Schon am Gründonnerstag beginnt in der benachbarten Stadt San Fernando Pampagna der Leidensweg der Christus-Nachahmer. Gruppenweise ziehen Flagellanten durch die Stadt. Sie peitschen sich die Rücken blutig, werfen sich vor jeder Kirche, von denen es in der Stadt reichlich gibt, in den Staub, lassen sich von Begleitern weiter peitschen und demütigen. Aber es bleibt eine unsichtbare Mauer zwischen den Christen drinnen in den Gotteshäusern und den blutüberströmten Glaubensbrüdern draußen vor den Kirchenportalen. Vielen Kirchgängern sind die Flagellanten peinlich.
Die Messen sind während der Heiligen Woche, dem höchsten Feiertag auf den erzkatholischen Philippinen, proppenvoll. Neben Gottesdiensten finden im ganzen Land große, farbenprächtige Prozessionen statt. Das geht schon am Palmsonntag in Paete bei Manila mit der Nachstellung der triumphale Einzug von Jesus nach Jerusalem los. Ab dann wird von den Kirchen in Manila kaum eines der im Neuen Testament beschriebenen Ereignisse bis zur Kreuzigung als große Inszenierung ausgelassen.
Von all den christlichen Karwochenspektakel ist der Maleldo in San Pedro Cutud, wie die Einheimischen den Karfreitag nennen, zweifellos das umstrittenste. Die größte Prozession ist aber jene der von Jahr zu Jahr wachsenden Zahl der Filipinos, die in der Heiligen Woche den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und einen sonnigen Strandurlaub Kreuzigungen und Kirchen vorziehen.
Enttäuschte Zuschauer: "Das war aber kurz und schmerzlos"
Ruben Enaje ist seit 26 Jahren der offizielle Jesus, jener, der in einer farbenprächtigen Prozession komplett mit Römern, Jüngern und Maria sein Kreuz auf den Golgatha-Hügel schleppt. "Ich habe einen Sturz aus dem dritten Stock überlebt. Danach habe ich Gott geschworen, mich kreuzigen zu lassen", erklärt Ruben die Geschichte des "Panata", seines Gelübdes. "Als dann einige Jahre später meine kleine Tochter eine schwere Krankheit überlebte, habe ich mein Panata erneuert", sagt der 51 Jahre alte Schildermaler aus San Pedro Cutud.
Manche Filipinos lassen sich so lange auspeitschen, bis Blut fließt. Foto: Michael Lenz
Auf dem staubigen Platz am Dorfrand warten Tausende gut vier Stunden in der heißen Sonne auf die Ankunft der Prozession. Manche sind gekommen, weil sie tief gläubige Christen sind. Für andere, besonders Touristen aus dem nur 70 Kilometer entfernten Manila, steht eher der brutale Realismus im Vordergrund, der Schauder einer Karfreitagspassion à la Mel Gibson.
Als es endlich so weit ist und Jesus ans Kreuz geschlagen wird, ist so mancher der Zuschauer gar ein wenig enttäuscht. "Das war aber kurz und schmerzlos", sagt leicht frustriert ein junger deutscher Rucksacktourist. Kurz war die erste Kreuzigung an Maleldo auf jeden Fall. Vielleicht zehn Minuten sind zwischen dem ersten Hammerschlag und der Kreuzabnahme vergangen. Ob sie aber auch schmerzlos war? Wahrscheinlich. Denn Ruben bekannte am Tag vor seiner Variante des Näher-mein-Gott-zu-Dir: "Ich nehme vorher schmerzstillende Mittel."
Die katholische Kirche setzt dem Spektakel wenig entgegen
Die Kirchen stehen den Kreuzigungen und den Selbstkasteiungen verhalten gegenüber. Jedes Jahr kurz vor dem Karfreitag warnen sie vor dieser extremen Form des Glaubensbekenntnisses, verurteilen sie als Aberglaube. Aber gleichzeitig tut vor allem die katholische Kirche als größte christliche Konfession der Philippinen auch nichts, um das Kreuzigungsspektakel zu verhindern. Zu viele Anhänger hat dieser "Aberglaube" im mehrheitlich katholischen Volk und mit denen möchten es sich die katholischen Hirten nicht verderben. Immerhin sind mehr als 80 Prozent der etwa 100 Millionen Filipinos Katholiken und die Philippinen das einzige mehrheitlich christliche Land in Asien.
Vor allem in der aktuellen erhitzten Debatte über den Entwurf des "Gesetzes über reproduktive Gesundheit" zeigen sich erste Risse im einst innigen Verhältnis von katholischer Kirche und Volk. Mehr als 60 Prozent der Filipinos sind für das Gesetz, das Verhütungsmittel legalisieren, Sexualkundeunterricht ermöglichen und Frauen mehr Rechte geben soll. Die katholische Kirche hingegen fährt einen Kurs der Totalopposition, während die protestantischen Konfessionen (deren Mitglieder nur knapp drei Prozent der Bevölkerung ausmachen) dem Gesetz gegenüber wohlwollend eingestellt sind.
"Die Debatte um Gesetz über reproduktive Gesundheit hat auch Freidenker und Atheisten ermutigt, sichtbarer zu werden", freut sich Atheist Ricky Maramba. Über die Livekreuzigungen kann Maramba nur den Kopf schütteln. "Da wird die Liebe zu Jesus maßlos übertrieben. Selbst als Theist war ich vor vielen Jahren schon davon überzeugt, dass Gott keine Verehrung braucht. Gott braucht nichts."
"Besser als einen Bus in die Luft zu sprengen"
Carlos Celdran, ein "kultureller Aktivist" und prominenter Kritiker der kirchlichen Kampagne gegen das Gesetz über die reproduktive Gesundheit, gewinnt den Lebendkreuzigungen einen positive Seite ab: "Ich bin froh darüber, dass sie ihre Gewalt als Ausdruck ihres Glaubens nach innen richten. Das ist besser, als sich eine Bombe umzubinden, einen Bus in die Luft zu sprengen und so ihre religiöse Überzeugung gewaltsam nach Außen zu demonstrieren."
Für San Fernando und San Pedro Cutud ist der jährliche Maleldo ein Segen. Das Fremdenverkehrsamt rührt dafür kräftig die Werbetrommel. Zu Tausenden strömen Passionstouristen zum Karfreitag ins beschauliche San Pedro Cutud. Ganze Busladungen kommen aus Manila, die Hotels freuen sich über Auslastungsgrade von einhundert Prozent.
Bis der erste Jesus-Imitator sein schwarzes Holzkreuz auf den Erdhügel hinaufschleppt, herrscht auf dem staubigen, schattenlosen Platz unter der heißen Tropensonne Rummelplatzstimmung. Popmusik dudelt aus Lautsprechern, Händler bieten Eiscreme, Sonnenbrillen, Strohhüte feil. Ganz Clevere verkaufen entlang der Kreuzwegsstrecke das ultimative Maleldo-Merchandise: Flagellationspeitschen.
Michael Lenz ist freier Journalist in Südostasien.