"Was für ein schöner Sonntag!" Gauck ist Bundespräsident

"Was für ein schöner Sonntag!" Gauck ist Bundespräsident
Die Bundesversammlung hat am Sonntag in Berlin Joachim Gauck zum neuen Bundespräsidenten gewählt - bei einer überraschend großen Zahl von Enthaltungen.

Auf den neuen Bundespräsidenten entfielen 991 der 1232 abgegebenen Stimmen der Bundesversammlung. Für die Gegenkadidatin Beate Klarsfeld sstimmten 126 Delegierte.

Damit erhielt die als Nazi-Jägerin bekanntgewordene 73-Jährige mindestens drei Stimmen von Vertretern anderer Parteien - die sie unterstützende Linkspartei stellte nur 123 Delegierte. Der Kandidat der rechtsextremen NPD, der revisionistische Historiker Olaf Rose, bekam drei Stimmen. 108 Delegierte der Bundesversammlung enthielten sich.

Gauck erhob sich unmittelbar nach der Wahl von seinem Platz in der ersten Reihe, ging zum Rednerpult und nahm die Wahl an. Damit ist der 72-Jährige offiziell als Bundespräsident im Amt. "Was für ein schöner Sonntag", sagte er anschließend vor der Bundesversammlung.

Trotz der breiten Mehrheit versagten Gauck mindestens 103 Delegierte aus dem eigenen Lager die Stimme. Der parteilose Theologe wurde von einer bislang einmaligen Fünf-Parteien-Koalition aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen unterstützt, die in der Bundesversammlung insgesamt 1100 Mandate hatte.

Wegen sechs Krankheitsfällen waren es faktisch aber nur 1094 Delegierte. Außerdem hatten die zehn Wahlleute der Freien Wähler Gauck ihre Unterstützung zugesagt.

Merkel: "Ein guter Tag für die Demokratie"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach der Wahl von Joachim Gauck zum neuen Bundespräsidenten von einem guten Tag für die Demokratie gesprochen. "Selten hat ein Bundespräsident solch eine Zustimmung bekommen", sagte Merkel am Sonntag im Interview von ARD und ZDF kurz nach der Wahl Gaucks in Berlin.

Sie gratulierte Gauck und sagte, der neue Bundespräsident sei "Manns genug" sich auch Kritik zu stellen, die in den vergangenen Wochen an seiner Person geäußert wurde.

Zum Thema von Gaucks erster Rede als neuer Präsident, den ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990, sagte Merkel, dies sei auch ein besonderer Tag in ihrem Leben gewesen. Die Ostdeutschen seien in diesem Land angekommen, auch wenn noch viel zu tun bleibe.

Schneider wünscht dem Bundespräsidenten Gottes Segen

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, erwartet vom neu gewählten Bundespräsident Joachim Gauck wichtige Impulse für "das öffentliche Gespräch". In seiner Gratulation zur Wahl in der Bundesversammlung am Sonntag schrieb Schneider, Gauck übernehme das neue Amt "in einer nicht einfachen Zeit". 

Die Auseinandersetzungen um das Amt des Bundespräsidenten hätten Spuren hinterlassen, die Sehnsucht nach einer Persönlichkeit, die das Amt wieder in "ruhige Fahrwasser" geleite, sei groß. "Groß sind auch die Herausforderungen, vor denen unser Land und die Staatengemeinschaft Europas stehen", so der EKD-Chef. Schneider fügte hinzu: "Gottes Segen möge Sie leiten und begleiten, heute und an allen Tagen Ihres Lebens."

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, nannte Gaucks "hohe Glaubwürdigkeit im Eintreten für Freiheit und bürgerliche Verantwortung" sowie seine "breite Akzeptanz durch die Menschen" hervorragende Voraussetzungen für die Übernahme des Amtes als Bundespräsident in einer schwierigen Zeit. Sein "politisches Gespür und die besondere Fähigkeit, den Menschen nahe zu sein", würden Gauck in seiner neuen Aufgabe helfen. Zollitsch lud den neuen Bundespräsidenten zudem zum 98. Deutschen Katholikentag im Mai nach Mannheim ein.

Vier von fünf Befragten finden Gauck glaubwürdig

Gauck genießt einen großen Vertrauensvorschuss der Bürger und Parteien. Das neue Staatsoberhaupt halten 80 Prozent der Deutschen für glaubwürdig, wie eine Umfrage für die ARD-Sendung "Günther Jauch" ergab. Gut ein Drittel (37 Prozent) weiß aber noch nicht, wofür der 72-Jährige steht. Neben dem großen Thema der Freiheit wird von Gauck erwartet, zu anderen Fragen wie dem Euro oder dem Rechtsextremismus Position zu beziehen.

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Gaucks Gegenkandidatin Beate Klarsfeld rief am Vorabend der Bundesversammlung zum Kampf gegen den Rechtsextremismus auf. "Ich betrachte meine Kandidatur als große Ehre und verbinde damit das politische Signal, im Kampf gegen alte und neue Nazis nicht nachzulassen", sagte Klarsfeld am Samstagabend in Berlin nach einem Treffen der Linke-Fraktion der Bundesversammlung.

