"7 Wochen Ohne": Beten und arbeiten im Unternehmen

"7 Wochen Ohne": Beten und arbeiten im Unternehmen
Die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter ist das wichtigste Gut für diakonische Einrichtungen. Aber der Anstieg psychischer Erkrankungen ist mit Sorge zu betrachten. Der Arbeitspsychologe Tim Hagemann hat untersucht, wie sich Spiritualität auf Arbeitnehmer in Unternehmen auswirkt und ob sich das Arbeitsklima und die Belastungssituation dadurch verbessern können.
20.03.2012
Von Prof. Dr. Tim Hagemann

Die günstige Wirkung von Spiritualität und Religiosität auf Krankheitsbewältigung und Gesundheit sowie auf die Bewältigung kritischer Lebensereignisse ist inzwischen durch zahlreiche Studien gut untersucht. Weit weniger erforscht ist, inwieweit sich Spiritualität, individuelle Glaubensvorstellungen und religiöse Angebote auf die Bewältigung beruflicher Anforderungen auswirken.

Die Arbeitswelt, nicht zuletzt in den sozialen Dienstleistungen, hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Die Einführung zahlreicher Managementtechniken fördern die Führung und Steuerung einer sozialen Einrichtung mittels Kennzahlen und "harter Fakten". Unbestritten wurde dadurch die Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit einzelner Unternehmensverbände und Einrichtungen verbessert.

Untersuchungen zeigen aber auch, dass Mitarbeitende diese Veränderungen als bedrohlich erleben können. Da medizinische Studien zunehmend den Einfluss von Spiritualität und Religiosität auf die psychische Gesundheit aufzeigen, es ist naheliegend zu untersuchen, ob sich diese Effekte auch günstig auf die Bewältigung psychischer Arbeitsbelastungen auswirken.

Begünstigt Spiritualität das Arbeitsklima im Unternehmen?

Genau dieser Fragestellung geht die Fachhochschule der Diakonie in verschiedenen Forschungsprojekten nach. Es geht darum, spirituelle und religiöse Angebote beziehungsweise ein diakonisches Profil, welche ein Wesensmerkmal der Diakonie sind oder sein sollten, als wirksame Ergänzung des Spektrums der Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung zu nutzen. Dazu wurden verschiedene Hypothesen formuliert: Werte- und Glaubenshaltungen und Spiritualität könnten sich in diakonischen Einrichtungen günstig auf die Bewältigung von Arbeitsbelastungen auswirken, da beispielsweise mehr soziale Unterstützung erlebt wird oder die Identifikation mit dem Arbeitgeber erhöht ist.

Auch könnten gemeinsame Werte eine günstige Organisationskultur hinsichtlich Orientierung, Sinn und Identität bewirken. Zudem könnten sich religiöse "Rituale" wie Singen, Beten, Aussegnungen und ähnliche allgemein entspannend und entlastend im Umgang mit betreuten Menschen auswirken und religiöse Vorstellungen helfen, Arbeitsbelastungen (Krankheit, Tod etc.) zu verarbeiten. Schließlich wäre es denkbar, dass religiöse Vorstellungen mit einem Kohärenzgefühl (Verstehbarkeit, Sinn, Machbarkeit) einhergehen und positive Emotionen (Dankbarkeit, Hoffnung, Freude, Zuversicht) verstärken.

Aufbauend auf den Ergebnissen einer ersten qualitativen Datenerhebungsphase wurde mit einer quantitativen Datengewinnung die bis dahin erzielten Erkenntnisse überprüft. An dieser Fragebogenstudie nahmen 996 Mitarbeitende aus dem Gesundheits- und Sozialwesen teil, davon arbeiten 168 in nicht konfessionell-gebundenen sozialen Einrichtungen.

Mehrheit der Mitarbeiter beurteilt religiöse Angebote im Unternehmen positiv

Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass ein Zusammenhang besteht zwischen individuellen Glaubensvorstellungen sowie Bewältigungsstrategien, die sich aus einem religiösen oder spirituellen Setting heraus ergeben, und dem Beanspruchungserleben. Mitarbeitende, die Formen von religiösen oder spirituellen Bewältigungsstrategien nutzen, zeigen ein signifikant geringeres Beanspruchungserleben. Es zeigte sich aber auch, dass aufgrund der zunehmenden Belastungen viele Mitarbeitende das Gefühl haben, ihren eigenen (christlich motivierten) Ansprüchen nicht gerecht werden zu können.

