Für die evangelische Kirche gibt es keinen Masterplan

Nikolaus Schneider am Gendarmenmarkt in Berlin
Foto: epd-bild/Rolf Zöllner
Nikolaus Schneider am Gendarmenmarkt in Berlin
Für die evangelische Kirche gibt es keinen Masterplan
Zum 10. November 2014 legt Nikolaus Schneider sein Amt als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nieder. Der 67-Jährige will Zeit für seine Frau Anne haben, die an Krebs erkrankt ist. Nach vier Jahren an der Spitze des Rates zieht Schneider eine selbstkritische Bilanz: Die Treffen mit den Päpsten Franziskus in Rom und Benedikt XVI. in Erfurt seien Höhepunkte gewesen, die Vorbereitungen auf das Reformationsjubiläum lägen im Plan. Schneider räumt aber auch ein, beim Familienpapier der EKD die Kritiker unterschätzt zu haben, denen die Ehe zu kurz kam.
08.11.2014
epd
Thomas Schiller

In der kommenden Woche treten Sie vom Ratsvorsitz der EKD zurück - einem Amt, das Sie nie angestrebt haben, sondern in das Sie nach dem plötzlichen Rücktritt von Margot Käßmann nachgerückt sind. Wie hat sich dadurch Ihre Lebensplanung verändert?

Nikolaus Schneider: Wäre es nach Plan gegangen, hätte ich den stellvertretenden Ratsvorsitz bis zum Ende der Wahlperiode innegehabt. Dies hätte ich gern verbunden mit meinem Engagement im Bereich der Entwicklungspolitik und der Diakonie. Das musste ich leider für den Ratsvorsitz aufgeben. Der Ratsvorsitz hatte auch zur Folge, dass ich nach meiner Pensionierung als rheinischer Präses im März 2013 stärker in kirchenleitendes Handeln eingebunden war als geplant.

"Die gegenwärtige Sterbehilfe-Debatte nehme ich mit großem Respekt zur Kenntnis, weil sie sehr ernsthaft geführt wird"

Der Grund Ihres vorzeitigen Rücktritts war die Krebsdiagnose bei Ihrer Frau Anne im Juni. Wie geht es ihr?

Schneider: Meine Frau ist in einer Krebstherapie. Die ist mit harten Nebenwirkungen verbunden. Wir kennen langsam den Rhythmus, und wir lernen, damit zu leben. Wir sind zuversichtlich, weil die Therapie wirkt.

###mehr-artikel###

Sie hatten mit Ihrer Frau im Sommer gemeinsame Interviews gegeben, von denen vor allem die sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sterbehilfe zu öffentlicher Aufmerksamkeit geführt hat. Sie haben einerseits die kirchliche Position zur Ablehnung der Sterbehilfe vertreten. Andererseits würden Sie aber Ihre Frau in die Schweiz begleiten, wenn sie dies wünsche. Wie schätzen Sie die gegenwärtige Debatte um eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe ein?

Schneider: Die gegenwärtige Debatte nehme ich mit großem Respekt zur Kenntnis, weil sie sehr ernsthaft geführt wird. Es zeigt sich, dass im politischen Diskurs neben der Selbstbestimmung die Bewahrung und der Schutz des Lebens an wichtiger Stelle stehen. Auch die Sterbephase wird als eine Lebensphase betrachtet. Und es geht um die Frage: Wie können wir diese Phase möglichst gut für die Sterbenden gestalten.

Kann die Debatte mit einer gesetzlichen Neuregelung abgeschlossen werden?

Schneider: Das Thema geht über die Frage hinaus, ob Menschen selbst ihrem Leben ein Ende setzen dürfen, ob man das staatlich garantieren soll oder ob das eine ärztliche Leistung werden soll. Man müsste darüber hinaus fragen: Wird das Lebensende nicht eigentlich unnötig verlängert? Wird nicht am Ende des Lebens häufig übertherapiert? Wie sind das Palliativnetz und die Hospizversorgung entwickelt, und werden sie hinreichend finanziert? Vielleicht sind das die eigentlichen Fragen angesichts von 800.000 Menschen, die jährlich in unserem Land sterben.

"Wir blicken mit Zuversicht auf das 500. Reformationsjubiläum im Jahr 2017"

Was waren Höhepunkte Ihrer Amtszeit?

Schneider: Die Begegnungen mit den beiden Päpsten Benedikt XVI. in Erfurt und Franziskus in Rom gehören sicher dazu. Bei beiden Begegnungen wurde deutlich, dass unsere Kirchen sich gemeinsam in der Nachfolge Christi verstehen, sich in ihrer Verschiedenheit respektieren und auch herausfordern. Sehr bewegend waren auch die Treffen mit dem ökumenischen Patriarchen Bartholomäus in Istanbul und im Berliner Dom.

Wie steht es um das ökumenische Verhältnis mit der römisch-katholischen Kirche heute, drei Jahre vor dem Reformationsjubiläum 2017?

