Vom Führen und Geführtwerden

Foto: Karin Vorländer
Vom Führen und Geführtwerden
Pferdeflüsterer Bernd Osterhammel hat bei den Pferden gelernt, worauf es in der Begegnung mit Menschen ankommt: Auf das Vertrauen. Er findet es auch in seinem Lieblingspsalm wieder, Psalm 23.

Seit seinem dritten Lebensjahr ist kaum ein Tag vergangen, an dem Bernd Osterhammel (Jahrgang 57) ein Pferd nicht zumindest berührt hätte. Auf dem Weg zur Schmiede ließ Großvater Wilhelm den damals Dreijährigen auf dem norwegischen Pony sitzen, das nach dem Krieg in die Familie gekommen war. Auf dem Rückweg, wenn Opa in der Dorfkneipe ein Bier und ein Korn für sich und einen Apfelsaft für den Enkelsohn bestellte, durfte Bernd ganz allein das "große Pferd" halten. "Seitdem glaube ich, dass ich es gut mit Pferden kann", erzählt der schlanke Mann mit dem für ihn typischen verhaltenen Lächeln. Mit Intuition und Beobachtungsgabe wurde er das, was man landläufig einen "Pferdeflüsterer" nennt.

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Pferdefreunde aus nah und fern brachten ihm ihre Tiere, mit denen sie selbst nicht zurechtkamen. Wenn Bernd Osterhammel mit ihnen arbeitete, waren "bockige", verängstigte Pferde, die um sich traten, bissen, scheuten, durchgingen oder einfach nicht taten, was ihre Besitzer von ihnen erwarteten, plötzlich leicht zu leiten. "Pferdemann" Bernd Osterhammel erzog selbst Pferde, für die es häufig genug ansonsten nur noch die Perspektive Schlachthof gegeben hätte.

Der Vier-Generationen-Hof in Nümbrecht-Benroth, wo der "Familienmensch" Bernd Osterhammel in einem Holzblockhaus lebt, wurde zu einem kleinen Mekka für hilfesuchende Pferdebesitzer. Auch für sich selbst erlebte Bernd Osterhammel den Umgang mit Pferden als heilsam: Denn wenn es in dem Ingenieurbüro Stress gab, das er mit gerade mal 25 Jahren von seinem Vater gekauft hatte, flüchtete der Bauingenieur abends zu seinen Pferden. "Nach zwei, drei Jahren als Unternehmer bin ich an der Mitarbeiterführung fast verzweifelt und dachte, das lernst du nie", erinnert er sich an die schweren Anfangsjahre. Auf dem Pferderücken fand er Erholung, Ausgleich und innere Ruhe. "Die Pferde verstehen mich wenigstens", dachte er.

Wo stecken Ängste, Faszination, wo die Liebe?

Fast 25 lang Jahre führte Bernd Osterhammel zwei Leben. Das eine Leben war das als erfolgreicher Unternehmer, dem es gelang, aus der "Albtraumfirma" der Anfangsjahre seine Traumfirma zu machen. Sie expandierte von 3 auf 30 Mitarbeiter, und das, obwohl in der Baubranche Krise angesagt war. Das andere Leben war sein Leben mit den Pferden. Es dauerte lange bis er merkte, "dass es die Pferde waren, von denen ich dachte, dass ich sie ausbilde, meine Lehrer waren". Richtig bewusst wurde ihm das allerdings erst, als Freunde und Kollegen ihn fragten: "Hör mal Bernd, was machst du eigentlich anders? Wie kommt es, dass du so erfolgreich bist?

Bernd Osterhammel

Bernd Osterhammel begann, die Impulse, die er in seinem Umgang mit den Pferden bekam, genau zu analysieren und zu verdichten. "Die Pferde spiegeln unser Dasein auf direkte und auf zutiefst ehrliche Art", hatte er immer wieder erlebt. Was er bei den Pferden über Vertrauen und Respekt, Folgen und Führen, Ursache und Wirkung gelernt hatte, das wandte er zunächst in der eigenen Firma an und gab es dann an andere weiter.

Seine Erkenntnisse für Leichtigkeit und Erfolg in der Leitung und Menschenführung, die seiner Arbeit mit Pferden entstammen, fasst Bernd Osterhammel heute in sechs Kernpunkten zusammen:

1. Vertrauen und Respekt sind Grundlage für ein gelingendes Miteinander.

2. Du wirkst immer – ist dir das bewusst? Meine Stimmungen und Einstellungen haben immer Wirkung auf andere. Es ändert sich immer etwas, wenn ich bei mir selbst etwas ändere.

