die verpasste Chance, wenn sie aus einem Laden gehen, ohne etwas zu kaufen. Andere wollen gerade in der Adventszeit Freunden und Familie etwas Gutes tun.

Verlockungen an jeder Ecke

Unbedachter, impulsiver Konsum ist laut Konsumpsychologin Michaela Wänke häufiger, wenn man unter Zeitdruck steht, oder in Hektik einkauft. "In solchen Situationen sollte man sich kurz fragen: Brauche ich das wirklich?", sagt sie. "Wenn die ehrliche Antwort 'nein' lautet und man sich die neuen Schuhe trotzdem kauft, also eine Ausnahme macht, dann sollte man sie genießen."

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Außerdem bringt eine Shoppingtour Menschen oft erst auf eine Idee, was sie sich kaufen könnten. Die Wenigsten hätten sich auf den Weg gemacht, um beispielsweise eine Schale aus Olivenholz zu suchen. Wer sie auf dem Weihnachtsmarkt sieht, kauft sie eher. Allein die Verfügbarkeit weckt in solchen Situationen einen Wunsch.

Außerdem gilt: Je einfacher ein Kauf ist, desto eher greift man zu. Wer den leckeren Kuchen in der Vitrine stehen sieht, kauft ihn eher, als wenn er ihn von der Speisekarte bestellen muss. Bei günstigen Produkten ist die Hemmschwelle zum Kauf niedriger als bei Luxusprodukten. Klar ist aber auch: Was als teuer empfunden wird, hängt auch vom eigenen Einkommen ab.

Wenn ein gemeinsamer Einkaufsbummel mit Freunden und Bekannten ansteht, "sind die anderen eine ganz starke Richtschnur, um zu beurteilen, was in einer Situation richtig und angemessen ist", sagt Psychologin Wänke. Gerade wenn jemand unsicher sei, ob er etwas kaufen sollte oder nicht, könnten ihn die anderen dazu animieren, sich etwas zu gönnen, indem alle anderen auch einkauften. Umgekehrt könnten die Freunde auch vom Kauf abhalten. Kauft niemand etwas, schämt man sich vielleicht sogar, wenn man selbst in Kauflaune gerät.

Vorstellung übertrifft Wirklichkeit

Oft genug landen in den Einkaufstüten Produkte, die man schön findet und haben möchte, auch wenn man sie nicht wirklich braucht. Dinge wie ein neues Hemd, neue Schuhe oder ein Schokoladenbrunnen haben Belohnungscharakter. Sie machen glücklich, zumindest kurzfristig. "Denn wer schöne Dinge kauft, dessen Körper schüttet Glückshormone aus. Bei funktionalen Dingen wie Klopapier oder Salz hingegen reagiert das Gehirn kaum", erklärt Psychologe und Neuromarketer Hans-Georg Häusel. Er erklärt unter anderem, was in unserem Gehirn passiert, während wir kaufen.

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Reizvoll fänden Menschen vor allem die Vorstellung, was sie alles mit einem Produkt machen könnten, meint Häusel. Sie stellten sich beispielsweise vor, wie sie gemütlich mit der Familie um den Schokobrunnen herumsitzen und frisches Obst in die leckere Schokoladenfontäne eintauchen. "Die größte Belohnung empfinden wir, wenn wir ein Produkt zum ersten Mal benutzen, danach wird das Gefühl immer weniger", erklärt er. Heißt auch: Erst nachdem der Schokobrunnen gekauft wurde, merkt man, dass man ihn nur etwa einmal im Jahr nutzt, die Schokolade manchmal klumpt und er schwierig zu reinigen ist. Dann ist von der anfänglichen Begeisterung nicht mehr viel übrig und der Belohnungscharakter verschwunden.

Alltagsgegenstände machen länger glücklich

Länger Freude machen Dinge, die man tagtäglich nutzen kann: ein Geschirr, das jeden Tag auf dem Tisch steht, das Auto mit der tollen Soundanlage oder das neue Smartphone, weil man schauen kann, wann die letzte Bahn fährt.

Wie teuer ein Produkt war, spielt für die eigenen Glücksgefühle kaum eine Rolle. "Dinge, die den eigenen Status oder die Individualität beweisen, sind oft richtig teuer", sagt Häusel. "Ein Glücksgefühl lösen die neue Rolex oder der Porsche aber nach dem Kauf vor allem dann aus, wenn der Nachbar oder Kollege sie ehrfurchtsvoll anblickt." Um solch ein Glücksgefühl auszulösen, müssen die entsprechenden Produkte aber auch inszeniert werden.

Kaufhäuser spielen mit Emotionen

Auch die Chefs der Kaufhäuser wissen das und lassen sich eine Menge einfallen, um ihre Produkte in Szene zu setzen und uns zum Kaufen zu animieren. In den Kaufhäusern dudelt Weihnachtsmusik, an manchen Stellen liegen Zimt- oder Mandarinenduft in der Luft. Die Produkte sind extra schön ausgeleuchtet, in einer weihnachtlichen Verpackung, die nicht nur wertvoll aussieht, sondern sich vielleicht auch besonders schön anfühlt.

So wird laut Häusel der "emotionale Wert" der Produkte gesteigert und unser Gehirn auf Weihnachten programmiert. Denn mit Weihnachten verbinden viele Menschen positive Gefühle und wer guter Stimmung ist, kauft mehr, erklärt Häusel. Demnach gäbe es im Jahr zwei Stimmungshochs, die den Konsum antreiben: Urlaub und Weihnachten. "Emotionen sind für das Gehirn sinngebend. Alles, was keine Gefühle auslöst, ist für das Gehirn wertlos", sagt der Experte.

