Dass Regisseure immer wieder die Drehbücher ganz bestimmter Autoren verfilmen, ist nicht ungewöhnlich und leicht nachvollziehbar: weil beiden offenbar die gleichen Bilder vorschweben und sie auch sonst vermutlich auf einer Wellenlänge liegen. Vergleichbare Parallelen zwischen Autor und Schauspieler sind dagegen deutlich seltener, und doch ist "Nord bei Nordwest" bereits die neunte Verfilmung eines Drehbuchs von Holger Karsten Schmidt, in der Hinnerk Schönemann die Hauptrolle spielt; gemeinsam sind sie für "Mörder auf Amrum" mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden. Der Autor sagt zwar, es sei ihm beim Schreiben eher hinderlich, wenn er einen konkreten Schauspieler vor Augen habe, aber für Schönemann macht er wohl eine Ausnahme. Der Film ist Auftakt einer neuen Krimireihe des NDR, die für den gebürtigen Rostocker entwickelt worden ist.
Ein erschossener Fischer
In praktisch allen Geschichten Schmidts spielt Schönemann einen Mann, der Polizist ist oder es zumindest mal war (etwa als Privatdetektiv Finn Zehender, zuletzt in "Mord in Aschberg"). Meist gerät er unfreiwillig in Sachverhalte, die umgehend aus dem Ruder laufen, denn ganz im Sinne Loriots kombiniert Schmidt stinknormale Szenen gern mit einer Prise Wahnsinn. Das ist in "Käpt’n Hook", wie der erste Film der Reihe heißt, nicht anders: Tierarzt Hauke Jacobs hat sich samt Hund ans Ende der Welt zurückgezogen, um seine Ruhe haben; im früheren Leben war er Kommissar in Hamburg. Auf dem dünn besiedelten Priwall, einer Halbinsel im Osten Schleswig-Holsteins, will er mit Menschen nach Möglichkeit nichts mehr zu tun haben. Das lässt sich jedoch naturgemäß nicht immer völlig vermeiden, zumal er an seinem ersten Morgen ein Boot mit zwei weitgehend unbekleideten erschossenen Fischern entdeckt. Dorfpolizistin Lona Vogt (Henny Reents) ist zwar eifrig und forsch, aber auch etwas überfordert. Eigentlich hat Jacobs mit Ermittlungsarbeit nichts mehr am Hut, aber dann ist er plötzlich doch mittendrin in diesem Fall.
Eine ganze Weile lang hat der Film das Etikett "Krimi" gar nicht verdient, weil sich der für seine Kurzfilme vielfach ausgezeichnete Regisseur Marc Brummund darauf beschränkt, den Einheimischen beim Leben zuzuschauen. Schmidts Geschichten orientieren sich ohnehin gern am klassischen Western-Muster; "Mörder auf Amrum" ist ein Paradebeispiel dafür. Auch "Käpt’n Hook" - der Titel bezieht sich auf einen nunmehr verwaisten Papagei, den Jacobs auf dem Schiff findet - beginnt wie ein klassischer Clint-Eastwood-Film. "Ein Fremder kommt in die Stadt": Bei Schmidts Provinzkrimis genügt das im Zweifel schon als Inhaltsangabe. Selbstredend bleibt es nicht bei den ersten beiden Leichen; der Film schließt mit einer zünftigen Ballerei, in deren Verlauf nicht nur die Schurken ins Gras beißen.
Bis dahin aber erfreut die Geschichte durch ihre leicht skurrilen Figuren, allen voran neben der Polizistin die nicht minder rothaarige Arzthelferin (Marleen Lohse) von Jacobs’ Vorgänger, die dank ihrer
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Redseligkeit ein wunderbarer Gegenentwurf zum wortkargen Tierarzt ist. Diese Maulfaulheit ist neben ihrem offenbar einem ähnlichen Sinn für schwarzen Humor vielleicht der Hauptgrund, warum Schönemann der perfekte Verkörperer von Schmidts Protagonisten ist. Beide, der Darsteller wie der Autor, kommen am liebsten mit so wenig Dialog wie möglich aus, und auch das ist ein spezielles Qualitätsmerkmal von Schmidts Drehbüchern: Wo Handlungen anderswo zwischendurch gern mal zusammengefasst werden und man meist auch erfährt, was den handelnden Personen gerade durch den Kopf geht, lassen Schmidt und Schönemann dem Publikum viel Raum für eigene Gedanken. In "Käpt’n Hook" gelingt das besonders gut, weil die Bildgestaltung (Eeva Fleig) gemeinsam mit der angemessen entschleunigten Musik (Stefan Hansen) zumindest bis zum Finale für viele kontemplative Momente sorgt. Nebenbei gibt es noch einige bloß kurz angerissene Handlungsfäden, die eine Menge Stoff für die nächsten Filme bieten. "Käpt’n Hook" hat sicher nicht ganz die herausragende Dichte, mit der Regisseur Markus Imboden Schmidts Bücher umsetzt, aber der Schweizer hat gegenüber Brummund auch vierzig Filme Vorsprung, darunter allein neun Schmidt-Adaptionen.
Angeblich beruhen die mitunter geradezu genial verkürzten Dialoge Schönemanns übrigens nicht zuletzt auf einer gewissen Textschwäche des Schauspielers. Sollte das tatsächlich so sein, wäre das in diesem Fall kein Handicap, sondern eine kongeniale Interpretation des Drehbuchs.