Bundespräsident Gauck ruft zu Mut und Zuversicht auf

Bundespräsident Gauck ruft zu Mut und Zuversicht auf
Die erste wichtige Rede des neuen Präsidenten: Joachim Gauck mahnt zu Mut und Zuversicht - nicht nur die Bundesbürger, sondern auch alle anderen, die in Deutschland leben. Ungewöhnlich deutliche Worte findet er bei seiner Vereidigung am Freitag gegen den Rechtsextremismus.

"Ich bitte Sie alle, mutig und immer wieder damit zu beginnen, Vertrauen in sich selbst zu setzen", sagte Gauck am Freitag nach seiner Vereidigung in einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat. Weiter mahnte er, trotz Euro-Krise den Glauben an Europa nicht zu verlieren. Zugleich forderte er ein entschlossenes Vorgehen gegen den Rechtsextremismus. 

Fünf Tage nach seiner Wahl war der 72-Jährige zuvor als elfter Präsident vereidigt worden. Der frühere evangelische Pastor und DDR-Bürgerrechtler sprach den Amtseid mit der Formel "So wahr mir Gott helfe". In der gemeinsamen Sitzung waren fast alle Altbundespräsidenten dabei, darunter auch Gaucks unmittelbarer Vorgänger Christian Wulff, der vorzeitig zurückgetreten war. Gauck ist nun der elfte Präsident der Bundesrepublik Deutschland.

"So wahr mir Gott helfe"

In seiner Rede versprach das neue Staatsoberhaupt, Wulffs Engagement für eine bessere Integration von Menschen mit Migrationshintergrund fortzusetzen. Alle Menschen, die in Deutschland leben, sollten sich hier auch zu Hause fühlen können. Als Wunschbild nannte Gauck ein Deutschland, das "soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschance" miteinander verbindet. Niemand dürfe den Eindruck haben, kein Teil der Gesellschaft zu sein, weil er "arm, alt oder behindert" sei. Damit ging er auf seine Kritiker zu, die ihm vorwerfen, soziale Schieflagen zu übersehen.

Joachim Gauck (links) und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt nach der Vereidigung im Reichstagsgebäude. Foto: dpa

Gauck erinnerte an ein Zitat des indischen Pazifisten Mahatma Gandhi (1869-1948), wonach nur ein Mensch mit Selbstvertrauen Fortschritt machen und Erfolge haben könne. Dann fügte er hinzu: "Ob wir den Kindern und Enkeln dieses Landes Geld oder Gut vererben werden, das wissen wir nicht. Aber dass es möglich ist, nicht den Ängsten zu folgen, sondern den Mut zu wählen, davon haben wir nicht nur geträumt. Das haben wir gelebt und gezeigt."

Das neue Staatsoberhaupt rief zu einer entschlossenen Abwehr des Rechtsextremismus auf. "Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich", sagte er unter großem Beifall. An die Adresse der Rechtsextremisten fügte er hinzu: "Ihr werdet Vergangenheit sein, und unsere Demokratie wird leben." Mit Blick auf die deutsche Geschichte nannte er Deutschland ein "Land des Demokratiewunders".

Gauck mahnte, auch in der Euro-Krise am europäischen Gedanken nicht zu zweifeln. "Das Ja zu Europa gilt es zu bewahren." Gerade in Krisenzeiten sei die Neigung besonders ausgeprägt, sich in den Nationalstaat zu flüchten. "Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr Europa wagen." Immer wieder wurde Gaucks Rede von Beifall unterbrochen. Der parteilose ehemalige Pastor und DDR-Bürgerrechtler war am Sonntag als gemeinsamer Kandidat von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen gewählt worden.

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Gauck, der seine erste Reise als Staatsoberhaupt ins Nachbarland Polen antreten wird, rief in seiner Rede dazu auf, "in der Krise mehr Europa zu wagen". Zu seinem Hauptanliegen Freiheit sagte er, dass damit die Frage nach Gerechtigkeit eng verbunden sei. Freiheit sei Bedingung für Gerechtigkeit und Gerechtigkeit Bedingung dafür, Freiheit erlebbar zu machen. An seinen Vorgänger Christian Wulff gewandt, sagte Gauck, dessen Impulse für Miteinander und Toleranz würden auch ihm in seinem Amt "am Herzen liegen". Das Grundgesetz der Bundesrepublik sichere allen Menschen Würde zu, betonte der Bundespräsident. Wulff und seine Frau Bettina waren bei der Vereidigung anwesend.

Erster Präsident aus Ostdeutschland

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte, Gaucks Wahl markiere den Fortschritt der inneren Einigung Deutschlands. Der frühere DDR-Bürgerrechtler und evangelische Pfarrer sei der erste Bundespräsident, der nicht aus dem Westen kommt. Gauck wisse aus eigener Anschauung, was ein Leben in Unfreiheit und Gängelung bedeute, sagte Lammert.

