Menschen mit Träumen und Traumata

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Menschen mit Träumen und Traumata
"Wenn Sie alle Möglichkeiten hätten und alles Geld: Wie würde der Umgang mit Flüchtlingen dann idealerweise aussehen?" Diese Frage haben wir verschiedenen Menschen gestellt, die sich in ihrer täglichen Arbeit mit Migration und Flüchtlingen beschäftigen. Hier die Antwort von Migrationsforscherin Miriam Schader.

Einen idealen Umgang mit Flüchtlingen gibt es nicht. Ideal wäre ausschließlich, die Ursachen dafür zu bekämpfen, dass Menschen überhaupt zu Flüchtlingen werden: Ideale Flüchtlingspolitik würde Flucht unnötig machen. Sie wäre eine globale Wirtschafts-, Handels-, Umwelt-, Friedens-, Menschen- und Arbeitsrechtspolitik, die das Wohl aller Menschen zum Ziel hätte; eine Politik, die Flucht vor Krieg, Hunger, Umweltzerstörung, Armut und Verfolgung unnötig machte. Menschen würden migrieren, weil sie Lust auf etwas Neues hätten, weil sie gerne anderswo studieren, eine neue Sprache lernen, einen interessanten Job annehmen möchten – oder weil sie sich verliebt hätten. Aus ihrer Heimat fliehen müssten sie nicht.

Doch die Utopie einer gerechten und friedlichen Weltordnung ist zurzeit genau das: eine Utopie. Flucht gehört zum Alltag dieser Welt. Und solange es Flüchtlinge gibt, müssen wir fragen, wie in einem schlechten System der gute Umgang mit Flüchtlingen aussehen kann. In ein paar Sätzen lässt sich das nicht beantworten. Doch lassen sich ein paar grundlegende Elemente grob umreißen.

Gute Flüchtlingspolitik nähme jeden einzelnen Menschen als Individuum mit unantastbarer Würde ernst. Menschen würde das Recht zugestanden, ihre Heimat zu verlassen und anderswo ihr Glück zu versuchen: aus politischen ebenso wie aus ökonomischen Gründen. Wenn derzeit ein großer Teil von Asylanträgen abgelehnt und vielen Menschen kein Flüchtlingsschutz zugestanden wird, bedeutet das nicht, dass es kaum Verfolgung auf der Welt gibt. Vielmehr kommen zu den vielen Menschen, die vor politischer Willkür, Krieg und Diskriminierung aus ihrer Heimat fliehen, genauso viele, die für sich und ihre Familien einen Ausweg aus großer Armut suchen. Deshalb wäre es wichtig, Arbeitsmigration zu erleichtern, damit Menschen nicht den gefährlichen Weg übers Mittelmeer wagen müssen, um in der EU zu arbeiten.

Das wäre nicht nur für die Migranten eine Erleichterung, sondern auch für die europäischen Arbeitsmärkte. Denn entgegen der verbreiteten Annahme, es kämen nur die Ärmsten der Armen ohne Bildung und Kompetenzen zu uns, sind es oftmals gerade die gut Ausgebildeten, die Arbeit in der EU suchen. Häufig aber landen sie in Schwarzarbeit und Illegalität. Dürften sie offiziell arbeiten, könnten sie auch mit offiziellen Papieren und den damit verbundenen Rechten nach Europa kommen. Ihre Herkunftsländer würden von dem Geld profitieren, das sie in ihre Heimat schicken; denn schon seit Jahren übersteigen ihre Überweisungen in vielen Fällen die staatlichen Hilfszahlungen für ihre Länder. Gleichzeitig gäbe es in der EU mehr Fachkräfte, aber weniger Schwarzarbeit und Lohndumping. Und es blieben mehr Kapazitäten für Flüchtlinge, die tatsächlich Schutz vor Verfolgung und Tod suchen.

Gute Flüchtlingspolitik muss Wege eröffnen, nicht versperren

Im engeren Sinne wäre gute Flüchtlingspolitik eine, die Menschen auf der Flucht als Träger unveräußerlicher Rechte anerkennt und ihnen ihre Eigenständigkeit und Fähigkeit zur Selbstverantwortung nicht abspricht. Auf EU-Ebene müsste dazu als erstes das Dublin-Verfahren abgeschafft werden. Momentan zwingt es Flüchtlinge dazu, ihren Asylantrag in dem Land zu stellen, in dem sie die EU zum ersten Mal betreten haben – was zu vielen Abschiebungen führt. Hier wäre ein Verfahren nötig, das in allen Ländern gleich gute Bedingungen für Asylverfahren garantiert und die Kosten auf europäischer Ebene gerecht verteilt, anstatt Menschen hin- und herzuschieben.

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Auch müssten Wege eröffnet werden, Menschen die Flucht zu erleichtern. So erhalten syrische Flüchtlinge derzeit – sind sie erst einmal da – in Europa in den meisten Fällen Schutz. Legal einreisen aber dürfen sie meist nicht. Tragödien wie die der ertrunkenen Flüchtlinge vor Lampedusa vor einem Jahr lassen sich nur verhindern, wenn der Weg über das Mittelmeer nicht als letzter Ausweg erscheint. Es müssten großzügige Kontingentregelungen geschaffen werden, die den Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten die Flucht nach Europa ermöglichen. Gute Flüchtlingspolitik wäre eine, die Wege eröffnet und die Verantwortung des Nordens für Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten sowie aus autoritären Staaten anerkennt.

