"Camerata Nucleare": Orchesterprobe am Atomkraftwerk

"Camerata Nucleare": Orchesterprobe am Atomkraftwerk
Alle paar Monate reisen die Musiker von "Camerata Nucleare" zum AKW Gundremmingen - und üben. Einst vom Kraftwerkschef gegründet, hadert das Orchester heute mit seinem Namen. Allerdings nicht unbedingt, weil die Mitglieder Vorbehalte gegen die Kernenergie haben.
28.03.2012
Von Christine Cornelius

Niedrige Holzdecken, ein kahler Gang - die Revisionsbaracke am Fuße des Atomkraftwerks Gundremmingen wirkt alles andere als einladend. Die rund 35 Laienmusiker des Orchesters "Camerata Nucleare" kommen trotzdem gern hierher. Mehrmals im Jahr reisen sie aus ganz Deutschland und zum Teil auch aus den Nachbarländern in den schwäbischen Landkreis Günzburg, um gemeinsam zu proben. Die meisten von ihnen sind Rentner, viele haben früher einmal in der Kerntechnik gearbeitet. Einige der Jüngeren tun es noch heute. In Zeiten des Atomausstiegs wirkt der Name "Camerata Nucleare" unpassend, das weiß auch der Vorsitzende Hans-Jürgen Goebelbecker. Das Orchester will sich umbenennen.

Stärkerer Energiemix im Orchester gewünscht

Derzeit proben die Musiker für das große Branchentreffen der Atomenergie im Mai, das in diesem Jahr in Stuttgart stattfindet. "Der Auftritt der 'Camerata Nucleare' ist seit vielen Jahren fester Bestandteil und liebgewonnene Tradition unserer Jahrestagung Kerntechnik", erklärt die Vorsitzende der Kerntechnischen Gesellschaft, Astrid Petersen. Außerhalb der Branche sind die Auftrittsangebote allerdings rar. Bei Jubiläen von Atomkraftwerken haben sie schon oft gespielt - bei der Eröffnung eines Windparks noch nie. Goebelbecker vermutet, dass der Name ein Hindernis ist. Bei "Nucleare" winkten heute viele ab. "Es ist ein No-Go", sagt er.

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Seit etwa zwei Jahren diskutiere das Orchester über einen neuen Namen - nicht erst seit Fukushima, versichert Goebelbecker. Er erhofft sich von einer Umbenennung nicht nur neue Aufträge, sondern auch mehr Mitglieder aus anderen Energiebranchen - einen stärkeren Energiemix im Orchester sozusagen. Auch heute spielten bei "Camerata Nucleare" schon viele mit, die nicht aus der Kerntechnik kämen. Goebelbecker betont immer wieder, dass sie das Orchester der deutschen Energiewirtschaft seien und kein PR-Instrument der Kerntechnik.

"Ich würde jedes Orchester dirigieren, außer einem Nazi-Orchester"

Die Gründungsgeschichte des Orchesters klingt allerdings tatsächlich wie eine PR-Kampagne für die Atombranche. Der ehemalige Geschäftsführer des AKW Gundremmingen, Reinhardt Ettemeyer, gründete "Camerata Nucleare" 1986, im Jahr des Reaktorunfalls von Tschernobyl. Vorstandsmitglied Walter Bauer erinnert sich: "Ettemeyer wollte ein Zeichen setzen, das sagte: Diese Kernkraftleute sind keine eiskalten Technokraten, die nur schreckliche Gefahren heraufbeschwören, sondern das sind Menschen wie andere auch - die machen sogar Musik." Es habe Ärzte-Orchester und Juristen-Orchester gegeben - wieso also nicht auch ein Orchester der Kerntechniker?

Dirigent Jaroslav Opela genießt die Arbeit mit den Musikern und die Gespräche im Anschluss an die Proben. "Das sind sehr gebildete Leute", sagt er. Aus welcher Branche die Musiker kämen, sei ihm egal, schließlich gehe es um die Musik. "Ich würde heute jedes Orchester dirigieren, außer einem Nazi-Orchester", sagt der 77-Jährige. Außerdem stehe er hinter der friedlichen Nutzung der Kernenergie. "In Deutschland haben wir gewisse Neurosen - Atomkraft ist eine davon." Anfangs habe er die Musiker absichtlich provoziert, um ihnen Argumente zu entlocken, erinnert er sich. "Ich habe sie manchmal gereizt wie ein Grüner - das waren interessante Diskussionen."

"Wir haben nichts zu verbergen"

Informatikerin Beate Deiß spielt bei "Camerata Nucleare" Violine. Nach Fukushima habe es Austritte gegeben, erzählt sie. Sie würden von außen oft nur als Orchester der Kernkraft wahrgenommen, dabei seien sie für alle Sparten offen. "Wir sind einfach musikbegeisterte Leute", sagt die 45-Jährige. Das Orchester habe sie musikalisch sehr weitergebracht. Goebelbecker erzählt von Musikern, die wegen des Namens nicht auf Gruppenfotos zu sehen sein wollten. "Wir haben einige Leute, die ihre Vorbehalte gegen die Kernkraft sehr klar kommunizieren", sagt er. "Aber solange wir uns musikalisch einig sind, ist es ja gut."

Einen kritischen Bericht über die Musiker überschrieb die "taz" einmal mit "Das einzige strahlende Orchester". Gegenwind seien sie gewohnt, sagt Goebelbecker. Auf dem Weg zur Jahrestagung Kerntechnik in Berlin seien sogar schon einmal faule Eier und Tomaten in ihre Richtung geflogen. "Das muss man aushalten." Es solle aber niemand auf die Idee kommen, sie wollten mit einem anderen Namen ihre Vergangenheit vertuschen. Die Entstehungsgeschichte werde weiterhin auf jedem Flyer zu lesen sein. "Wir haben nichts zu verbergen."

dpa