Ein Jahr Revolution in Syrien: Hoffnung und Verzweiflung

Ein Jahr Revolution in Syrien: Hoffnung und Verzweiflung
Seit einem Jahr kämpft Assad gegen eine Protestbewegung, die trotz Milizenterror, Folter und Artilleriebeschuss nicht aufgibt. Der Westen ist angewidert, will aber nicht militärisch eingreifen.
14.03.2012
Von Anne-Beatrice Clasmann

Eine kleine Demonstration im Zentrum von Damaskus war der erste kleine Funke, der das Feuer der syrischen Revolution am 15. März 2011 entfachte. In der Provinz Daraa gingen empörte Bürger auf die Barrikaden, nachdem die Sicherheitskräfte Jugendliche verhaftet und gefoltert hatten. Ihr Vergehen: Sie hatten "Das Volk will den Sturz des Regimes" an die Wände gesprüht - den Slogan des Arabischen Frühlings.

Auch ein Jahr später ist das Feuer noch nicht erloschen. Dabei hat das Regime von Präsident Baschar al-Assad sein komplettes Arsenal des Schreckens gegen die Protestbewegung zum Einsatz gebracht hat: Folterknechte, Spione, Artilleriegeschütze, Heckenschützen und Propagandalügen. Deserteure werden hinterrücks erschossen, Frauen vergewaltigt, Kinder zu Tode gequält, Oppositionelle verleumdet. Mehr als 9.000 Menschen sollen dem Konflikt bisher zum Opfer gefallen sein.

"Der Westen hat im schlimmsten Fall sogar Öl ins Feuer gegossen"

Dass die Führungsclique mit äußerster Brutalität zuschlagen würde, hatten die Demonstranten, deren Zahl in den ersten Monaten der Proteste mit jeder Woche wuchs, erwartet. Verschätzt haben sich die Gegner des Assad-Regimes nur in Bezug auf die Reaktion der internationalen Gemeinschaft. Sie erwarteten Solidarität, schnelle entschlossene Sanktionen und indirekte Militärhilfe.

[listbox:title=Amnesty: In Syrien wird systematisch gefoltert[In Syrien werden nach Angaben vom Amnesty International Regimegegner seit Beginn der Massenproteste vor einem Jahr systematisch gefoltert. Die Menschenrechtsorganisation stützt ihren Bericht auf Aussagen syrischer Flüchtlinge in Jordanien. Überlebende und Augenzeugen hätten 31 Methoden beschrieben, mit denen syrische Sicherheitskräfte und regierungstreue Milizen Festgenommene folterten, teilte Amnesty am Mittwoch in Berlin mit.##Viele der Opfer berichteten von Schlägen mit Stöcken, Gewehrkolben, Peitschen und Seilen bereits bei der Ankunft in den Haftzentren. Das größte Risiko bestehe jedoch während der Befragung durch syrische Sicherheitskräfte. Viele Gefangene würden in Autoreifen gezwängt, aufgehängt und mit Stöcken und Kabeln misshandelt.##Bei einer anderen, häufig angewandten Foltermethode werde das Opfer an einem Haken oder Türrahmen mit Handfesseln aufgehängt, so dass die Zehenspitzen kaum den Boden berühren. Weit verbreitet seien auch Misshandlungen mit Elektroschocks. Auch Berichte über Vergewaltigungen hätten zugenommen.]]

Doch der Westen zögerte, die zersplitterte Opposition anzuerkennen. Die Sanktionen kamen relativ spät, und von Luftangriffen zum Schutz von Zivilisten und Deserteuren - wie zuvor in Libyen - wollen die meisten Entscheidungsträger nichts wissen. Russland und China verhindern bis heute ein entschlossenes gemeinschaftliches Vorgehen unter dem Dach der Vereinten Nationen.

Die International Crisis Group kommt in ihrer jüngsten Lage-Analyse zu einem vernichtenden Urteil: "Die mit wachsenden Opferzahlen und einer festgefahrenen politischen Situation konfrontierten äußeren Akteure haben im besten Falle halbherzig gehandelt, im schlimmsten Fall sogar Öl ins Feuer gegossen." Washington und seine europäischen Verbündeten hätten zu lange abgewartet und gehofft, dass der blutige Konflikt ohne ihr Zutun endet. Der Iran und Russland hätte Assad den Rücken gestärkt.

Regimegegner wollen "libysches Modell"

Spricht man in diesen Tagen mit Oppositionellen, so spürt man sowohl Hoffnung als auch Verzweiflung. Hoffnung, weil keiner von ihnen glaubt, dass sich Assad und sein Clan dauerhaft an der Macht halten können. Verzweiflung, da sich das brutale System nur ganz langsam von den Rändern her auflöst und jeden Tag Menschen gequält und getötet werden.

Wenige Tage vor dem ersten Jahrestag des Beginns des Aufstandes wurden in der Stadt Homs Dutzende von Leichen getöteter Frauen und Kinder gefunden. Die Opposition reagierte darauf, indem sie von den Arabern und der internationalen Gemeinschaft Waffenlieferungen und eine militärische Intervention forderte. Nachdem sie sich lange dagegen gesträubt haben, sehen die Regimegegner jetzt keinen anderen Weg mehr als das "libysche Modell".

[listbox:title=Mehr im Netz[Auflistung der Opfer durch syrische Oppositionelle (Arabisch)]]

Das Rückgrat der "Befreiung", von der sie träumen, soll die sogenannte Freie Syrischen Armee (FSA) sein, eine Gruppe von mehreren zehntausend schlecht bewaffneten Deserteuren, die zum Teil auf das Kommando von Oberst Riad al-Assad hören. Obwohl die FSA-Kämpfer inzwischen in einigen Regionen in Homs, Hama, im Umland von Damaskus und in Idlib präsent sind, gibt es bislang keine halbwegs sichere "befreite Zone" so wie einst im Osten von Libyen.

Syrischer Nationalrat verliert an Bedeutung

"In Al-Rastan (in der Provinz Homs) haben die Deserteure schon viermal die Kontrolle übernommen, aber dann kam immer wieder die Armee zurück", sagt der Exil-Oppositionelle Chalid Chodscha. Er gehört dem Syrischen Nationalrat (SNC) an, der sich im vergangenen Herbst als Bündnis der wichtigsten Oppositionsgruppen des Landes gegründet hatte.

Der SNC, der von dem Sorbonne-Professor Burhan Ghaliun geleitet wird, hat in den vergangenen Wochen viel von seiner ursprünglichen Bedeutung eingebüßt. Denn je schlechter die Aussichten auf eine politische Lösung sind, je länger der Konflikt dauert und je blutiger er wird, desto bedeutender wird die Rolle der Deserteure, denen die Saudis und das Golfemirat Katar Waffen versprochen haben.

Spätestens Anfang April will sich die Gruppe der "Freunde Libyens", zu der auch Deutschland gehört, zum zweiten Mal treffen. Die syrische Opposition befürchtet, dass der Diktator bis dahin noch nicht gestürzt sein wird.

dpa