Vermutlich ist es ganz vernünftig, dass die Fälle rund um das "Starke Team" nicht jedes Mal die alten Zeiten bemühen. Hin und wieder aber nutzen die Autoren Otto Garbers Vergangenheit als Volkspolizist, um die Gegenwart mit der Vergangenheit zu verknüpfen. Selten jedoch war das so ausgeprägt der Fall wie in "Späte Rache". Das Drehbuch von Leo P. Ard (Jürgen Pomorin) erzählt zudem eine Geschichte, die nur in Berlin stattfinden kann: Bei einer Stadtrundfahrt wird eine Frau ermordet. Allerdings zeigt sich bald, dass der Heckenschütze mit seinem aus alten russischen Beständen stammenden Präzisionsgewehr das eigentliche Ziel verfehlt hat: Hinter der Touristin saßen der Amerikaner Alwin Elliott und seine aus Berlin stammende Gattin Christiane (August Zirner, Katja Flint). Das Ehepaar ist anlässlich der Beerdigung ihres Vaters zum ersten Mal seit dem Mauerfall wieder in der Stadt. Die Ermittlungen führen Garber (Florian Martens) und seine Kollegin Verena Berthold (Maja Maranow) erst zu einer russischen Familie und dann zurück in die Zeit des Kalten Krieg, als sich die Geheimagenten an der Nahtstelle zwischen aus Ost und West gegenseitig belauerten: Irgendjemand will offenbar eine alte Rechnung begleichen.
Finale auf der Glienicker Brücke
Tatsächlich hat "Späte Rache" ein bisschen was von John le Carré, zumal sich beide Seiten zum Finale auf der Glienicker Brücke einfinden, wo CIA und KGB regelmäßig ihre aufgeflogenen Spione ausgetauscht haben. Thorsten Näter und Kameramann Joachim Hasse haben die Geschichte in Bilder umgesetzt, die ähnlich kühl sind wie die aktuelle le-Carré-Verfilmung "A Most Wanted Man". Während es sich der Kinofilm leisten kann, sich auch emotional am Gefrierpunkt zu bewegen, muss ein ZDF-Samstagskrimi natürlich viel mehr Nähe herstellen: am besten über die Figuren. Bei Garber und Berthold funktioniert das auch, weil sie einfach nicht dazu kommen, ihr Jubiläum von zwanzig gemeinsamen Dienstjahren zu feiern (1994 hat das ZDF die erste Folge ausgestrahlt). Davon abgesehen aber fällt "Späte Rache" aus dem Rahmen der Reihe. Die obligaten komödiantischen Elemente sind diesmal nicht nur auf ein Minimum reduziert, sie stören zum Teil sogar den Fluss der Handlung, wenn sich beispielsweise Abteilungsleiter Reddemann (Arnfried Lerche) zum Trottel macht, als er in radebrechendem Englisch mit den amerikanischen Behörden telefoniert.
Spätestens die herausragend gute Musik von Axel Donner macht ohnehin deutlich, dass Näter in erster Linie einen Thriller im Sinn hatte. Gerade die Passagen mit Trompetensoli im Stil von Miles Davis sorgen für eine Untermalung, die eines Kinofilmsoundtracks würdig wäre. Der Regisseur wiederum, im Krimigenre routiniert wie kaum ein anderer, steigert die Spannung immer wieder mit Parallelmontagen. Auch wenn der Bluff am Schluss für Manches entschädigt: Der Film wäre noch besser, wenn die auf reizvolle Weise undurchsichtige Geschichte nicht einige offenkundige Schwachstellen und Logiklöcher hätte.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zum Ausgleich erfreut "Späte Rache" mit einigen hübschen Details; der Dobermann des russischen Familienoberhaupts (Wladimir Tarasjanz) zum Beispiel trägt den Namen von KGB-Gründer Dserschinski, ist aber lammfromm. Davon abgesehen, ist es immer eine Freude, Martens und Maranow (mit neuer Kurzhaarfrisur) als Team zu erleben, und die schöne Natalia Belitski (als Tochter des Russen) empfiehlt sich dringend für Hauptrollen in populären Produktionen.