Flug MH 017: OSZE beklagt chaotische Zustände

dpa/Robert Ghement
Bewaffnete russische Separatisten behindern laut OSZE die Wrack-Untersuchung
Flug MH 017: OSZE beklagt chaotische Zustände
Maskierte Rebellen, Gefechtslärm und weggeschaffte Trümmerteile: Eine geordnete Untersuchung des Absturzes ist in der Ostukraine bislang unmöglich. Die Rebellen stehen im Verdacht, die Boeing abgeschossen zu haben. Haben sie etwa auch die Flugschreiber versteckt? Kirchliche Spitzenvertreter haben sich entsetzt über den Abschuss einer Passagiermaschine über der Ostukraine geäußert und zum Gebet für die Opfer aufgerufen.

An diesem Sonntag wollen 132 malaysische Experten, darunter Ärzte und Militärs, zum Absturzort fahren. Sie waren am Samstag in Kiew gelandet. Der niederländische Außenminister Frans Timmermans kam ebenfalls mit einer Gruppe von 15 Experten in der ukrainischen Hauptstadt an.

Auch Deutschland beteiligt sich an der Bergung und Identifizierung der Opfer. Zwei Fachleute des Bundeskriminalamtes reisten am Samstag in die Ukraine. Ein BKA-Sprecher sagte, sie wollten sich in Kiew mit einem größeren Team von Identifizierungsexperten treffen und das weitere Vorgehen besprechen. Sowohl der genaue Einsatzort als auch die Führung der Mission müssten noch geklärt werden.

OSZE: Leichen wurden von Absturzort nach Tores gebracht

Vom Absturzort der malaysischen Passagiermaschine sind der OSZE zufolge die sterblichen Überreste zahlreicher Opfer zunächst in die ostukrainische Stadt Tores gebracht worden. Drei Kühlwaggons stünden inzwischen auf dem örtlichen Bahnhof, sagte Michael Bociurkiw von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Sonntagnachmittag. Die Separatisten hätten von 167 Opfern in den Waggons gesprochen, diese Zahl habe aber nicht geprüft werden können.

Die Waggons sollen bis zum Eintreffen internationaler Experten in Tores bleiben. Zuvor hatte die russische Staatsagentur Ria Nowosti gemeldet, dass der Zug über Ilowaisk nach Donezk fahren werde. Dem widersprach aber Separatistenanführer Alexander Borodaj. "Wir haben nicht vor, die Körper vor der Ankunft der Experten irgendwohin zu bringen. Die Regierung verzögert aber dieses Eintreffen", sagte er.

Die Aufständischen argumentieren, die sterblichen Überreste hätten seit dem Absturz am Donnerstag in großer Wärme gelegen und hätten "aus hygienischen Gründen" abtransportiert werden müssen. Hingegen wirft die Führung in Kiew den militanten Gruppen die Vernichtung von Beweisen vor. Die Regierung in Kiew und die prorussischen Separatisten bezichtigen sich gegenseitig, die Maschine abgeschossen zu haben.

Kirchen geschockt über Flugzeugabschuss in der Ukraine

Kirchenvertreter haben sich entsetzt über den Abschuss einer Passagiermaschine über dem Kriegsgebiet in der Ostukraine geäußert. "Diese Tragödie hat uns alle geschockt", erklärte der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Olav Fykse Tveit, am Freitag in Genf. Tveit und der evangelische württembergische Landesbischof Frank Otfried July riefen zum Gebet für die Opfer und ihre Angehörigen auf. Auch die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) bekundete ihre Anteilnahme.Nach Tveits Angaben sind unter den Opfern mehr als 100 Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie waren auf dem Weg zum Welt-Aids-Gipfel, der am Sonntag im australischen Melbourne beginnen soll. Die WHO ist ebenso wie der Weltkirchenrat in Genf ansässig. "Die Gedanken und Gebete der Weltgemeinschaft sind bei euch", übermittelte der ÖRK-Generalsekretär den Hinterbliebenen.

KEK-Generalsekretär Guy Liagre erklärte in Genf, er übermittele allen Familien und Freunden der Opfer seine tiefste Anteilnahme. July sagte in Stuttgart, er sei "tief betroffen und traurig". "Dieser Tod hätte nicht sein müssen und nicht sein dürfen", erklärte der Landesbischof.

Separatisten behindern Arbeit

Am Absturzort der malaysischen Passagiermaschine MH 017 im Osten der Ukraine sind den Rettungskräften zufolge bisher 196 der 298 Opfer geborgen worden. Die Sucharbeiten würden von bewaffneten prorussischen Separatisten überwacht und erheblich behindert, sagte ein Sprecher des Zivilschutzministeriums in Kiew am Sonntag. An den Arbeiten beteiligen sich demnach etwa 380 Mitarbeiter des ukrainischen Bergungsdienstes. Darunter sind auch Taucher, die einen nahen See absuchen. Der Bereich der Bergungsarbeiten sei von 25 auf 34 Quadratkilometer ausgeweitet worden, hieß es.

###mehr-artikel###

Die Separatisten stehen im Verdacht, das Flugzeug der Malaysia Airlines am Donnerstag in etwa 10.000 Metern Höhe mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen zu haben.

Der ukrainische Vize-Regierungschef Wladimir Groisman sprach von bis zu 900 Aufständischen rund um die Absturzstelle nahe der Ortschaft Grabowo. Die militanten Gruppen hätten mehrfach versichert, die Arbeiten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nicht zu behindern. Mit den Separatisten sei vereinbart worden, die sterblichen Überreste zunächst in speziellen Eisenbahnwagen zu lagern, sagte Groisman.