Bundesratspräsident Horst Seehofer (CSU) dankte Gaucks Vorgänger Wulff, der am 17. Februar zurückgetreten war. Als Bundespräsident habe er wichtige Impulse für Zusammenhalt und Integration gegeben und sei mutig für eine offene Gesellschaft eingetreten. Wulffs Frau Bettina habe dem modernen Deutschland ein Gesicht gegeben. Wulff war am 17. Februar zurückgetreten. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen den früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten wegen des Verdachts der Vorteilsnahme. Gauck war am vergangenen Sonntag von der Bundesversammlung mit großer Mehrheit zum elften Bundespräsidenten gewählt worden. Er war der gemeinsame Kandidat von Union, FDP, der SPD und den Grünen.

dpa/epd

Gaucks Rede in Auszügen

Die Ansprache des neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck, in Auszügen dokumentiert vom Evangelischen Pressedienst (epd):

"(...) Ich empfinde mein Land vor allem als das Land eines Demokratiewunders. Anders als die Alliierten fürchteten, wurde der Revanchismus im Nachkriegsdeutschland nie mehrheitsfähig, es gab ein Nachwirken nationalsozialistischer Gedanken, aber daraus wurde keine gestaltende Kraft. Es entstand eine stabile demokratische Ordnung, Deutschland West wurde Teil der freien westlichen Welt.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte allerdings blieb defizitär. Die Verdrängung eigener Schuld, die fehlende Empathie mit den Opfern des Nazi-Regimes prägte den damaligen Zeitgeist. Erst die 68er-Generation hat das nachhaltig geändert. (...) Auch jener Teil unserer Geschichte darf nicht vergessen sein, der die Neugründung einer politischen Kultur der Freiheit, die gelebte Verantwortung, die Friedensfähigkeit und die Solidarität unseres Volkes umfasst.

Das ist kein Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur - das ist eine Paradigmenergänzung, die uns ermutigt: Das, was mehrfach in der Vergangenheit gelungen ist, die Herausforderungen der Zeit anzunehmen und sie nach besten Kräften - wenn auch nicht gleich ideal - zu lösen, ist eine große Ermutigung auch für die Zukunft.

Wie also soll es nun aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel "Unser Land" sagen sollen?

Es soll "unser Land" sein, weil "unser Land" soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschancen verbindet. Der Weg dazu ist nicht der einer paternalistischen Fürsorgepolitik, sondern ein Sozialstaat, der vorsorgt und ermächtigt. (...)

(...) Wenn die Zahl der Menschen wächst, die den Eindruck haben, ihr Staat meine es mit dem Bekenntnis zu einer gerechten Ordnung der Gesellschaft nicht ernst, sinkt das Vertrauen in die Demokratie. "Unser Land" muss also ein Land sein, das beides verbindet: Freiheit als Bedingung von Gerechtigkeit - und Gerechtigkeit als Bedingung dafür, Freiheit und Selbstverwirklichung erlebbar zu machen. (...)

(...) Wir leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition Religionen wie der Islam getreten, auch andere Sprachen, andere Traditionen. In dem der Staat sich immer weniger durch die nationale Zugehörigkeit seiner Bürger definieren lässt, sondern durch ihre Zugehörigkeit zu einer politischen und ethischen Wertegemeinschaft. In dem nicht ausschließlich die über lange Zeit entstandene Schicksalsgemeinschaft das Gemeinwesen bestimmt, sondern zunehmend das Streben von Unterschiedlichen nach dem Gemeinsamen: diesem unseren Staat in Europa, in dem wir in Freiheit, Frieden und in Solidarität miteinander leben wollen. (...)

(...) Für eine einladende, offene Gesellschaft hat Bundespräsident Christian Wulff in seiner Amtszeit nachhaltige Impulse gegeben. Herr Bundespräsident Wulff, dieses - Ihr - Anliegen wird auch mir in meiner Amtszeit am Herzen liegen. (...)

(...) Gerade in Krisenzeiten ist die Neigung, sich auf die Ebene des Nationalstaats zu flüchten, besonders ausgeprägt. Das europäische Miteinander aber ist ohne den Lebensatem der Solidarität nicht gestaltbar. Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr Europa wagen. (...)

(...) Wir lassen uns unsere Demokratie nicht wegnehmen, wir stehen zu diesem Land, nicht weil es so vollkommen ist, sondern weil wir nie zuvor ein besseres gesehen haben. Und speziell zu den rechtsextremen Verächtern unserer Demokratie sagen wir in aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben. (...)

(...) Zum Schluss erlaube ich mir, Sie alle um ein Geschenk zu bitten: um Vertrauen. Zuletzt bitte ich Sie um Vertrauen in meine Person. Davor aber bitte ich Sie um Vertrauen zu denen, die in unserem Land Verantwortung tragen, wie ich diese um Vertrauen zu all den Bewohnern dieses wieder vereinigten und erwachsen gewordenen Landes bitte. Und davor wiederum bitte ich Sie, mutig und immer wieder damit zu beginnen, Vertrauen in sich selbst zu setzen. (...)