Es dauert eine Weile, bis die Geschichte ins Rollen kommt, doch dann nimmt sie, wie Sportreporter gern sagen, richtig Fahrt auf. Aus Sicht des früheren Leipziger Bonzenanwalts Florian Faber (Francis Fulton-Smith), der nach einem beinahe tödlich verlaufenen Autounfall sein soziales Gewissen entdeckt hat, beginnt dieser dritte "Fall von Liebe" jedoch mit einer Niederlage: Ein Mandant hat von seinem Arbeitgeber, einem Spediteur, die fristlose Kündigung bekommen, weil er angeblich einen LKW privat benutzt hat. Faber ist zunächst zuversichtlich, aber dann fällt seine vermeintliche Entlastungszeugin um: Die Frau gibt zu, mit dem jungen Mann in besagtem Laster "rumgemacht" zu haben. Der Anwalt ist stinksauer, doch Freundin Sarah (Marielle Ahrens) wittert eine große Story: Die Journalistin hört zufällig mit, wie sich zwei Zuschauerinnen im Gerichtssaal über die Speditionsfirma unterhalten, und findet schließlich raus, dass der fiese Inhaber mit miesen Tricks arbeitet.
Plötzlich ändert sich alles
Von Regisseur Jorgo Papavassiliou und Autor Ulrich del Mestre stammen auch die beiden ersten Teile der gemeinsam von MDR und Degeto in Auftrag gegebenen Reihe "Ein Fall von Liebe", und tatsächlich wirkt "Annas Baby" zunächst im schlechten Sinne routiniert: Die jungen Darsteller agieren wie in einer täglichen Serie, und auch die ungleich erfahrenere Mariella Ahrens investiert mimisch ein bisschen viel; allein Francis Fulton-Smith weiß, wann Ausstrahlung genügt, und wirkt daher enorm lässig. Da auch die Handlung keine rechte Spannung entwickelt, fällt um so deutlicher auf, dass die Bildgestaltung (Yvonne Tratz) bloß durchschnittliches Fernsehfilmniveau entwickelt.
Und dann ändert sich plötzlich alles. Der Wandel beginnt mit einer Einstellung, die tatsächlich mehr als tausend Worte sagt: Eine Frau sitzt auf einem Spielplatz, doch ihr Gesicht ist dank der Schärfentiefe bloß ein verschwommener Fleck. Das Bild wirkt wie ein Ausschnitt aus einer Dokumentation, in der ein Zeuge nicht erkannt werden soll, und man weiß: Diese Frau (Julia Jäger) wäre gern Mutter. Nun ergibt sich auch der Sinn des Filmtitels: Anna (Fabienne Haller) ist die hochschwangere Freundin des gekündigten Speditionsmitarbeiters (Benjamin Trinks). Sie hat beim Prozess von seinem Seitensprung erfahren und umgehend die Wohnung verlassen; nun irrt sie durch die Stadt. Als sie von Katharina, der Frau vom Spielplatz, angefahren wird, wandelt sich die Geschichte dank raffinierter Details und entsprechender Musik fast zum Horrorfilm: Die ungewollt kinderlose Frau, die mittlerweile auch zu alt ist, um als Adoptivmutter in Frage zu kommen, hat endlich einen Weg gefunden, sich ihren langgehegten Wunsch zu erfüllen. Dass sie die Gattin von Fabers früherem Kollegen und heutigem Gegenspieler (Peter Kremer) ist, bringt auch den Anwalt wieder ins Spiel. Parallel zu dieser Handlungsebene tanzt Sarah Walzer mit dem Teufel, wie es einmal heißt: Sie hat rausgefunden, warum der Spediteur fast allen seinen Angestellten fristlos kündigen konnte, um dann billige Kräfte aus Osteuropa einstellen zu können.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
In der Kombination all dieser Ebenen liegt die größte Stärke des Drehbuchs: Alles hängt mit allem zusammen, ohne dass die Verknüpfungen konstruiert wirken. Natürlich spitzen sich die Dinge schließlich nicht ganz unerwartet zu, aber der Film bleibt seinem flüssigen Erzählrhythmus treu, obwohl die Geschichte gleichzeitig Krimi, Drama und Tragödie ist. Reizvolle Ergänzung sind die romantischen Szenen mit Anwalt und Journalistin, die sich nicht einigen können, ob sie heiraten sollen oder nicht. Wie es mit dem Paar weitergeht, erzählt die ARD ab 30. Oktober donnerstags ab 18.50 Uhr: Dann startet "Ein Fall von Liebe" mit gleicher Besetzung als achtteilige Vorabendserie.