Die Identifizierung erfolge möglicherweise in der etwa 300 Kilometer entfernten Großstadt Charkow. Dort sei eine Untersuchungskommission eingerichtet worden. In Charkow seien zudem Hunderte Hotelzimmer für Angehörige und Hinterbliebene der Opfer reserviert.

Die Aufständischen wollen die Sicherheit internationaler Ermittler am Absturzort nur garantieren, wenn die Führung in Kiew einer Waffenruhe zustimmt. Die Regierung werde aufgefordert, umgehend ein Abkommen zu schließen, sagte Separatistenanführer Andrej Purgin. Die Feuerpause müsse mindestens für die Dauer der Untersuchung des Wracks gelten.

Black Boxes nicht auffindbar

Es besteht die große Sorge, dass es den beteiligten Kräften in der Ostukraine gelingen könnte, eine Aufklärung der Katastrophe zu verhindern und Täter ihrer Strafe entgehen könnten.

"Das Problem ist, dass es keine Absperrung des Ortes gibt, wie sonst üblich. Jeder kann da rein und womöglich mit Beweisstücken herumhantieren", kritisierte OSZE-Sprecher Bociurkiw. Die Militär-Experten der OSZE-Mission halten sich seit Monaten im Osten der Ukraine auf, um die Gefechte zwischen Rebellen und ukrainischer Armee zu dokumentieren.

Unklar ist am Absturzort der Boeing auch der Verbleib der beiden Flugschreiber. Die Regierung in Kiew warf den prorussischen Separatisten vor, Beweismaterial zu vernichten. Die Aufständischen wollten mit Lastwagen Wrackteile über die russische Grenze bringen. Die Separatisten versuchten, "Beweise ihrer Mitwirkung an dem Unglück vertuschen". Zudem hätten die militanten Gruppen 38 Leichen von der Absturzstelle in die Großstadt Donezk gebracht. Die Separatisten wiesen alle gegen sie gerichteten Vorwürfe zurück.

Steinmeier: Mögliche Beteiligung Russlands klären

Die Hintergründe der Katastrophe sind weiter unklar. Nach Angaben von US-Präsident Barack Obama sind dafür sehr wahrscheinlich die moskautreuen Kräfte verantwortlich. Die Boden-Luft-Rakete, die das Flugzeug abgeschossen habe, sei aus einem von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiet abgefeuert worden, sagte Obama am Freitag.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, hatte eine Verstrickung Russlands in den Abschuss von Flug MH 017 angedeutet. "Wir können nicht ausschließen, dass russisches Personal beim Betrieb dieser Systeme geholfen hat", sagte sie bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats in New York.

Bei der Untersuchung des Boeing-Absturzes nahe Donezk muss nach den Worten von Außenminister Frank-Walter Steinmeier geklärt werden, ob Kräfte aus Russland direkt am Abschuss des Flugzeugs beteiligt waren. "Die Täter und ihre Hintermänner dürfen nicht entkommen", sagte der SPD-Politiker der Zeitung "Bild am Sonntag".

Die russische Führung wies jegliche Verantwortung von sich und kritisierte Berichte über einen angeblichen Abschuss der Maschine als "voreilig". Damit sollten offenbar Ermittler beeinflusst werden, teilte das Außenministerium in Moskau mit.

Große Koalition diskutiert über UN-Einsatz in Ukraine

Die große Koalition in Berlin diskutiert nach dem Abschuss eines malaysischen Passagierflugzeugs in der Ostukraine über einen möglichen UN-Einsatz im Krisengebiet. "Wir brauchen jetzt schnellstmöglich einen international überwachten Waffenstillstand", sagte Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Samstagsausgabe). Die SPD hält einen Blauhelmeinsatz erst nach einem Friedensschluss für denkbar.

Es könne nicht mehr so weiter gehen, dass es immer nur einseitig eingehaltene Feuerpausen gebe, erklärte Schockenhoff. Er schloss eine Bundeswehrbeteiligung an einem möglichen UN-Engagement nicht aus: "Wenn eine solche Mission zustande kommen sollte, würde auch Deutschland gefragt sein", so der CDU-Außenexperte.

Der Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Hans-Peter Bartels, sagte der "Bild am Sonntag", zunächst müsse eine Friedenslösung gefunden werden. "Wenn es dann darum geht, eine Vereinbarung zu überwachen, wäre ein Blauhelmeinsatz denkbar." Ähnlich äußerte sich der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Gernot Erler (beide SPD). So lange die Konfliktparteien keine Frieden schlössen, machten Blauhelme "keinen Sinn", sagte er der "Welt am Sonntag".

Nach Erlers Einschätzung könnte das Unglück einen Wendepunkt in dem Konflikt bedeuten. Der russische Präsident Wladimir Putin habe erstmals auch die Separatisten zu einer Feuerpause aufgefordert, sagte er am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Es gebe Grund zu "vorsichtiger Hoffnung".

Mit Blick auf den Flugzeugabschuss kritisierte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Markus Tressel die Bundesregierung. Für Syrien habe eine Überflugwarnung des Auswärtigen Amtes vorgelegen, für die Ukraine bis zum Donnerstag nicht, sagte er der in Essen erscheinenden "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (Samstagsausgabe). Dies sei eine "fehlerhafte Risikobewertung". Tressel forderte die Fluggesellschaften auf, militärisch umkämpfte Regionen "weit zu umfliegen". Sie sollten sich auch nicht durch Überlegungen abhalten lassen, welche Route die wirtschaftlichste sei.