"Israelisch-palästinensische Verhandlungsdelegation verkündet Verständigung auf ein Friedensabkommen. Kernstück des einvernehmlich erarbeiteten Drei-Stufen-Plans: Zusammenführung aller auf den jetzigen Territorien lebenden Israelis und Palästinenser in einem gemeinsamen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt." Diese Information, wäre sie offiziell, würde als Eil-Eil-Eil-Meldung über die Ticker und Kanäle aller Nachrichtenmedien weltweit verbreitet werden. Ein von den extrem verfeindeten Kriegsparteien erzielter Kompromiss zu einem Zeitpunkt, da die Hamas Raketen in Richtung Israel abfeuert und im Gazastreifen Kämpfer und Zivilisten unter den Bomben und Granaten der israelischen Armee sterben oder verletzt werden: schlicht eine Sensation!
###mehr-artikel###Den Plan gibt es tatsächlich. Er ist die zentrale Aussage eines Kommuniqués, das in diesen Tagen in der Jugendakademie Walberberg bei Bonn erzielt und publik gemacht wurde. "Pressekonferenz zur Verhandlung über die Lösung des Palästinakonflikts" steht auf einem dreisprachigen Plakat an der Stirnwand des Saales. Stunden um Stunden haben die jungen Palästinenser und Israelis um ein Ergebnis gerungen. Beim Abschluss des Projekts "Ferien vom Krieg – Dialoge über Grenzen hinweg" des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V. wollen sie nicht – anders als die "echten" Unterhändler im Gazakonflikt – mit leeren Händen dastehen.
Leider ist der Durchbruch von Walberberg keine reale Politik. Die Spirale von Krieg-Waffenstillstand-neuerlichem Krieg wird sich weiterdrehen. Dennoch ist das Friedenssignal der Teilnehmer des Dialogprojekts nichts, das als Resultat eines Planspiels abgetan werden könnte. Annähernd 50 junge Erwachsene aus Hebron und Tel Aviv, aus Jenin und Ramallah haben den Beweis erbracht, dass der gordische Knoten selbst im komplexesten Konflikt lösbar ist, den die Welt kennt.
Alte Vorurteile im Miteinander überwinden
Beide "Ministerpräsidenten" erklären übereinstimmend, das Erreichte sei ein Modell, das "jederzeit" auf die Politik übertragen werden könne. Ihre Statements lösen bei allen spontanen Beifall aus. Vor zwei Wochen sind sie via Tel Aviv oder Amman getrennt angereist. Jetzt sitzen sie in bunter Mischung nebeneinander. Mohammad, Organisator der palästinensischen Delegation, spricht aus, was wohl die meisten denken: "Wir wünschen uns Politiker auf beiden Seiten, die so wie die jungen Leute hier denken." Schulti, sein Pendent bei der israelischen Delegation sagt, es berühre ihn zutiefst, "dass dieses Abkommen in Deutschland zustande gekommen ist".
Am Anfang des 13 Tage umfassenden Kommunikationsprozesses steht das persönliche Kennenlernen, das Sprechen über die unterschiedlichen Lebensentwürfe und Erfahrungen mit Leid und Schmerz. Wesentlichen Raum nehmen die Diskussionen der spezifischen Sichtweisen auf den Konflikt und dessen Geschichte ein. "Jede Gruppe", berichtet Esser, "beginnt in der Folge dieser kontroversen Auseinandersetzungen damit, ihre eigene Wahrnehmung kritisch zu hinterfragen und sowohl die Muster als auch die eigenen Anteile am Fortbestehen der Eskalationsspirale zu verstehen."
Eigene Ängste, Wut und Hass verstehen lernen
Zentral für den gruppendynamischen Prozess ist das Aufbrechen der mental zementierten Konventionen, die jeder gleichsam im Reisegepäck mitbringt. Die jungen Erwachsenen haben es verinnerlicht, die "Anderen" als Feinde oder Aggressoren zu sehen. Im täglichen Zusammenleben verlieren solche Stereotypen ihren Realitätsgehalt. An die Stelle des anonymen "Anderen" tritt das Erleben eines Menschen mit Gesicht und einer individuellen Geschichte. "Bei meinem Militärdienst in der Luftwaffe", hat ein Israeli bei einer früheren Begegnung erzählt, "sind die Leute nur Schatten auf dem Computer-Bildschirm. Jetzt hatte ich erstmals die Chance, Palästinensern ins Gesicht zu sehen und ihre Stimmen zu hören." Sich in der Gruppe zu erfahren, sich frei von Repressionsgefahr mit seinen Ängsten, seiner Wut, seinem Hass einbringen zu können, setzt eine Dynamik in Gang, die für niemanden folgenlos bleibt. "Ferien vom Krieg" heißt in dieser Sicht dann auch, sich auf Ferien vom stereotypen Denken einzulassen.
###mehr-links###"Ich habe die Israelis nicht gemocht, weil sie Besatzer sind." So schildert ein 29-jähriger Palästinenser seine bisherige Einstellung zu den Menschen hinter der Grenze. Der Mann, der in Ramallah lebt und als Journalist für Zeitungen arbeitet, berichtet, er sei Gefangener in Israel gewesen. "Deshalb war es für mich schwierig, mich mit Israelis treffen zu wollen." Einige der Teilnehmer aus Israel seien direkt vom Krieg in Gaza gekommen: "meine größte Konfrontation mit dem Gegner". Er habe aber die Auseinandersetzung mit sich geführt und positiv entschieden. "Ich bin hier geblieben", erklärt er sein Motiv, "um eine Lösung für den Konflikt zu finden." An eine Lösung glaube er wie an den Friedenswillen aller Palästinenser und aller Menschen. In dem erreichten Abkommen sehe er daher auch einen praktikablen Weg: "Es ist keine Utopie."
Fester Glaube an die Utopie
Einen gravierenden Veränderungsprozess hat auch die Israelin Rotem erlebt. "Zuerst bin ich ins tiefe Wasser gesprungen", resümiert die 24-jährige ihre Gefühlslage bei der ersten Gruppenbegegnung. "Es war sehr emotional." Rotem lebt in dem Ort Matan nah an der "grünen Grenze" zur Westbank. Schon von daher seien ihr Palästinenser nicht ganz fremd. Während ihres Dienstes in der Armee habe sie aber auch die offizielle Sichtweise erfahren. Militärdienst, sagt Rotem, sei wie Leben im geschlossenen Raum. "Da gibt es keine Chance auf eine eigene Meinung." In der israelischen Gesellschaft bringe man dem arabischen Bevölkerungsteil massive Vorurteile entgegen. Sie würden weitgehend als Putzkräfte gesehen und auf die Leute bei der Stadtreinigung reduziert, die den Müll entsorgen. "Ich war daher total überrascht, hier auf Palästinenser mit Bildung, mit guten Qualifikationen und Studienabschlüssen zu treffen."
Wegen ihrer Vorurteile, fügt Rotem hinzu, "bin ich in mich gegangen". In Deutschland sei es ihr erstmals möglich gewesen, Männer und Frauen von jenseits der Grenze kennenzulernen. Für das Abkommen von Walberberg hat sie sich als Sprecherin ihrer Delegation eingesetzt. "Es ist für mich keine Utopie. Ich werde meinen Freunden davon erzählen", unterstreicht sie ihre Zuversicht. Für sie gelte im Übrigen der Song "I believe, that dreams can come true". Ein passenderer dürfte sich kaum finden lassen.