Die "Scharia-Polizei" braucht mehr Reformation

Illustration: evangelisch.de/Simone Sass
Die "Scharia-Polizei" braucht mehr Reformation
Wie gefährlich oder harmlos ist die Aktion von Wuppertaler Salafisten, die als "Scharia-Polizei" bekannt wurde? Auf der einen Seite dürfen auch radikale Muslime ihre Glaubensvorstellungen öffentlich verbreiten. Auf der anderen Seite ist die Aktion ein Signal dafür, dass die Salafisten gegen eine persönliche Freiheit stehen, die schon in der Reformation angelegt ist.

Ein paar Clowns in Warnwesten laufen durch Wuppertal und erzählen Jugendlichen vor der Disco, dass sie nicht rauchen und saufen sollen? Na gerne, viel Glück!

Vertreter einer radikal-islamistischen Gruppe nennen sich "Polizei" und versuchen, ihre Moralvorstellungen in einer deutschen Innenstadt durchzusetzen? Nein danke!

Irgendwo dazwischen sortieren sich die selbsternannten Sittenwächter der "Scharia-Polizei" aus Wuppertal ein. Denn es ist nicht verboten, den Menschen auf der Straße von Gott, Religion und Glaube zu erzählen. Es ist aber sehr bedenklich, wenn die Salafisten ihre Moralvorstellungen vor der Kulisse einer (halbwegs) uniformierten Gruppe den Jugendlichen aufdrängen wollen. Die Grenze zwischen Überzeugung durch Diskussion und Verhaltensänderung durch Druck und Zwang wird dadurch verwischt.

Per Facebook sind die Salafisten rund um Sven "Abu Adam" Lau inzwischen wieder zurückgerudert: Es sei ja eine einmalige PR-Aktion gewesen, sie wollen überhaupt keine "Scharia-Polizei" sein. Trotzdem war die Moschee in Wuppertal nach der Aktion "rappelvoll", zitiert n-tv Sven Lau.

Die Aktion hat also funktioniert und mehr Interesse für die radikal-islamischen Salafisten geweckt. Das ist ein Warnsignal. Deutsche Salafisten wie Sven Lau und Pierre Vogel vertreten zwar eine Minderheit unter den deutschen Muslimen, aber sie haben Fuß gefasst mit ihrem politischen Wunsch nach einem restriktiven, von konservativen islamischen Moralvorstellungen geprägten deutschen Staat.

Das Recht auf Freiheit bewahren

Laut Verfassungsschutz streben die Salafisten nach einem islamischen Staat, "in dem wesentliche, in Deutschland garantierte Grundrechte und Verfassungspositionen keine Geltung haben sollen". Das wäre auch ein Staat, in dem persönliche Freiheit den religiösen Vorschriften untergeordnet wird. Es wäre ein Staat, in dem nicht mehr jeder glauben darf, was er möchte. Die Religionsfreiheit, die den Salafisten in Deutschland überhaupt ihre Existenz ermöglicht, wollen sie letztlich abschaffen.

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Für Martin Luther war Freiheit ein zentraler Begriff - die Freiheit, sich aus einem starren, vorgegebenen System von guten Werken und heilsbringenden Taten lösen zu dürfen und trotzdem vor Gott gerechtfertigt zu sein. Man kann sich die Gnade Gottes nicht dadurch verdienen, dass man sich auf eine bestimmte Art verhält, sagt Luther. Wichtig ist, dass man wirklich glaubt (wir kennen das als "sola fide", "allein durch den Glauben"), frei von formaler Pflichterfüllung.

Als selbsternannte Sittenwächter stellen sich die Wuppertaler Salafisten auch gegen diese reformatorische Erkenntnis. Denn aus ihrer Sicht muss sich jeder auf eine ganz bestimmte Weise verhalten, um gottgefällig zu leben. Die Vielfalt von Glauben, die ein individueller Zugang zu Gott fördert und ermöglicht, ist für sie nicht denkbar.

Vielleicht sind wir es gar nicht mehr gewohnt, den Wert dieser Freiheit zu betonen, weil sie inzwischen selbstverständlich geworden ist. Deswegen ist die öffentliche Diskussion über die Wuppertaler Aktion wichtig, deren Vorbilder es in England übrigens seit mindestens 2011 gibt. Es ist gut, dass sich Vertreter der deutschen Muslimverbände klar gegen die Wuppertaler Aktion ausgesprochen haben. Die gemeinsame Aufmerksamkeit von Christen und Muslimen gegen Radikale und Extremisten ist notwendig, um die im Grundgesetz und in der Reformation zugrunde gelegte Freiheit des Einzelnen auch weiterhin zu bewahren.