Im April hat die ARD mit der "Tatort"-Episode "Kaltstart" (NDR) den ersten deutschen Drohnen-Thriller gezeigt, nun legt das ZDF nach. Die futuristischen Fluggeräte sind in der "Kommissarin Lucas"-Folge "Der nette Herr Wong" allerdings nur Mittel zum Zweck, denn es geht um Industriespionage: Software-Entwicklerin Claudia Bittner (Christina Große) ist bei ihrem Arbeitgeber eingebrochen, um Festplatten zu stehlen. Sie wird vom chinesischen Firmeninhaber überrascht, kann sich aber verstecken und übers Dach fliehen. Kurz darauf wird der Mann erschlagen, und weil die Einbrecherin Spuren hinterlassen hat, steht sie nun unter Mordverdacht.
Komplexe Geschichte
Der mehrfache Grimme-Preisträger Holger Karsten Schmidt (zuletzt ausgezeichnet für "Mord in Eberswalde") ist zwar ein ausgesprochen fleißiger Autor, schreibt aber nur selten Drehbücher für Reihen. Gerade seine von Markus Imboden inszenierten Filme mit Hinnerk Schönemann ("Mörder auf Amrum") gehören zu den ungewöhnlichsten Krimis der letzten Jahre. Sein Beitrag zu "Kommissarin Lucas" entwickelt zwar die Figuren nicht weiter, bereichert die Reihe aber um ein ungewöhnliches Sujet, selbst wenn ausgerechnet die Drohnen für die einzige Schwachstelle der Geschichte sorgen. Ellen Lucas (Ulrike Kriener) lässt sich von Bittners Unschuld überzeugen, weil die Schilderungen der Frau durch die Flugbahnaufzeichnungen bestätigt werden: Die kleinen Flugzeuge funktionieren als Schwarm und sind darauf programmiert, Hindernissen selbstständig auszuweichen, und weil Bittner durch den Versuchsraum geflohen ist, mussten die Drohnen um sie herum fliegen; der Mord geschah erst später. Ihren Chef hätte die Frau natürlich trotzdem ermorden können.
Das unlogische Detail lässt sich aber leicht verschmerzen, weil sich Schmidts Geschichte als äußerst komplex entpuppt. Sinnbild für die Vielschichtigkeit ist ein Anhänger, den die Kommissarin von ihrer Schwester (Anke Engelke) bekommt: Je nachdem, von welcher Seite man ihn betrachtet, zeigt er unterschiedliche Gesichter. Ein nicht weiter thematisierter, aber eindeutiger Hinweis darauf, dass keineswegs bloß die Titelfigur nicht ist, was sie scheint: Der "nette Herr Wong" ist angeblich ein Vetter des Toten, entpuppt sich dann jedoch als Mitglied des chinesischen Geheimdienstes; und auch das ist nicht die Wahrheit. Claudia Bittner wiederum will sich nicht etwa bereichern, sondern ihrem Freund (Christoph Bach) helfen, denn dessen Tochter sitzt in einem chinesischen Gefängnis. Weil außerdem auch noch diverse technische Details erläutert werden, gibt es viel Erklärungsbedarf in diesem Film, was aber nicht weiter problematisch ist. Äußerst ungelenk wirkt dagegen jene Szene, in der Lucas und ihr Mitarbeiter (Lasse Myhr) das Büro einer Menschenrechtsorganisation aufsuchen: Erst informiert der junge Kollege die Sprecherin (Kathrin von Steinburg), wie ihre Arbeit aussieht, damit das auch der Zuschauer erfährt, dann hält sie einen sehr uninspiriert klingenden Vortrag über die Menschenrechte in China. Die Reihe krankt ohnehin etwas daran, dass der Ausstieg Florian Stetters bislang nicht kompensiert werden konnte; selbst Anna Brüggemann gelingt es nicht, ihrer Rolle als Assistentin echte Tiefe zu verleihen, was allerdings in erster Linie den Drehbüchern anzulasten ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Handwerklich scheint "Der nette Herr Wong" nicht weiter aus dem Rahmen zu fallen, doch Tim Tragesers sorgfältige Inszenierung ist gerade dank der ruhigen, aber stets fließenden Bildgestaltung Eckhard Jansens sehr stimmig. Die Kühlheit vieler Bilder korrespondiert vortrefflich mit der scheinbaren Unnahbarkeit der Heldin, die Ulrike Kriener kontrolliert und mimisch sparsam verkörpert. Dazu passt auch ihr dezentes, aber sehr geschmackvolles Kostümbild (Katharina Ost). Auf ähnliche Weise lässt sich Andreas Weidingers Musik charakterisieren: Sie drängt sich nie in den Vordergrund, sorgt jedoch für eine gewisse Grundspannung.
Selbst wenn der Film beim 15minütigen Finale dank simpler, aber wirkungsvoller dramaturgischer Kniffe zum teilweise auch brutalen Thriller wird: Seinen Reiz verdankt der Film vor allem den unerwarteten Haken, die die Geschichte schlägt; gerade Christoph Bach hat in dieser Hinsicht eine tolle Rolle.