Aber "Mord in Ludwigslust" ist weit mehr als ein typischer TV-Krimi, dafür ist die Handlung viel zu vielschichtig. Denn neben der Suche nach einem Mörder, der offenbar schon mehrere Frauen getötet hat, geht es auch um die Abwicklung der DDR nach der "Wende", als die Treuhand das ostdeutsche Volksvermögen verscherbelte und einige wenige einen richtig guten Schnitt machten, während viele andere plötzlich auf der Straße standen. Am Rande spielt auch die Versorgung mit russischem Gas eine Rolle. Und dann ist da noch eine Jahrzehnte zurückliegende Vergewaltigung, die einen Mord nach sich zog, von dem niemand etwas weiß.
Emotional und bildmächtig
Kirchners Drehbuch geht geradezu verschwenderisch mit seinem Potenzial um. Der Autor kann es sich leisten, alle diese Handlungsebenen als Nebenschauplätze abzuhandeln, weil die Motive im Vordergrund auch dank der ausgezeichneten Darsteller so emotional und bildmächtig sind. Ins Rollen kommt die Geschichte, weil Sophia Eichstätt (Anja Kling), EDV-Spezialistin des Kieler LKA, eine Software geschrieben hat, mit deren Hilfe ungewöhnliche Todesfälle in verschiedenen Bundesländern auf Parallelen untersucht werden können. Die Handschrift des Mordes im mecklenburgischen Ludwigslust passt zu zwei weiteren Verbrechen, in denen die Opfer ebenfalls erdrosselt und anschließend öffentlich ausgestellt wurden. In Ludwigslust trifft sie auf Mark Condor (Mark Waschke) vom LKA Schwerin.
Die beiden hatten vor zwei Jahren eine Affäre, die beinahe Sophia Eichstätts Ehe ruiniert hätte. Das Wiedersehen macht ihr mehr zu schaffen als dem Kollegen; dafür muss Condor verkraften, dass die tote Lulu (Lea Mornar) jene Frau ist, mit der er kurz vor ihrer Ermordung noch einen leidenschaftlichen Abend verbracht hat. Mark, Lulu, ihr späterer Mann Udo (Michael A. Grimm), der es als Baulöwe zu großem Vermögen gebracht hat, sowie der Fotograf Ben (Clemens Schick) waren in der Wendezeit ein unzertrennliches Quartett. Ben weiß von der Affäre mit Lulu und versucht, Mark zu erpressen. Auf seinen morbiden künstlerischen Bildern müssen die Frauen ganz ähnlich posieren wie die Mordopfer, was ihn selbstredend verdächtig macht. Tatsächlich enthalten seine Bilder den Schlüssel zur überraschenden Lösung.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Dramaturgisch ist die Geschichte naturgemäß äußerst reizvoll, schließlich treffen im Verlauf der Ermittlungen lauter Interessenskonflikte aufeinander; und die LKA-Kommissarin muss schockiert in Erwägung ziehen, dass sie eine Affäre mit einem Serienmörder hatte. Kai Wessel ("Die Flucht") inszeniert den Film ohne jede Effekthascherei und lässt die Figuren auch mal schweigend und ohne "Action" agieren. Aber auch ästhetisch ist "Mord in Ludwigslust" dank der sorgfältigen Bildgestaltung durch Kamerafrau Judith Kaufmann ein Genuss. Die ausgezeichnet und treffend besetzten Schauspieler (in weiteren Rollen: Ina Weisse als Schwester des Baulöwen und geheimnisvolle Schönheit, Peter Prager als Kommissar vor Ort, Florian Bartholomäi als eifriger Nachwuchsermittler) sind es wie immer bei Wessel ohnehin.