Gewalt im Jemen lässt Armee der Hungrigen wachsen

Gewalt im Jemen lässt Armee der Hungrigen wachsen
Armenhaus Arabiens: Während die Anhänger von Ex-Präsident Salih und die Revolutionäre um die Macht ringen, versinken immer größere Teile des Jemen in bitterer Armut. Die Vereinten Nationen stocken ihre Nahrungsmittelhilfe auf.
30.03.2012
Von Anne-Beatrice Clasmann

Sie klettern über Betonmauern, schieben den mit einem Sturmgewehr bewaffneten Wächter zur Seite und drängen sich um einen Lastwagen, der mit Säcken voller Hülsenfrüchte beladen ist. Dabei schimpfen die rund 300 Männer lauthals. Die meisten von ihnen tragen die traditionelle jemenitische Tracht, die aus einer Art gewickeltem Rock mit Gürtel, einem weiten Hemd und einem um den Kopf geschlungenen Tuch besteht. Dankbare Hilfsempfänger sehen anders aus.

Munzher al-Adimi, der die Nahrungsmittel-Verteilung der internationalen Hilfsorganisation Islamic Relief in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa organisiert, bleibt trotz des aggressiven Verhaltens der Männer um ihn herum gelassen. "Diese Menschen sind aus ihren Häusern und von ihren Ländereien vertrieben worden, sie sind es nicht gewohnt, Bittsteller zu sein", erklärt er.

Lokale Konflikte und gestiegene Weltmarktpreise

Unterernährte Kinder und hungrige Bettler sind im Jemen keine neue Erscheinung. Doch die politischen Umwälzungen, die Ende Januar 2011 mit den Massenprotesten gegen Langzeitpräsident Ali Abdullah Salih begannen, haben die Lage drastisch verschärft. Denn das mit seinem Überleben beschäftigte Regime kümmerte sich kaum noch um die Versorgung der Bevölkerung, vernachlässigte die Sicherheit in den Unruhe-Gebieten im Nordwesten und Süden und schürte teilweise sogar lokale Konflikte, um daraus politisch Kapital zu schlagen.

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Gleichzeitig stiegen die Weltmarktpreise. Für den Jemen, der 90 Prozent seiner Grundnahrungsmittel importiert, hatte dies dramatische Folgen. Aktuell erhalten mehr als 3,4 Millionen der insgesamt 24 Millionen Jemeniten Nahrungsmittelhilfe von den Vereinten Nationen. Hinzu kommen rund 180.000 Flüchtlinge aus Somalia.

Houthi-Rebellen beeinflussen Zugang zu allen Bedürftigen

Die Männer und Frauen, die in einem Viertel unweit des internationalen Flughafens von Sanaa einmal pro Monat Mehl, Öl, Hülsenfrüchte und Datteln abholen, wurden alle durch die Kämpfe zwischen den schiitischen Houthi-Rebellen auf der einen und den Regierungstruppen sowie sunnitischen Stämmen auf der anderen Seite vertrieben. Unter ihnen sind viele Anhänger der radikal-islamischen Salafisten-Bewegung.

Die Nahrungsmittelhilfe, die von Islamic Relief verteilt wird, liefert das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen. Bis Dezember vergangenen Jahres ließ das WFP auch in Saada selbst Lebensmittel verteilen. Doch dann versuchten die Houthi-Rebellen, deren Schlachtruf "Tod für Amerika und Tod für Israel" ist, zu beeinflussen, wer die Hilfe erhält und wer nicht. "Wir haben die Verteilung von Nahrungsmitteln in Saada vorübergehend eingestellt und zwar solange, bis wir ungehinderten Zugang zu allen Bedürftigen erhalten", sagt Ian McDonald, WFP-Programmkoordinator für den Jemen.

Dass die Houthis, die von dem Machtvakuum nach der Revolution im vergangenen Jahr profitiert haben, jetzt versuchen, ihre Kontrolle auf einige Gebiete in der Provinz Hadscha auszudehnen, bereitet den Helfern Sorge. Denn die Zahl der hungrigen Vertriebenen steigt dadurch weiter an. Seit dem vergangenen Februar sind laut WFP 7.500 bedürftige Familien hinzugekommen. Das entspricht im Jemen, wo Familien mit vier Kindern als klein gelten, rund 50.000 Menschen.

Überfälle bei Hilfstransporten über Land befürchtet

Doch die Situation in Saada ist nicht das einzige Problem, dass den UN-Helfern Kopfschmerzen bereitet. Auch im Süden, wo militante Islamisten aus dem Dunstkreis des Terrornetzwerks Al-Kaida zwei Städte und mehrere ländliche Gebiete eingenommen haben, wächst die Armee der Hungrigen. Seit Mitte 2011, als die Kämpfer der Al-Kaida nahestehenden Gruppe Ansar al-Scharia die Städte Dschaar und Zindschibar in der Provinz Abjan unter ihre Kontrolle brachten, wurden mehr als 130.000 Menschen im Süden vertrieben.

Ein Großteil von ihnen floh vor den Kämpfen zwischen den Terroristen und den Regierungstruppen, die teilweise von der US-Armee mit Kampfdrohnen unterstützt wird. Einige verließen ihre Häuser, weil sie nicht unter der Knute der Extremisten leben wollten. Sie flohen meist in die Provinzen Aden und Lahdsch. Für die Helfer ist auch die Logistik schwer zu organisieren, weil die Straßen des Landes extrem unsicher geworden sind. Ausländer riskieren Angriffe von Extremisten und Entführungen. Bei Hilfstransporten über Land muss mit Überfällen gerechnet werden.

Entspannung kann nach Einschätzung ausländischer Beobachter nur durch eine politische Lösung kommen. Doch davon ist der Jemen auch nach dem Abgang von Präsident Salih noch weit entfernt. Denn sein Nachfolger, der ohne Gegenkandidaten für zwei Jahre zum Übergangspräsident gewählte Ex-Vizepräsident Abed Rabbo Mansur Hadi, gilt als wohlmeinend aber schwach. Die Experten schätzen, dass die Nahrungsmittelhilfe für den Jemen auch im nächsten Jahr nicht zurückgefahren werden kann.

dpa