Ronny, 28 Jahre, schwarze Kluft, roter Irokesenschnitt, alkohol- und marihuana-abhängig, ist seit sechs Jahren "auf Platte". Sein Zuhause sind die Straßen rund um den Berliner Bahnhof Zoo, sein Schlafzimmer liegt am Fuß der Bahntrasse durch den Tiergarten. Hier haben viele Obdachlose im Schutz eines Vorsprungs ihre Isomatten und Schlafsäcke ausgerollt. Manche bilden lärmende Grüppchen, "Familien", wie sie sagen, manche bleiben allein, der eine und andere hat noch einen Stuhl dazu organisiert und sich häuslich eingerichtet. An der Wand klebt ein Poster von den Fußball-Weltmeistern.
Ronny sitzt allein, über ihm donnern S-Bahn und ICE Richtung Osten. Er erzählt dem Mann im weißen Hemd, der sich da zu ihm hingehockt hat, seine Geschichte. Der obdachlose Punk hat auf diesen Besuch von Bahnchef Rüdiger Grube gewartet. Grube hat Ende 2013 eigens die Deutsche Bahn Stiftung gegründet, um unter anderem Sozialprojekte langfristig zu finanzieren. Dazu gehören die mobilen Einzelfallhelfer der benachbarten Bahnhofsmission am Zoo, die sich auch um Ronny kümmern. Für deren Arbeit stellt die Stiftung jährlich 30.000 Euro zur Verfügung.
Der Bahnchef erzählt Ronny von der Trennung seiner Eltern
Das Leben hat Ronny, den hier alle "Grinsi" nennen, nicht verwöhnt. Als seine Eltern sich trennten, warf es ihn aus der Bahn. Seitdem trinkt und kifft er, später landete er auf der Straße. Im Frühjahr vermittelte ihn die mobile Einzelfallhelferin zur Entgiftung in eine Klinik. "Habe ich aber nicht durchgehalten", berichtet er dem Bahnchef. "Was willst du?", fragt Grube. Er wolle weg von der Straße, antwortet Ronny. Ein ganz normales Leben führen, "mit eigener Wohnung, Familie, Kindern".
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Mit 90 Prozent der obdachlosen Menschen könne man "etwas Vernünftiges machen", wenn man sich um sie kümmert, sagt der Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, Dieter Puhl. Etwa 600 Obdachlose und Bedürftige bekommen dort täglich Essen, Kleidung und Zuwendung. Aber es brauche einen langen Atem, Personal und Kontinuität, sagt Puhl. Abläufe wie bei Ronny mit seinem abgebrochenen Entzug seien nicht die Ausnahme. "Trotzdem muss man an den Leuten dran bleiben und Geduld haben", sagt er.
Der Bahnchef erzählt Ronny von der Trennung seiner eigenen Eltern, als er fünf Jahre alt war und welcher Einschnitt das für ihn als Kind war. "Aber es lohnt sich immer zu kämpfen", sagt er eindringlich. Ronny guckt ihn aus traurigen Augen an und nickt.
"Viele im Konzern wussten gar nicht mehr, was dort passiert"
Er habe sich immer geschworen, nie zu vergessen wo er herkommt, sagt Grube, der in sehr einfachen Verhältnissen in Hamburg-Moorburg aufwuchs und über den zweiten Bildungsweg Karriere machte. "Dann weiß man bestimmte Dinge zu schätzen", fügt er hinzu.
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Als er 2009 an die Bahnspitze rückte, leitete der heute 63-Jährige in dem Konzern einen Paradigmenwechsel ein. Sein Vorgänger wollte die bundesweit 108 Bahnhofsmissionen aus den Bahnhöfen raus haben, weil sie nicht mehr in das Konzept der aufgehübschten Bahnhöfe als Shopping-Mall und Servicecenter passten.
Grube sprach dagegen von einer Partnerschaft seit 100 Jahren, lobte die soziale und gesellschaftliche Leistung der zumeist ehrenamtlichen Mitarbeiter und verordnete den Führungskräften regelmäßige Service-Tage in den Bahnhofsmissionen, sich selbst eingeschlossen. "Viele im Konzern wussten gar nicht mehr, was dort passiert", erinnert er sich. Man dürfe Obdachlose nicht einfach ausgrenzen, sondern müsse sie mitnehmen.
"Soullounge" für psychische Notlagen
Um eine kontinuierliche Finanzierung sozialer Projekte wie der mobilen Einzelfallhilfe zu ermöglichen, gründete Grube die Deutsche Bahn Stiftung, in die jährlich 0,5 Prozent des Jahresergebnisses des Konzerns fließen - vor Steuern.
Das Engagement der Stiftung ist breit gefächert. Für einen hohen sechsstelligen Betrag wurde im Zentrum Lehrter Straße der Berliner Stadtmission eine Obdachlosen-Ambulanz eingerichtet, die ganzjährige kostenlose medizinische Versorgung anbietet. Die Ärzte arbeiten ehrenamtlich, darunter auch der oberste Betriebsarzt des Konzerns, die laufenden Kosten unterstützt die Bahn mit 70.000 Euro jährlich.
Mit 75.000 Euro finanziert die Bahn zudem den Aufbau eines Seelsorgezentrums im Berliner Hauptbahnhof, das im Frühjahr eröffnen soll. Die "Soullounge", so der Arbeitstitel, wird von der Berliner Charité begleitet und soll Reisenden und Menschen in psychischen Notlagen Hilfe anbieten. "Helfen macht Spaß", sagt der Bahnchef.