Auf den ersten Blick wirkt Manuel Morejón, als könne er kein Wässerchen trüben. Trotz drückender tropischer Hitze trägt der stets freundlich und korrekt auftretende Baptistenpfarrer ein respektgebietendes Collarhemd. Doch dann, gleich zu Beginn des Gesprächs in einem Café in Havanna entfernt der 60-Jährige ganz beiläufig den Chip aus seinem Mobiltelefon und ermuntert sein Gegenüber, dasselbe zu tun. "So kann uns die Staatssicherheit nicht lokalisieren", sagt er lächelnd.
Es folgt eine schweigende Taxifahrt und schließlich Klartext in einem weiteren Café mit brüllend lautem Fernseher, der Dritten das Mithören unmöglich macht: "Die Angst ist allgegenwärtig hier." Gerade erst ist der Besuch von Papst Benedikt XVI vorüber, begleitet von Massenverhaftungen von Dissidenten. Kubas Opposition diskutiert seither erbittert, ob die katholische Kirche wirklich die erhofften Freiräume für Kubas Zivilgesellschaft bietet - oder sich nur zum Gehilfen des kommunistischen Regimes macht. Vor demselben Dilemma stehen die wachsenden protestantischen Kirchen der Karibikinsel, erläutert Morejón, Pfarrer einer von fünf baptistischen Kirchen in Kuba.
"Kritische Distanz" zu Kubas Regierung fehlt
Offizielle Organisation der kubanischen Protestanten ist der Kirchenrat, der etwa ein Drittel der Protestanten repräsentiert. Das Gremium lasse eine "kritische Distanz" zur Regierung vermissen, erläutert der Direktor des Hamburger Missionswerks, Christoph Anders. Ein Beispiel dafür ist laut Morejón dessen ehemaliger Präsident, Raúl Suárez. Die prominente protestantische Persönlichkeit sitzt im Parlament und spart nicht mit Lob für Kubas Revolutionsführer Fidel Castro. "Bedauerlicherweise hat er sich bedingungslos auf die Seite der Regierung gestellt", kritisiert Morejón. "Er hat die Vision verloren."
Missionswerk-Direktor Anders betont jedoch auch, dass das nur ein Teil der Realität sei. "Auf Gemeinde-Ebene tut sich sehr viel, auch sehr viel Mutiges." Doch die dem Kirchenrat angeschlossenen Bischöfe üben Morejón zufolge massiv Druck auf unliebsame Pfarrer aus. Im vergangenen Jahr wurde der Methodistenpfarrer Yordi Toranzo strafversetzt, nachdem er bei der Beerdigung eines vermutlich von der Polizei zu Tode geprügelten Oppositionellen predigte. Baptistenpastor José Carlos Pérez verlor seine Stelle, weil er sich dem Einfluss der Kommunistischen Partei in seiner Gemeinde widersetzte. "Meine eigene Kirche hat mich verraten", sagt Pérez.
Über Dutzende ähnlicher Fälle berichten regelmäßig Organisationen wie die britische "Christliche Solidarität Weltweit" (CSW). Morejón sieht ein perfides Repressionssystem. Kirchenführern auf Regierungslinie stünden dieselben Privilegien wie Parteifunktionären zu, wie die begehrten Auslandsreisen, die wiederum Kontakte und Deviseneinnahmen nach sich ziehen. "Die Regierung hat sie gekauft", sagt Morejón.
Brutale Vorgehensweise
Zahlreiche protestantische Kirchen arbeiten nach wie vor außerhalb des Kirchenrates. Gegen sie geht der Staat brutal vor. Aktuellster Fall ist Reutilio Columbie, Pastor einer Pfingstkirche im Zentrum des Landes. Unbekannte schlugen ihn im Februar so schwer zusammen, dass er wahrscheinlich bleibende Gehirnschäden davontragen wird. Zuvor hatte sich Columbie über die willkürliche Beschlagnahmung des Kleintransporters seiner Kirche beschwert.
"Wir arbeiten unter ständiger Verfolgung", resümiert Morejón. Deshalb gründete er die "Christliche Allianz", der 44 protestantische Hauskirchen aller Richtungen angehören. "Die Christliche Allianz entstand als Versuch, uns gegen die Willkür der Behörden zu verteidigen." Morejón will eine vom Staat unabhängige, aber keinesfalls unpolitische Kirche. "Der erste Politiker war Jesus Christus", sagt der Theologe und berichtet über seine soziale Arbeit auf der Schattenseite der kubanischen Gesellschaft: Alkoholiker, Prostituierte und entlassene Häftlinge. All das habe auch politische Aspekte. "Wir leben in einer politisierten Welt."
Viele politisch aktive protestantische Pfarrer hätten Kuba in den vergangenen Jahren verlassen, sagt Morejón, während er sein Mobiltelefon wieder zusammensetzt. Er erwähnt Kollegen, die von Kubas Geheimdienst unter Druck gesetzt wurden. Und er erwähnt den deutschen Film "Das Leben der Anderen", in dem er Kubas heutige Situation wiedererkennt. Halb resigniert, halb kämpferisch fügt der Geistliche hinzu: "Die Kubaner haben die Gelegenheit verpasst zu sagen, was sie hätten sagen sollen".