Bei aller Freude und allem Respekt über den Qualitätsschub, den "Mordkommission Istanbul" derzeit erlebt: Wenn man sieht, welches Potenzial jahrelang ungenutzt in der Reihe geschlummert hat, ist es im Nachhinein fast schade um die früheren Filme. Wie schon die kürzlich ausgestrahlte Episode "Die zweite Spur", so ist auch "Das Ende des Alp Atakan" ein Film von Thorsten Schmidt; das Drehbuch stammt diesmal von Clemens Murath, der eine Geschichte von eindrucksvoller Komplexität erzählt. Schon der Einstieg in den elften Fall für Mehmet Özakin (Erol Sander) ist ungewöhnlich. Der Istanbuler Kommissar schaut sich mit Gattin Sevim (Idil Üner) im Fernsehen die Premierenfeier für eine neue Staffel der beliebten Serie "Alp Atakan" an, als plötzlich ein Schuss fällt: Ein Heckenschütze hat den Hauptdarsteller erschossen.
Das Double
Der Mord ist um so verblüffender, weil der Soap-Darsteller von Martin Umbach verkörpert wird, aber das Opfer war keineswegs der Serienstar Emrah Öztürk, sondern sein Double Fatih Yildirim. Nur kurz zieht Özakin in Erwägung, ob der Anschlag womöglich dem Doppelgänger galt, doch schließlich findet er eine Spur, die in die ostanatolische Provinz führt; hier sind die Wurzeln Öztürks, hier hat er einst eine Schuld auf sich geladen, die nun beglichen werden soll. Tatsächlich kommt es zu einem zweiten Attentat, doch erneut hat der TV-Star Glück: Diesmal trifft die Kugel die Witwe von Fatih Yildirim.
"Das Ende des Alp Atakan" hebt sich im Tonfall deutlich von den früheren Werken der Reihe ab: Die Geschichte ist durch und durch Krimi. Die einst obligaten Comedy-Elemente sind vollständig verschwunden; prompt spielt Özakins für die komödiantischen Einlagen zuständiger Kollege Mustafa (Sánchez Oscar Ortega) nur noch eine Nebenrolle. Die Fans von Erol Sander wird’s nicht weiter stören. Die Konzentration auf die Hauptfigur tut dem Film sogar gut: Özakin war schon immer ein Repräsentant der fortschrittlichen Türkei, aber in den beiden neuen Produktionen sind seine Kommentare spürbar schärfer geworden. Wie groß die Kluft zwischen Tradition und Moderne ist, zeigt sich gegen Ende, als Özakin in Anatolien rausfindet, dass Öztürk Opfer eines Ehrenmordes werden sollte; der Kontrast zwischen dem Kommissar mit seinem maßgeschneiderten Anzug und den Einheimischen mit ihren wettergegerbten Gesichtern ist ähnlich groß wie der Unterschied zwischen dem in den Zwischenschnitten diesmal fast wie eine US-Metropole wirkenden Istanbul und den ärmlichen Hütten, die in der kargen Steppe kauern. Interessanterweise stört dieser Ausflug, bei dem Schmidt das Erzähltempo dem entschleunigten Leben auf dem Land anpasst, den Fluss der Handlung überhaupt nicht; auch das spricht für das Talent des Regisseurs.
Murath sorgt mit seinem Drehbuch ohnehin dafür, dass "Das Ende des Alp Atakan" die Türkei nicht bloß als exotischen Hintergrund nutzt. Das hängt eng mit einer zweiten fremden Welt zusammen, die Özakin kennen lernt. Blicke hinter die Kulissen von Film und Fernsehen sind immer reizvoll, aber dank der süffisanten Seitenhiebe des Kommissars sind sie hier ein echtes Vergnügen. Martin Umbach hat zudem sichtbare Freude daran, als aufgeblasener Soap-Star das Showbusiness zu personifizieren. Ebenfalls gut ins Ambiente passt Ulrike Folkerts als zynische Produzentin: Ebru Dede hat entscheidenden Anteil daran, dass die Geschichte noch nicht ausgestanden ist, als Özakin auch einen dritten Anschlag auf Öztürk verhindert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Sie sorgt mit ihren Einblicken ins Showgeschäft zudem für einige ungewohnt kritische Töne: Die Serie "Alp Atakan", heißt es, verdanke ihre Popularität nicht zuletzt den erotischen Szenen, weshalb die Produktionsfirma von den Fundamentalisten angefeindet werde. Die schönen türkischen Schauspielerinnen sind allerdings auch ein echter Blickfang. Darüber hinaus ist "Das Ende des Alp Atakan" nicht nur sehens-, sondern auch hörenswert: Die Dialoge sind ebenso ausgezeichnet wie die orientalisch geprägte Musik von Andreas Koslik; sie sorgt dafür, dass der Film selbst in seinen ruhigen Phasen nie an Spannung verliert.