Die Welt ist aus den Fugen, die alten Regeln der Mongolen gelten nicht mehr. Zu diesen ungeschriebenen Gesetzen gehört der Respekt vor dem Rastplatz: Hier ruht jede Feindschaft. Zum Zeichen der gegenseitigen Ehrerbietung schicken sich die Anführer eine Schale Milch. Außerdem vergreifen sich die Mongolen nicht an den Frauen und Kindern ihrer Feinde. Doch die Milch ist vergiftet, Frauen und Kinder werden ermordet. Jahrzehnte vergehen, bis die Ordnung wieder hergestellt ist. Der Junge, dessen Vater einst an der Wasserstelle heimtückisch getötet wurde, wird die verfeindeten Stämme einen. Er heißt Temudgin. Am Ende seiner Herrschaft ist sein Reich größer als das heutige China. Sein Name wird auf der ganzen Welt mit Angst und Schrecken assoziiert. Man kennt ihn als Dschingis Khan.
Schlicht "Der Mongole" heißt dieses ebenso wuchtige wie sensible Werk von Sergei Bodrov, das zu entscheidenden Teilen mit deutschem Geld entstanden ist. Der Russe erzählt den unbekannten Teil der Biografie des mächtigen Herrschers: Die Geschichte endet, als Temudgin schließlich zum mächtigen Khan geworden ist. Was wie der irritierende Verzicht auf den vermeintlich reizvolleren Teil des Werdegangs wirkt, entpuppt sich als weise Entscheidung: weil der Regisseur und sein Koautor Arif Aliyev auf diese Art eine völlig andere Seite des späteren Kriegsherrn zeigen können.
Aus Freunden werden Erzfeinde
Temudgin ist ein liebevoller Ehemann und Vater und außerdem ein außerordentlich hartnäckiger und zäher Mensch, der sich auch durch wiederholte Demütigungen nicht brechen lässt: Die Mörder seines Vaters wollen auch ihn töten, doch ihm gelingt immer wieder die Flucht und die Rückkehr zu seiner Frau Borte, deren aufrichtige Liebe ihn selbst eine mehrjährige entwürdigende Gefangenschaft in einem Käfig überstehen lässt. Das Drehbuch stützt sich zu weiten Teilen auf die authentische Geschichtsschreibung. Die verächtliche Zurschaustellung ist die einzige Spekulation der Autoren: Bodrov nutzt für diesen dramaturgisch enorm wirkungsvollen Einschub eine biografische Lücke.
Herzstück des Films ist zwar die innige Liebe zwischen Temudgin und Borte, doch seine Dramatik verdankt die Geschichte einer Freundschaft, die zur tödlichen Feindschaft wird: Als Kinder schließen Temudgin und Jamukha Blutsbrüderschaft. Jahre später kämpfen sie gemeinsam gegen Temudgins Erzfeinde, die Merkiten, um die verschleppte Borte zu befreien. Ihre Wege trennen sich wieder, weil beide viel zu starke Persönlichkeiten sind, um einen Clan gemeinsam zu führen. Als einer von Temudgins Männern Jamukhas Bruder beim Pferdediebstahl erwischt und ihn umbringt, werden die Blutsbrüder Todfeinde.
Die Entstehung des Films in China, Kasachstan und der Mongolei muss abenteuerlich gewesen sein. Zum Teil wurde in derart entlegenen Gegenden gedreht, dass es nicht mal Straßen gab. Die Dreharbeiten zogen sich so lange hin, das Bodrov zwischendurch den Kameramann wechseln musste: Die Bildgestaltung der Jugendjahre besorgte der Holländer Rogier Stoffers, den Rest drehte Sergey Trofimov. Beide setzten vor allem die prachtvollen unberührten Landschaften zu allen Jahreszeiten in Szene. Nicht minder interessant ist die Besetzung der drei Hauptrollen: Temudgin wird von dem Japaner Tadanobu Asano verkörpert, seinen Freundfeind Jamukha spielt der Chinese Sun Hong Lei. Die Darstellerin der Borte (Khulan Chuluun) schließlich ist zwar Mongolin, hat aber noch nie vor einer Kamera gestanden.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Doch das ist bloß der Hintergrund für ein auch über die Dauer von mehr als zwei Stunden fesselndes Epos. Zunächst verdankt der Film seinen Reiz den mitunter grausamen exotischen Sitten und Gebräuchen. Mit zunehmender Dauer aber resultiert die Faszination mehr und mehr aus dem Zusammenprall zweier eindrucksvoller Persönlichkeiten und ihrer vortrefflichen Darsteller. Darüber hinaus erzählt Bodrov eine große Liebesgeschichte mit märchenhaften Zügen. Der Wille zu bedingungsloser Authentizität bringt allerdings auch weniger schöne Bilder mit sich: Die verschiedenen Schlachten arten zu blutigen Gemetzeln aus, in denen das Blut fontänenartig spritzt. Davon abgesehen ist "Der Mongole" ein großer Film, der dank der minimalistischen, aber ungemein trefflichen Kompositionen des Finnen Tuomas Kantelinen und den Beiträgen der mongolischen Folkrocker Altan Urag (Filmmusik bei Colosseum) auch akustisch aus dem Rahmen fällt.