Amnesty International: Die Henkerstaaten werden weniger

Amnesty International: Die Henkerstaaten werden weniger
Wieder steht China bei den Hinrichtungen weltweit an der Spitze. Aber der Trend ist klar: Die Länder, die auf die Todesstrafe setzen, werden weniger. Und auch in der Volksrepublik wachsen die Zweifel.
27.03.2012
Von Christoph Sator

Mehr als 30 Jahre ist es her, dass auf deutschem Boden das letzte Todesurteil vollstreckt wurde. Im Juni 1981 ließ die DDR den Stasi-Hauptmann Werner Teske wegen "Hochverrats" exekutieren, durch einen Schuss ins Genick. Die Bundesrepublik hatte die Todesstrafe sogar schon 1949 abgeschafft, gleich mit dem Grundgesetz. Aber so weit weg, wie man denkt, sind Hinrichtungen auch heute noch nicht.

Es lässt sich sogar ziemlich genau sagen: Von Berlin aus sind es keine tausend Kilometer. In Weißrusslands Hauptstadt Minsk wurden erst diesen Monat wieder zwei Männer von Staats wegen getötet. Wie Teske durch Genickschuss, wie Teske ganz im Geheimen. Selbst die Angehörigen wurden erst später unterrichtet - durch einen knappen Vermerk der Staatsanwaltschaft, den sie im Briefkasten fanden.

Weißrussland: Europas letztes Land mit Todesstrafe

Weißrussland ist in Europa das letzte Land, das noch hinrichten lässt. Nach einer Schätzung von Amnesty International wurden dort seit dem Ende der Sowjetunion bis zu 400 Menschen exekutiert. Diktator Alexander Lukaschenko gab in all den Jahren nur ein einziges Mal einem Gnadengesuch statt. Im alljährlichen Amnesty-Bericht zur Todesstrafe, der an diesem Dienstag veröffentlicht wird, wird er dafür selbst an den Pranger gestellt.

Denn die Henkerstaaten sind inzwischen zur Ausnahme geworden. Von den 193 Mitgliedsländern der Vereinten Nationen ließen im vergangenen Jahr nur noch 20 Todesurteile vollstrecken. Abgeschafft - per Gesetz oder in der Praxis - ist die Todesstrafe nach der Amnesty-Statistik inzwischen in 141 Staaten. Anderswo werden zwar noch Todesurteile verhängt, aber nicht mehr ausgeführt.

Todesstrafe wird weiter abgeschafft

"Die weltweite Entwicklung hin zu einer Welt ohne Todesstrafe ist sehr ermutigend", freut sich der Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion, Wolfgang Grenz. Im vergangenen Jahr verzichteten zum Beispiel Japan und Singapur zum ersten Mal seit langer Zeit auf jede Exekution. In Afrika erließ Nigeria als bevölkerungsreichstes Land einen offiziellen Hinrichtungsstopp. In den USA schaffte Illinois als 16. Bundesstaat die Todesstrafe ab.

Allerdings gilt dieser Trend längst nicht überall. Weltweit wurden der Amnesty-Statistik zufolge 2011 immer noch mindestens 676 Menschen von Staats wegen getötet - vergiftet, enthauptet, erhängt oder erschossen. Die tatsächliche Zahl liegt jedoch viel höher. Allein China ließ höchstwahrscheinlich wieder mehr Menschen exekutieren als der gesamte Rest der Welt. Experten schätzen, dass es dort pro Jahr noch etwa 4000 Hinrichtungen gibt.

Auch in China wird diskutiert

Die genauen Statistiken werden von der Volksrepublik als Staatsgeheimnis behandelt. Im Amnesty-Bericht ist China deshalb nur ein dunkler Fleck; auf eigene Schätzungen verzichtet die Menschenrechtsorganisation seit einer Weile. Aber sehr wohl wird registriert, dass inzwischen auch in Chinas Politzirkeln Debatten über den Sinn der Todesstrafe geführt werden. Und auch, dass es dort vor einigen Jahren noch mehr als 8000 Hinrichtungen gab.

Auf Platz zwei der diesjährigen Henkerstaaten-Liste liegt der Iran, wo mindestens 360 Menschen gehenkt wurden - auch wegen Ehebruchs, Homosexualität und Abfalls vom islamischen Glauben. Es folgen Saudi-Arabien (82 Hinrichtungen), der Irak (68), die USA (43), der Jemen (41) und Nordkorea (30). Mit Ausnahme der USA sind das alles Mindest-Zahlen.

Damit entfallen von den Hinrichtungen weltweit fast alle auf etwas mehr als ein halbes Dutzend Länder. "Würden sich diese Staaten von der Todesstrafe verabschieden, wäre das Problem auf einmal um mehrere Größenordnungen kleiner", sagt Grenz. Aber auch den Amnesty-Experten ist klar, dass die Hoffnung darauf ziemlich gering ist.

dpa