Schneider: Die katholische Seite spricht vom Reformationsgedenken, einige Bischöfe sprechen auch von Reformationsfeier. Das ist noch ein Prozess. Ich glaube, es wird sich erst 2017 im Vollzug herausstellen, ob unsere katholischen Glaubensgeschwister bereit sind, mit uns zu feiern. Wir wollen ja gemeinsam Christus feiern - und nicht die Überlegenheit des Protestantismus anderen Konfessionen gegenüber. Wir setzen darauf, dass es uns gelingen wird, jeden triumphalistischen Ton und auch jede Deutschtümelei zu vermeiden.

Seit sieben Jahren läuft die sogenannte Lutherdekade bis 2017. Wie schätzen Sie den Stand der Vorbereitungen ein - ist alles im Plan?

Schneider: So weit ich es überblicken kann, sind die Planungen so weit fortgeschritten, dass wir zuversichtlich auf 2017 blicken können.

"Ich hatte den massiven Protest zum EKD-Papier zur Familienpolitik nicht erwartet"

Ihr Vorgänger Wolfgang Huber hatte unter dem Titel "Kirche der Freiheit" einen Reformprozess für die EKD angestoßen. Ist die evangelische Kirche durch den Reformprozess frömmer geworden?

Schneider: Ein Ergebnis des Reformprozesses ist eine neue Offenheit, für den Glauben und für die Kirche zu werben. Nicht mehr unbedingt mit "Zeltmissionen", aber durchaus mit "Glaubenskursen". Es ist mittlerweile anerkannt, dass Mission zum Auftrag unserer Kirche gehört - und zwar als "Querschnittsaufgabe". Man kann in einer evangelischen Kirche aber keinen "Masterplan" auflegen, wie es der Staat oder ein Konzern könnte. "Top down" funktioniert bei uns nicht.

Im vergangenen Jahr hat die Vorstellung eines EKD-Papiers zur Familienpolitik zu erheblichen kircheninternen Diskussionen geführt. Kritiker bemängelten vor allem, dass das Leitbild der Ehe nicht hinreichend gewürdigt werde. Hatten Sie das anfangs unterschätzt?

Schneider: Ich hatte diesen massiven Protest nicht erwartet. Der theologische Teil war knapp und kurz. Darin wurde eine Ethik entfaltet, die nicht viel zu den Institutionen wie der Ehe sagte. Aus diesem Grunde hat der Rat der EKD die Kammer für Theologie gebeten, dies noch einmal theologisch nachzuarbeiten. Das sollte eigentlich vor dem Sommer fertig werden. Ich bedaure nun, dass ich das Ergebnis im Rat nicht mehr mit beraten und bedenken kann.

"Wir werden nicht die Waffen segnen"

Während Ihrer gesamten Amtszeit hat Sie das Thema Krieg und Frieden angesichts immer neuer Konflikte in der Welt begleitet. Die Antworten darauf sind schwieriger geworden, zuletzt bei der Bewertung von Waffenlieferungen an Kurden im Irak. Bleibt unter dem Druck der Tagespolitik noch genügend Zeit, friedensethische Positionen zu reflektieren?

###mehr-links###

Schneider: Ja, durchaus. Der Rat der EKD hat sich diese Zeit genommen. Unsere friedensethischen Positionen haben sich bewährt. Wir haben 2007 schon reflektiert: Was ist zu tun, wenn alle zivilen und diplomatischen Mittel versagen angesichts einer überbordenden Gewalt und Brutalität? Kann in diesem Fall ein Militäreinsatz die "ultima ratio" sein? Das haben wir unter bestimmten Bedingungen bejaht.

Die differenzierte Position für mögliche Militäreinsätze ist aber bei Pazifisten in der evangelischen Kirche auf Widerspruch gestoßen.

Schneider: Wir haben auch im Bereich unserer Kirchen unterschiedliche Positionen. Ich halte es für eine Stärke unserer Kirche, dass die verschiedenen friedensethischen Positionen gegenseitig als im Evangelium gegründete Überzeugungen respektiert werden.

Wie stellt sich das bei der gegenwärtigen Krise im Nahen und Mittleren Osten dar?

Schneider: In Bezug auf den Terror des "Islamischen Staates" (IS) in Syrien und im Nordirak hat der Rat die "ultima ratio" als gegeben angesehen. Wir brauchen aber die pazifistischen Rückfragen an unsere Positionierungen, damit wir nicht zu schnell auf Waffenlieferungen und militärische Interventionen setzen. Wir dürfen es uns nicht zu leichtmachen. Wir werden nicht die Waffen segnen. Neben unseren Friedensgebeten und Andachten ist es unsere erste Aufgabe als Kirche, die Menschen zu besuchen, die unter dem Krieg leiden, und Nothilfe zu leisten - etwa durch die Diakonie Katastrophenhilfe. Es gehört allerdings auch zu unserer Verantwortung, die Helfer zu schützen und sicherzustellen, dass die Hilfe auch den Menschen nachhaltig zugutekommt - und das geht manchmal nicht ohne Militär.