Auf nationaler und kommunaler Ebene müsste Flüchtlingspolitik vorausschauend sein. Als nach der Einschränkung des Rechts auf Asyl in Deutschland die Bewerberzahlen ab Mitte der 1990er Jahre stark sanken, wurden die Kapazitäten zur Aufnahme von Flüchtlingen stark reduziert – eine Strategie von erstaunlicher Kurzsichtigkeit. Denn bedrohte Menschen verzichten nicht auf Flucht, nur weil der Deutsche Bundestag beschließt, wer aus sicheren Drittstaaten einreise, könne hier kein Asyl mehr erhalten. Sie bleiben auch nicht deshalb in ihren Heimatländern, weil das Asylbewerberleistungsgesetz ihnen noch weniger Mittel für den Unterhalt zugesteht als den Empfängern von Arbeitslosengeld II.

Menschen kommen zu uns, weil sie in Not sind, und wenn wir nicht den letzten Rest unserer Humanität verlieren wollen, kann sich Europa nicht so sehr abschotten, dass es von außerhalb für niemanden mehr erreichbar ist. Das zentrale Argument für Abschottung lautet oft, dass Anreize für Flüchtlinge vermieden werden müssten. Eine gute Flüchtlingspolitik aber würde nicht so hohl argumentieren. Sie würde Voraussetzungen schaffen, um Menschen in Not aufzunehmen, sie menschenwürdig zu behandeln und ihnen eine Zukunft zu bieten.

Flüchtlinge sind keine Knetmännchen

Dass wir in Deutschland trotz einer im Vergleich zur Türkei, dem Libanon oder vielen afrikanischen Staaten geringen Zahl an Flüchtlingen derzeit eine krisenhafte Situation in vielen Flüchtlingsunterkünften erleben, ist ein hausgemachtes und teilweise kalkuliertes Problem. Zum einen geht es um föderale Machtkämpfe; zum anderen darum, eine Situation zu schaffen, in der das Asylrecht weiter eingeschränkt werden konnte. Außerdem geht es darum, Wählerstimmen am rechten Rand zu fischen. Dass immer mehr Menschen aus Afghanistan, Somalia, Russland, der Ukraine, Syrien und dem Irak fliehen würden, war absehbar. Und: Vor 20 Jahren wurden jährlich rund viermal so viele Asylanträge in Deutschland gestellt wie 2013 – aber heute sind wir überfordert?

Derzeit wird der Betrieb vieler Aufnahmeeinrichtungen ausgelagert und an nicht-staatliche Anbieter übertragen. Oft jedoch werden damit keine mit dieser Aufgabe erfahrenen Organisationen beauftragt, sondern Sicherheitsfirmen, die auf Gebäudesicherung spezialisiert sind. Und in deren Obhut werden dann aus Kostengründen Menschen – auch Kinder – übergeben, die häufig schwer traumatische Erlebnisse hinter sich haben. In Ländern wie Schweden und Großbritannien lebt der größte Teil der Flüchtlinge in eigenen Wohnungen. In Zürich wird nur in Ausnahmefällen auf Sammelunterkünfte zurückgegriffen. Deutschland oder Österreich sollten hier einen Blick über den Tellerrand wagen und sich an ihren europäischen Nachbarn orientieren.

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Flüchtlinge sind keine interesselosen, flexibel anpassbaren Knetmännchen, sondern Menschen mit Wünschen und Vorstellungen über das Leben, mit kulturellen Prägungen und politischen Meinungen, mit Traumata und mit Träumen. Nicht immer passt all das zu den Wünschen, Vorstellungen und Ansprüchen derjenigen, die schon da sind. Selbst die hilfsbereitesten und interkulturell erfahrensten unter denjenigen, die mit den Neuankömmlingen zu tun haben, müssen mit Frustrationen leben. Viele gut gemeinte Angebote können an den Bedürfnissen der Adressaten vorbeigehen. Das ist auch für diejenigen nicht einfach, die die Angebote machen. Wir brauchen also auf Stadtteil- und Einrichtungsebene ausreichend pädagogisches Personal, um Hilfe richtig zu kanalisieren und Enttäuschungen aufzufangen.

Gute Flüchtlingspolitik würde nicht den Eindruck vermitteln, dass der Aufenthalt von Flüchtlingen von kurzer Dauer wäre. Im Gegenteil, sie ginge davon aus, dass Flüchtlinge kommen, um zu bleiben, und sie nähme die damit verbundenen Herausforderungen ernst. Eine gute Flüchtlingspolitik würde Ängste nicht herunterspielen und instrumentalisieren. Viele Flüchtlinge werden den Traum von der Rückkehr lange wachhalten, doch können sie und vor allem ihre Kinder trotzdem nur dann hier zurechtkommen, wenn sie eine langfristige Perspektive in Deutschland geboten bekommen. Davon würden auch die lokalen Kommunen und Nachbarschaften profitieren, denn mit einer langfristigen Perspektive können Menschen Teil der Gesellschaft werden. Gute Flüchtlingspolitik wäre eine, die auf Partizipation und Teilhabe setzt, statt auf Unsicherheit und Isolation.