Schenken macht Freu(n)de

Nach Ansicht der Psychologin Wänke soll seit jeher Weihnachten etwas Besonderes sein. Wenn die Familie unter Weihnachtsbaum zusammensitzt, sollen Wohnung und Christbaum hübsch dekoriert sein, tolles Essen auf dem Tisch stehen, der eine oder andere kauft vielleicht sogar noch etwas Hübsches zum Anziehen und Geschenke dürfen natürlich nicht fehlen. In der heutigen Zeit setzen aber beispielsweise Fernsehsendungen und Zeitschriften nach Ansicht der Expertin zunehmend immer höhere Standards. "Es geht nicht mehr nur darum, wie schmücken meine Nachbarn ihr Haus, sondern es gibt immer mehr mediale Vorbilder, die beispielsweise Trends der Weihnachtdeko zeigen", sagt sie. So würden immer neue Anreize geschaffen, um zu konsumieren.

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.

Gerade in der Vorweihnachtszeit kaufen wir viele Dinge aber nicht für uns selbst, sondern sind auch der Suche nach Geschenken für andere. "Die Anbieter spielen mit dem Bedürfnis und Anspruch der Menschen, jemandem eine Freude machen zu wollen. Glückliche Kinderaugen sind eine Befriedigung, nach der wir an Weihnachten suchen", sagt Konsumpsychologin Wänke. 

Wir schenken aber nicht nur, weil wir anderen selbstlos eine Freude machen wollen. "Der Mensch ist ein soziales Wesen", erklärt Neuromarketer Hans-Georg Häusel. "Geschenke sind wichtig, um soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten und zu stärken."

Wänke ergänzt: "Wir haben eine soziale Norm verinnerlicht, die uns sagt: Wenn ich etwas bekomme, gebe ich etwas zurück – weil ich es will, oder das Gefühl habe, es zu müssen." Wir revanchieren uns, wenn uns der Nachbar einen Gefallen getan oder die Kollegin uns zum Essen eingeladen hat. Auch an Weihnachten gibt es kaum etwas Peinlicheres, als wenn mir jemand etwas schenkt, für den ich umgekehrt kein Geschenk habe. "Gerade in solchen Momenten kaufen viele Menschen bei nächster Gelegenheit ein noch größeres oder wertvolleres Geschenk, um das schlechte Gewissen auszugleichen", sagt Wänke. Das sei schon evolutionär betrachtet sinnvoll, da recht sicher ist: Wer etwas gibt, bekommt auch etwas zurück. "Das motiviert – zumindest unbewusst – etwas für andere zu tun", erklärt die Expertin.

Regeln helfen

Damit der Einkaufsbummel nicht im Shoppingmarathon endet, hält es Wänke für eine sinnvolle Möglichkeit, zur Weihnachtszeit Regeln aufzustellen, wer wem was schenkt. Zumindest mit Menschen, die einem nicht sehr nahe stehen. Im Büro könne zum Beispiel die Regel gelten, sich untereinander nichts zu schenken. Oder es wird zu einem vorher ausgehandelten Betrag gewichtelt, sodass jeder ein Geschenk für einen zufällig ausgelosten Kollegen kauft.

Das erspart den Stress bei der Suche nach dem richtigen Geschenk, wenn man nicht weiß, was man schenken soll, genauso wie die Peinlichkeit, kein Geschenk zu haben. Einer guten Freundin, die gleichzeitig Kollegin ist, kann man trotzdem eine Freude machen.

Frauen sind keine Shoppaholiks

Frauen kaufen nach Ansicht des Neuromarketers Häusel deutlich mehr Geschenke für mehr verschiedene Leute als Männer. Während die aber eher teure Technik kaufen, und vor allem bei Geschenken Produkte aussuchen, mit denen sie ihren Status beweisen können, kaufen Frauen günstigere Sachen – zum Wohlfühlen oder um anderen soziale Nähe zu beweisen.

Männer und Frauen konsumieren demnach etwa gleich viel. "In den Einkaufsstraßen sieht man eher die zehn Blusen und den Schmuck, den Frauen gekauft haben, als wenn der Mann eine teure Bohrmaschine im Baumarkt im abgelegenen Gewerbegebiet kauft", sagt Häusel. "Er wird seinen Kauf außerdem damit erklären, dass die leistungsstarke Bohrmaschine nützlich ist. Obwohl zum Bilderaufhängen vermutlich auch eine günstigere Bohrmaschine ausgereicht hätte."

Belohnung durch Erlebnisse

Die Lust am Kaufen aktiviert im Hirn die gleichen Zentren wie Alkohol oder der Konsum von Kokain, erklärt der Experte. Wer sich permanent einem Kaufrausch hingibt, kann kaufsüchtig werden. Schon deshalb ist Einkaufen mit Maß ratsam. Beide Experten raten aber auch dazu, sich hin und wieder etwas zu gönnen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Das müssen keien teuren Dinge sein. Gemeinsame Erlebnisse oder kleine persönliche Aufmerksamkeiten lösen laut Häusel ohnehin mehr Belohnung im Gehirn aus als ein teures Massenprodukt – beim Schenkenden und dem Beschenkten. Dieses Jahr mal wieder selbstgebackene Plätzchen, einen gemeinsamen Ausflug oder eine persönliche Weihnachtskarte verschicken. Häusel meint: "Sie werden weniger kaufen, aber nicht weniger glücklich sein."

Dieser Test erschien erstmals am 9. Dezember 2014 auf evangelisch.de