Voraussichtlich am Montag soll Gauck in sein Amt eingeführt werden. Die Vereidigung des 11. Präsidenten vor Bundestag und Bundesrat ist für kommenden Freitag vorgesehen. Offiziell im Amt ist der Präsident aber bereits, da er die Wahl angenommen hat. Ein politische Rede will Gauck im ersten Tag noch nicht halten: "Morgen gibt's nur Dankesworte, da gibt es noch keine politische Rede. Die gibt's vielleicht am 23., da müssen Sie sich noch ein paar Tage gedulden", sagte Gauck am Samstag zu Journalisten.

dpa/epd

Dokumentation: Joachim Gaucks Dankesrede im Bundestag

 

"Was für ein schöner Sonntag. Es war der 18. März heute vor genau 22 Jahren, und wir hatten gewählt. Wir, das waren Millionen Ostdeutsche, die nach 56-jähriger Herrschaft von Diktatoren endlich Bürger sein durften.

Zum ersten Mal in meinem Leben, im Alter von 50 Jahren, durfte ich in freier, gleicher und geheimer Wahl bestimmen, wer künftig regieren soll. Die Menschen, die damals zur Wahl strömten, lebten noch im Nachhall der friedlichen Revolution, als wir "das Volk" waren und dann die Mauern fielen.

Ich selber hatte als Sprecher des Neuen Forums in Rostock daran mitwirken dürfen. Wir waren schon frei von Unterdrückung. Jetzt schickten wir uns an, Freiheit zu etwas und für etwas zu erlernen. Nie werde ich diese Wahl vergessen, niemals.

Weder die über 90 Prozent der Wahlbeteiligung, noch meine eigene innere Bewegung. Ich wusste, diese meine Heimatstadt und dieses graue, gedemütigte Land - wir würden jetzt Europa sein. In jenem Moment war da in mir neben der Freude ein sicheres Wissen - ich werde niemals, niemals eine Wahl versäumen. Ich hatte einfach zu lange auf das Glück der Mitwirkung warten müssen, als dass ich die Ohnmacht der Untertanen je vergessen könnte.

Ermutigende Unterstützung

'Ich wünschte mir ein Bürger zu sein, nichts weiter, aber auch nichts weniger als das': so hat ein deutscher Demokratielehrer - es war Dolf Sternberger - seine politische Haltung einmal definiert. Ich habe am 18. März 1990 genau denselben Wunsch gespürt. Und ich habe damals gefühlsmäßig bejaht, was ich mir erst später theoretisch erarbeitet habe, dass aus dem Glück der Befreiung die Pflicht, aber auch das Glück der Verantwortung erwachsen muss. Und dass wir Freiheit in der Tiefe erst verstehen, wenn wir eben dies bejaht und ins Leben umgesetzt haben.

Heute nun haben Sie, die Wahlfrauen und -männer, einen Präsidenten gewählt, der sich selbst nicht denken kann ohne diese Freiheit, und der sich sein Land nicht vorstellen mag und kann ohne die Praxis der Verantwortung. Ich nehme diesen Auftrag an mit der unendlichen Dankbarkeit einer Person, die nach den langen Irrwegen durch politische Wüsten des 20. Jahrhunderts endlich und unerwartet Heimat wiedergefunden hat und der in den letzten 20 Jahren das Glück der Mitgestaltung einer demokratischen Gesellschaft erfahren durfte. Deshalb: Was für ein schöner Sonntag, dieser 18. März, auch für mich.

Ermutigend und beglückend ist es für mich auch zu sehen, wie viele im Land sich in der letzten Zeit eingebracht haben und auch mich ermutigt haben, diese Kandidatur anzunehmen. Es sind Menschen ganz unterschiedlicher Generationen und Professionen, Menschen, die schon lange, und Menschen, die erst seit kurzem in diesem Land leben. Das gibt mir Hoffnung auf eine Annäherung zwischen den Regierenden und der Bevölkerung, an der ich nach meinen Möglichkeiten unbedingt mitwirken werde.

Ich werde nicht alle Erwartungen erfüllen können

Ganz sicher werde ich nicht alle Erwartungen, die an meine Person und meine Präsidentschaft gerichtet wurden, erfüllen können. Aber eins kann ich versprechen: Dass ich mit all meinen Kräften und meinem Herzen Ja sage zu der Verantwortung, die sie mir heute übertragen haben. Denn was ich als Bürger anderen Menschen als Pflicht und als Verheißung beschreibe, muss selbstverständlich auch Gültigkeit haben für mich als Bundespräsidenten. Das heißt auch, dass ich mich neu auf Themen, Probleme und Personen einlassen werde, auf eine Auseinandersetzung auch mit Fragen, die uns heute in Europa und in der Welt bewegen.

Ich danke Ihnen, den Mitgliedern der Bundesversammlung, für das mir entgegengebrachte Vertrauen. Sie, die sie hier gewählt haben, sind ja nicht nur Deputierte, sondern sie sind auch - das ist mir voll bewusst - Vertreter einer lebendigen Bürgergesellschaft.

Ob wir also als Wahlbevölkerung am Fundament der Demokratie mitbauen oder ob wir als Gewählte Weg und Ziel bestimmen - es ist unser Land, in dem wir Verantwortung übernehmen, wie es auch unser Land ist, wenn wir die Verantwortung scheuen. Bedenken sollten wir dabei: Derjenige, der gestaltet, wie derjenige, der abseits steht - beide haben sie Kinder. Ihnen werden wir dieses Land übergeben. Es ist der Mühe wert, es unseren Kindern so anzuvertrauen, dass auch sie zu diesem Land 'unser Land' sagen können."

evangelisch.de