Arbeitslos werden, Haus und Hof verlieren, bankrott gehen – wer in den USA scheitert, stirbt trotz des möglicherweise damit verbundenen sozialen Abstiegs noch lange nicht den sozialen Tod. Denn im Gegensatz zu westeuropäischen Ländern sind die USA der Unternehmerstandort schlechthin. Seit der Gründung des riesigen Staatenverbundes gilt die Devise: Wer nicht gescheitert ist, wird kein guter Unternehmer.
Das berühmteste Beispiel für einen, der Fehler beging und scheiterte, bevor er sich immer wieder neu aufrappelte und weitermachte, wird in den öffentlichen Schulen schon Drittklässlern beigebracht: Abraham Lincoln. Die Kinder lernen natürlich, dass er mit 52 Jahren amerikanischer Präsident und ein paar Jahre später erschossen wurde. Aber dieser Karriere ging der unbedingte Wille voraus, sich von Fehlschlägen nicht kleinkriegen zu lassen. Die Grundschüler lernen, dass Lincoln als junger Mann arbeitslos wurde, in seinem ersten Wahlkampf baden ging und seine Freundin verlor. Die Lehrpläne lassen auch nicht aus, dass zwei von Lincolns Söhnen starben und dass er im Verlauf von 20 Jahren viele Male politisch Schiffbruch erlitt.
Die Lehre, die die Kinder ziehen sollen, lautet: Wer sich von Tiefschlägen nicht kleinkriegen lässt, wird letztendlich erfolgreich sein. Schicksalsschläge zu erleiden oder persönliche Fehler zu machen, auch wenn sie gravierend sind, bedeutet nie das Ende der Welt. An sich selbst zu glauben und nicht denen zu trauen, die einen als "Loser" bezeichnen – Abraham Lincoln als Rollenvorbild, und das seit 150 Jahren.
Sich selbst darf man immer neu erfinden
Tatsächlich zieht sich durch die amerikanische Alltagskultur eine Traditionslinie, die dem "American Way of Life" und seinen Glücksversprechungen eine Regel des Scheiterns mitgegeben hat. Wer scheitert, hat das Recht auf einen Neuanfang. Denn wie kann der glücklich werden, dem diese Gelegenheit versagt wird? Und: Wer ein Risiko eingeht, kann scheitern, muss danach aber auch aus seinen Fehlern lernen, um es besser zu machen. Dem Gescheiterten muss geradezu eine neue Chance eingeräumt werden, damit er sein Scheitern als Erfahrungsschatz für die Zukunft nutzt. Aus dieser Sicht erfindet sich der "Self-Made-Man" immer wieder neu. Es verwundert deshalb beispielweise nicht, dass der Begriff "to re-invent yourself" – sich selbst neu erfinden – weit über die Modeindustrie hinaus in den USA als Verb der Tugend gilt.
Man muss Donald Trump, den Inbegriff des ruchlosen New Yorker Immobilienzockers, nicht sympathisch finden. Aber er steht auch für den Abstieg und schliesslich wieder Aufstieg eines (fast) Gescheiterten. Trumps private Schulden Anfang der 1990er Jahre betrugen um die 900 Millionen Dollar, seine geschäftlichen Miesen über drei Milliarden. Sie waren – typisch amerikanisch – zum öffentlichen Ereignis geworden. Finanziell stand der Milliardär mit der Rezession im Wohnungs-, Grundstücks- und Bausektor 1991 so tief in den roten Zahlen, dass die Medien nicht nur von einer bevorstehenden Bankrotterklärung seines Unternehmens unkten, sondern sogar die Privatinsolvenz von Mister Trump vorhersagten.
Doch Trump gab über die folgenden Jahre nicht auf und konnte große Teile seiner Schuldenlast wieder tilgen. "Remember Donald Trump?" ist bei New Yorkern seitdem ein geflügeltes Wort, wenn sie sich gegenseitig ermuntern wollen. Trump schrieb ein paar Jahre später einen Autobiographie-Bestseller mit dem Titel "The Art of the Comeback", die Kunst der Wiederkehr. Das Buch ist freilich eine eher oberflächliche Selbstdarstellung ohne analytische Substanz. Aber es zeigt prominent, dass in den USA das "Comeback" nach dem Scheitern durchaus vorgesehen ist.
Dass sich jemand nicht mehr erholt, ist nicht vorgesehen
Das Auf und Ab der Unvermeidlichkeit von Misserfolg und Erfolg sei in gewisser Weise steuerbar, meint der Computerteile-Hersteller Jill Estill. Er kreierte aus seiner eigenen Erfahrung heraus das Motto "fail often, fail fast and fail cheap". Oft zu scheitern sei parallel zum wissenschaftlichen "Trial-and-Error"-Verfahren zu verstehen: Nur aus Fehlversuchen sei eine positive Erfahrung zu ziehen. Missglückte Versuche müssten allerdings schnell erkannt werden, um nicht allzu viel Geld aus der ursprünglichen Investition zu verlieren, meint Estill. Wie viele andere Unternehmer, die sich mit kleinen Startup-Unternehmen nach oben vorarbeiteten, ist er der Meinung, dass Scheitern immer auch eine Chance darstellt.
Wobei Estill seiner unternehmerischen Sicht die Annahme zugrundelegt, dass beim Fall nach "ganz unten" eine weiche Auffangmatratze als Dämpfer dient – zum Beispiel finanzieller Art. Dass die soziale Netze in den USA immer löchriger werden und die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass sich jemand vom Fall nicht mehr erholt, bleibt aus dieser Rechnung ausgeschlossen. Die Kultur des Scheiterns setzte bisher immer ein Fundament voraus, von dem aus der Wiederaufstieg möglich war. Auch Stehaufmännchen brauchen schliesslich einen festen Boden unter den Füßen, sonst bleiben sie endgültig liegen.
Max Böhnel ist freier Journalist in New York.