Den Frieden lernen: Wie ein Kindersoldat Gitarrenbauer wurde

Foto: epd-bild / Christoph Püschner
Den Frieden lernen: Wie ein Kindersoldat Gitarrenbauer wurde
Justin Murhula Bashimbe vergewaltigte und mordete, nachdem ihn Rebellen mit 13 Jahren verschleppten. Dass er heute Gitarrenbauer mit eigener Familie ist, verdankt er dem Glück - und dem Psychologen Magadju Cibey.
28.09.2014
epd
Bettina Rühl

Justin Murhula Bashimbe steht leicht vorgebeugt an seiner Werkbank, um jede Unebenheit in der hölzernen Oberfläche zu sehen. Sorgfältig geht der große und schlanke 28-Jährige mit dem Schleifpapier über die Ecken der Bundstege, die er gerade in das Griffbrett einer E-Gitarre gesetzt hat. Seine Werkbank steht in einem Ausbildungszentrum in der Metropole Bukavu im Osten des Kongo. "Als ich diese Werkstatt zum ersten Mal sah, wusste ich sofort, dass ich genau diesen Beruf lernen möchte." Das ist neun Jahre her. Davor war er Kindersoldat.

Mit nur 13 Jahren wurde Murhula Bashimbe von Rebellen verschleppt und zum Kämpfen gezwungen. So wie ihm damals geht es Tausenden von Kindern im Osten des Kongo. Viele unterschiedliche Milizen kämpfen dort seit Jahren um den Zugang zu wertvollen Rohstoffen wie Gold und Koltan, das unter anderem in der Mobilfunkindustrie gebraucht wird. Die meisten Milizen verüben grausame Verbrechen an der Bevölkerung. Für die schlimmsten Gewalttaten bedienen sie sich der Kinder. Denn die sind besonders gehorsam und besonders skrupellos.

Über seine Erinnerungen an diese Zeit spricht Murhula Bashimbe nicht gerne. Während er sonst oft und offen lacht, wird sein Blick jetzt finster und hart. "Ich habe viel erlebt und vieles gemacht, was unaussprechlich ist. Der Krieg hat seine eigenen Gesetze." Murhula Bashimbe unterwarf sich ihnen und machte mit beim Foltern, Vergewaltigen, Töten.

Kirchliches Ausbildungszentrum im Kongo ermöglicht ziviles Leben

In der Gitarrenwerkstatt hängen mehrere bunt lackierte Instrumente von der Decke: einfarbig rote, aber auch solche mit aufwendig schwarz-rot-gelb verlaufenden Mustern. Murhula Bashimbe hat alle Unebenheiten weggeschmirgelt und spannt die Gitarre nun ein, weil er eine Stelle geleimt hat.

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Dass er hier arbeitet, verdankt er Magadju Cibey, dem leitenden Psychologen des "Zentrums für professionelle und handwerkliche Ausbildung", das 1982 von der Baptistischen Kirche Zentralafrika gegründet wurde. Mit Unterstützung von "Brot für die Welt" werden hier ehemalige Kindersoldaten, frühere Straßenkinder, HIV-positive Frauen, Überlebende sexueller Gewalt und ledige Mütter in einer von 19 Fertigkeiten ausgebildet - neben Gitarrenbau auch in Computerkenntnissen.

Magadju Cibey lud vor rund neun Jahren etwa 250 ehemalige Kindersoldaten zu einer Führung durch die Werkstätten ein. "Viele haben ja nach etlichen Jahren im Busch gar keine Vorstellung mehr davon, was man im zivilen Leben so alles machen kann", sagt der Psychologe. Murhula Bashimbe war damals 18 Jahre alt. Nach fast sechs Jahren als Kindersoldat war er gerade erst geflohen und hatte seine Waffe abgegeben. Im zivilen Leben fühlte er sich fremd und nutzlos.

"Anfangs war der Umgang mit ihm ganz schwierig", sagt Cibey. "Er war aggressiv und glaubte immer noch, er könnte alle anderen herumkommandieren." Selbst manche Ausbilder hatten Angst vor dem Jugendlichen, genauso wie vor den übrigen ehemaligen Kindersoldaten. Die Geduld zahlte sich aber aus: "Inzwischen ist er sehr umgänglich und hilfsbereit", sagt der Psychologe.

"Ich bin glücklich, dass es anders gekommen ist"

Murhula Bashimbe hat seine Entscheidung, Gitarrenbauer zu werden, nie bereut. Im zivilen Leben fühlt er sich mittlerweile heimisch und hat die blinde Wut verloren, die ihn direkt nach der Zeit bei den Rebellen häufig befiel. "Ich habe inzwischen sogar eine Frau und drei Kinder. Das hätte ich mir vor zehn Jahren noch nicht träumen lassen."

Bis nach Hause braucht er zu Fuß gut eine Stunde, denn die Millionen-Metropole Bukavu erstreckt sich am Ufer des Kivu-Sees und über die steilen Hänge der umliegenden Berge. Murhula Bashimbe wohnt mit seiner Familie ganz oben, dort, wo die Stadt wieder dörflich wird.

Als er zu Hause ankommt, sitzt sein dreijähriger Sohn Samuel auf dem Boden vor der Lehmhütte in einer Waschschüssel. Der vierjährige Nicodem läuft dem Vater entgegen, nackig und ebenfalls zum Baden bereit. Mit dem Ältesten auf dem Arm geht Murhula Bashimbe zu seiner Frau in die Lehmhütte, in der er zwei Zimmer gemietet hat. Im Vorraum, der als Küche und Wohnzimmer dient, steht das Motorrad, das er sich vor einigen Monaten endlich kaufen konnte. Für den Weg in die Stadt nimmt er es nur selten - er scheut unnötige Ausgaben, und sei es für Benzin.

Stattdessen kauft er lieber etwas mehr Essen für seine Familie. Er selbst brauche nur eine Mahlzeit am Tag, versichert er. "Ich bin nicht reich, aber von dem, was ich mit den Gitarren verdiene, kann ich mit meiner Familie leben." Chantelle sitzt auf dem Bett und stillt ihren Jüngsten, drei Wochen ist Moïse gerade alt. Murhula Bashimbe guckt den beiden zu. Er genießt Momente wie diesen, fühlt sich im Leben angekommen. "Wenn das Ausbildungszentrum nicht wäre, wäre ich vielleicht immer noch bei einer der bewaffneten Gruppen", sagt er in das schummrige Licht des kleinen Raumes hinein. "Ich bin glücklich, dass es anders gekommen ist."