15) In der digitalen Gesellschaft müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bewusst gesteuert werden, da sich das soziale Potenzial der Digitalisierung nicht selbsttätig realisiert. Die aktuellen Diskussionen über die Kommerzialisierung sämtlicher Lebensvollzüge und die Macht von Unternehmen machen ebenso wie die Enthüllungen zur Überwachungspraxis von Staaten deutlich, dass das Internet kein herrschaftsfreier Raum ist. Es braucht deshalb einen intensiven gesellschaftlichen Dialog, um die Digitalisierungsprozesse zu verstehen und zivilgesellschaftlich zu gestalten. Evangelische Kirche und Theologie haben zu diesem Verständnis und zu dieser Gestaltung ihre christliche Perspektive einzubringen.
16) Durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche entstehen bei privaten und staatlichen Akteuren derart große Mengen an Daten, dass durch neue Sammel- und Auswertungsverfahren eine Überwachung, Manipulation, Diskriminierung und Ausbeutung von Menschen möglich wird. Der Mensch droht auf die über ihn verfügbaren Daten reduziert zu werden. Die christliche Botschaft kritisiert die Reduktion des Menschen auf nur eine Dimension. Der Mensch als Einzelner ist immer mehr als die Summe seiner Daten. Das menschliche Leben muss vor dem Übergriff durch elektronisch organisierte Analyse, Manipulation und Überwachung geschützt werden. Evangelische Kirche und Theologie stehen vor der Aufgabe, ihren Beitrag zu einem zivilgesellschaftlichen Engagement in dieser Frage gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, die sich in diesem Feld engagieren, einzubringen.
17) Teilhabe in der digitalen Gesellschaft berührt grundsätzlich Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit. Für die evangelische Kirche stehen dabei der Mensch und seine Freiheit und Autonomie im Mittelpunkt. Die Vorstellung einer naturgesetzlichen Eigendynamik digitaler Prozesse widerspricht evangelischer Sicht auf die Gesellschaft. Die evangelische Kirche sieht und anerkennt, dass sich Vorstellungen von Datenschutz und Privatsphäre im Verlauf der Geschichte immer wieder geändert haben und weiter ändern werden. Die Regeln der evangelischen Kirche zum Umgang mit Daten müssen dabei dem Ziel dienen, die Kommunikation des Evangeliums zu ermöglichen. Datenschutz kann und darf für die evangelische Kirche nicht zum Rückzug aus der Welt und der digitalen Gesellschaft führen.
18) Die digitale Gesellschaft muss damit umgehen, dass die grenzüberschreitende, weltweite Vernetzung der digitalen Kommunikation die im Staat organisierten Mittel der politischen Ordnung unterlaufen kann. Aus der Perspektive einer evangelischen politischen Ethik bleibt auch das in der digitalen Gesellschaft globalisierte Zusammenleben der Menschen ein Gegenstand des politischen Ordnungsauftrags, der dem Schutz und der Freiheit des Einzelnen dient. Unter diesem Auftrag bleibt der Staat ein zentrales Instrument auch der digitalen Gesellschaft für die demokratische Willensbildung über das in ihr geltende Recht, für die demokratische Legitimation und rechtsstaatliche Begrenzung seiner eigenen Machtausübung und für das erforderliche internationale Zusammenwirken.
Lesen und diskutieren Sie weiter in Baustein VII. Die digitale Gesellschaft braucht digitale Bildung.