Hätte Günter Grass ein irankritisches Gedicht geschrieben, einen Text, in dem er das Mullahregime für dessen aggressives Atomprogramm verurteilt, für die fortwährende Leugnung des Massenmordes an den Juden im Zweiten Weltkrieg, für die Vernichtungsrhetorik gegenüber Israel – und hätte der Iran anschließend dem Schriftsteller die Einreise verweigert: Die Aufregung hätte sich mit Sicherheit in Grenzen gehalten. Man hätte Grass für seinen Mut gedankt und den Irrationalismus von Ahmadinedschad und Konsorten angeprangert.
Hätte. Günter Grass hat aber ein israelfeindliches Gedicht geschrieben, einen Text, in dem er den Judenstaat als Störer des Weltfriedens geißelt, der das "iranische Volk auslöschen" könnte, einen Text, in dem er über das angeblich verschwiegene israelische Nuklearpotenzial sowie über deutsche Waffenlieferungen als "Wiedergutmachung" für den Holocaust lamentiert - und so tut, als dürfe man über all das nicht offen diskutieren, ohne gleich als Antisemit zu gelten. Nun aber sage er endlich, "was gesagt werden muss". Was für eine Großtat.
Sachfehler, Unterstellungen, falsche Analogien
Das Werk des 84-Jährigen ist kein Gedicht, auch wenn es so tut, sondern ein politisches Statement voller sachlicher Fehler, böswilliger Unterstellungen, windschiefer historischer Analogien und falscher Schuldzuweisungen. Unter dem Deckmäntelchen des Tabubruchs spielt Grass mit antisemitischen Klischees – zu ihnen gehört im Übrigen auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung kurz vor Ostern und dem Pessachfest, seit Jahrhunderten beliebt für Ritualmordvorwürfe gegen Juden. Der israelische Botschafter hat zu Recht darauf hingewiesen.
Kein Wunder, dass der Iran dem deutschen Dichter Beifall klatscht. Und Israel? Verhängt ein Einreiseverbot. Souverän ist das nicht, zumal nun jene, die sich auch sonst gerne über den einzigen demokratischen Staat im Nahen Osten mokieren, neue Nahrung für ihre Aversionen haben. Man kann die Maßnahme mit Avi Primor auch "populistisch" nennen. Doch streng genommen gilt Grass bereits mit seinem späten Bekenntnis, Angehöriger der Waffen-SS gewesen zu sein, in Israel als "unerwünschte Person". Nach den israelischen Bestimmungen darf der Autor schon seit 2006 nicht mehr ins Land.
Die Debatte über den Fall wird noch eine Weile weitergehen – aber sie wird nichts nützen. Israel lässt sich nicht von deutschen Dichtern, sondern nur durch internationalen Druck von unbedachten Schritten abhalten. Das geschieht seit Monaten. Wer den Weltfrieden am meisten stört, steht auf einem anderen Blatt. Gedient hat ihm auch Grass nicht sonderlich. Zurück bleibt ein eifernder alter Mann, dem die Maßstäbe verrutscht sind. Er würde das "Gedicht" nun zwar anders schreiben, bekundet er – und wettert im gleichen Atemzug über die "gleichgeschaltete Presse" in Deutschland. Beschämend ist das.
Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Religion + Kirche.