Wenn das Leitbild in der Einrichtung nicht gelebt wird, nehmen insbesondere religiöse Mitarbeitende schnell innerlich Abstand von der diakonischen Einrichtung. Des Weiteren zeigte sich, dass Formen von sozialer Unterstützung, Wertschätzung sowie Transparenz und Partizipation in einem engen Zusammenhang mit dem subjektiv empfundenen Beanspruchungserleben stehen und in den Gemeinschaftsmomenten mit den zu betreuenden Menschen sich Spiritualität, Sinn und erlebte diakonische Gemeinschaft zeigen.

Viele nutzen sie nicht, sind aber froh, dass es Angebote gibt

Ein Vergleich zwischen diakonischen und nicht konfessionell gebundenen Einrichtungen zeigt, dass Mitarbeitende in der Diakonie die (organisationalen) Ressourcen günstiger einschätzen. Nähere Analysen zeigen allerdings auch, dass sich diese Bewertungen in den verschiedenen Einrichtungen der Diakonie durchaus unterscheiden. Hinsichtlich individueller religiöser Glaubensvorstellungen und spirituellen sowie religiösen Bewältigungsstrategien konnten zwischen den Mitarbeitenden der Diakonie und nicht konfessionell gebundener Häuser nur geringfügige Unterschiede festgestellt werden.

Bei einigen Mitarbeitenden in der Diakonie zeigt sich eine gewisse Verunsicherung bezüglich der Erwartungen seitens einer Einrichtung mit konfessioneller Prägung. Auch wenn die Mehrheit der Mitarbeitenden in diakonischen Einrichtungen angeben, dass sie religiöse Angebote wie Andachten, Seelsorge und allgemeine Gottesdienste eher selten oder gar nicht in Anspruch nehmen, so beurteilen doch fast zwei Drittel aller Mitarbeitenden in diakonischen Einrichtungen positiv, dass es diese Angebote gibt.

Nicht überfordern, ausgrenzen oder missionieren

Einrichtungen sollten ihre Mitarbeitenden ermuntern und es ermöglichen, religiöse Glaubensvorstellung und Spiritualität zu leben. Dies setzt heute sowohl für konfessionell als auch nicht konfessionell gebundene Einrichtung voraus, dass Unterschiedlichkeit und eine interkulturelle Öffnung gelebt wird. Dem Führungsverhalten kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Bei einer Ausrichtung auf Spiritualität und Religiosität besteht aber auch die Gefahr, dass sich Menschen überfordert, ausgegrenzt oder missioniert fühlen, da dieses sehr persönliche Bedürfnisse und Belange des Einzelnen berührt. Ein weiteres Problem ist das der "Systemverträglichkeit": Unternehmenswerte können nur dann gemeinsam erlebt und gelebt werden, wenn sie mit den äußeren Bedingungen als stimmig empfunden werden. Beispielsweise kann eine kennzahlen- und leistungsorientierte Führung eines Unternehmens im Widerspruch zur Ausbildung einer besonderen Arbeitsgemeinschaft erlebt werden.

Ein drittes Problem besteht darin, dass die Mitarbeitenden in der Hinwendung zu einem besonderen christlichen Profil oder auch christlicher Spiritualität eine Maßnahme zur "Leistungssteigerung" sehen. Also die Gefahr, dass die Hinwendung zu Spiritualität und Religiosität lediglich als ein weiteres "Managementinstrument" wahrgenommen wird.


Tim Hagemann ist Professor am Lehrstuhl Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld. Das Forschungsprojekt wurde von ihm an der FH der Diakonie durchgeführt.

Auf einer Fachtagung am 18. Juni 2012 an der FH der Diakonie in Bielefeld zum Thema "Führung, Gesundheit und Spiritualität in diakonischen Einrichtungen – Empfehlungen für die Praxis" wird Tim Hagemann zusammen mit zwei weiteren Referenten diese und andere Ergebnisse aus drei Entwicklungs- und Forschungsprojekten vorstellen und konkrete Gestaltungsmöglichkeiten für Unternehmen aufzeigen. Die Tagung richtet sich an Führungskräfte, Personal- und Organisationsentwickler sowie Mitarbeitende, die sich in verschiedenen Funktionen mit dem Profil diakonischer Unternehmen beschäftigen. Die Veranstaltung wird gemeinsam mit dem Diakonie Bundesverband und dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD durchgeführt.