3. Wenn wir einen anderen zu etwas bewegen wollen, sollten wir wissen, was ihn im Kern zutiefst bewegt. Wo stecken die Ängste, wo die Faszination, wo die Liebe? Nichts motiviert mehr, als gesehen zu werden und Wertschätzung zu erfahren

4. "Merkst du eigentlich, dass ich gar kein Talent habe für das, was du gerade von mir forderst?", war die Botschaft, die er im Training mit einem Pferd plötzlich verstand. Seither arbeitet er nicht mehr an Schwächen von Menschen, sondern macht sich auf die Suche nach deren Stärken und Talenten

5. Beim Jungpferdeeinreiten gewann er eine weitere grundlegende Einsicht: Es gibt nur einen wahren Augenblick, das Hier und Jetzt. "Es ist fatal, mit einem Teil seiner Aufmerksamkeit in der Vergangenheit herum zu grübeln und mit einem anderen Teil in der Zukunft zu stochert und seinen Ängsten und Sorgen nachzugehen. Sei ganz bei dem, was du jetzt gerade tust", lautet deshalb sein Rat

6. Angst schadet. Wenn Pferde Angst haben, suchen sie nach einem Ausweg. Das ist bei Menschen genauso. In Firmen, Gruppen und Familien, in denen viel mit Angst gearbeitet wird, suchen die fähigen Mitglieder zuerst einen Ausweg. Sie steigen aus – oder kündigen innerlich

Psalm 23 als Hintergrundprogramm

Bald kamen nicht nur Pferdebesitzer, sondern auch Führungskräfte nach Benroth. Ganz praktisch lässt Bernd Osterhammel sie in der Reithalle direkt neben dem Blockhaus, in dem er wohnt, erleben, wie ein Pferde reagiert, wenn es mit Respekt und Vertrauen behandelt wird. Firmenchefs erleben mit, dass ein Pferd erspürt, ob der Mensch, der es in Bewegung setzen will, sicher oder unsicher ist, ob er innerlich gut oder schlecht drauf ist – und reagieren entsprechend. Seminarteilnehmer merken, dass ein Pferd sein Bestes gibt, wenn von ihm verlangt wird, wofür es wirklich Talent hat und wie leicht ein Pferd zu führen ist, wenn man ihm die Angst nimmt.

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Bernd Osterhammel kann heute dazu stehen, dass er die Firma damals übernommen hat, um den hohen Erwartungen seines Vaters zu entsprechen. Er weiß, dass Bauingenieur zwar sein Beruf, aber nicht seine Berufung ist. Vor etlichen Jahren wagte er den Schritt, dieser Berufung zu folgen. Heute wird er von Firmenchefs und Managern eingeladen, um seine Impulse über "tierisch einfache Mitarbeiterführung" zu vermitteln. Bei seinen humorvollen, oft tiefgründigen Vorträgen in ganz Deutschland hat er die Pferde immer dabei. Und zwar in Gestalt von Filmen, die deutlich machen, wie leicht und traumhaft sicher Pferde sich führen lassen, wenn sie Vertrauen gefasst haben, weil jemand ihre Sprache spricht und versteht, was sie bewegt.

Der unprätentiös und heiter wirkende Unternehmensberater ist trotz bodenständig und familienverbunden geblieben. Seine drei Enkel nennt er zuerst, wenn er erzählt, was ihn mit Freude erfüllt. Was Bernd Osterhammel im Umgang mit Pferden für die Begegnung mit Menschen gelernt hat, hat für ihn eine sehr persönliche Tiefendemension. Es geht ihm nicht vordergründig um Effizienz, finanziellen Erfolg und ein Leben ohne Tiefen.

Wer Osterhammels Aussagen über Pferde- und Menschenführung kurzschlüssig als schnell anzuwendende Tricks und Tipps für Erfolg deutet, hat ihn wohl gründlich missverstanden. Denn für ihn geht darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass es darum geht zu vertrauen: Vertrauen zu dem Gegenüber, Vertrauen zu sich selbst, Vertrauen in etwas, das größer ist als das eigene Leben. "Bei mir ist das der liebe Gott, ich habe Gottvertrauen", sagt Bernd Osterhammel schlicht. "Je mehr wir uns einlassen, desto mehr werden wir geführt", zeigt er sich überzeugt. Seit Kindertagen ist er nicht nur vertraut mit Pferden, sondern auch mit der christlichen Botschaft. Selbst wenn die manchmal in allzu strengem und engen Gewand von "du musst" und "du sollst" daher kam, nennt er Psalm 23 "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln" sein "Hintergrundprogramm, das total tief sitzt. Das ist mein Psalm und meine Wahrheit", sagt er. Er führt nicht nur Menschen, er weiß sich auch selbst geführt von Gott. Bernd Osterhammel ist angekommen bei sich, bei seiner Berufung und bei vielen Menschen, die auf der Suche sind nach einem Leben, das gelingt.