Zwar geht laut Grundgesetz alle Macht vom Volk aus, aber diejenigen, die im Auftrag des Volkes die Macht verwalten, Etats beschließen oder Gesetze verabschieden, werden vom Volk nicht gemocht, gelinde gesagt. Im Grunde schlägt den meisten Volksvertretern geradezu Verachtung entgegen. So empfindet das zumindest Bundestagspräsident Norbert Lammert, der jüngst auf einer Veranstaltung der Berliner Guardini-Stiftung zum Verhältnis von Volk und Politik sprach. "Gerade einmal sechs Prozent trauen noch den Politikern über den Weg und vier Prozent den Bänkern", lamentiert Lammert.
Aber sein Terminkalender sei an jedem Wochenende voll mit Repräsentationsterminen zur Eröffnung irgendwelcher Ausstellungen, Vorstellung von Büchern oder um Begrüßungsreden auf irgendwelchen Bürgerfesten zu halten. Er, Lammert, wundere sich da schon sehr über die Diskrepanz zwischen der allgemein geringen Anerkennung von Politikern und dem Bedürfnis des Volkes, sich mit hochrangigen Parteivertretern zu schmücken. Ganz sicher aber seien Politiker nicht dazu da, diffuse Hoffnungen und Wünsche des Volkes zu erfüllen.
Schloss Bellevue könnte auch untervermietet werden
"Politiker sind für die Ordnung von Aufgaben da, aber sicher nicht für die Befriedigung von Sehnsüchten", stellt Lammert klar. Die Aufgabe des höchsten politischen Amtes sei nun mal, das Land nach außen und innen zu repräsentieren. Daher sei ein Bundespräsident unverzichtbar. Lammert beruft sich auf Max Weber, der die Verbindung von Parlament und hohem repräsentativem Staatsamt für sinnvoll erachtete. "Der Vorzug der konstitutionellen Monarchie besteht darin, dass es die Funktion des Staatsoberhauptes dem Wettbewerb der Parteien entzieht", zitiert Lammert den großen deutschen Soziologen.
Doch auch dem neuen Bundespräsidenten sollte nicht allzu viel Hoffnung entgegengebracht werden, er könne nun als moralische Instanz des Volkes den ungeliebten Politikern in Bundes-, Landes-, oder Kreisparlamenten wirksam ins Gewissen reden. Schließlich wird er zum großen Teil von Politikern gewählt. Braucht die Bundesrepublik Deutschland neben Bundestag und Bundesrat denn überhaupt noch einen Bundespräsidenten, der für nicht wenige Bürger sowieso nur ein viel zu teuer bezahlter Grüß-August ist? Die nun von Christian Wulff erhobenen Ansprüche auf Ehrensold, Büro und weitere Dienste auf Lebenszeit lassen das Amt noch verzichtbarer erscheinen.
Für den Göttinger Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig könnte Schloss Bellevue eventuell auch untervermietet werden. Denn für ihn hat das Bundespräsidentenamt mit dem Gestus eines Ersatzkaisers über den Parteien durchaus etwas Antiquiertes. Es geht einher mit dem Hauch von längst überholter reichsdeutscher Monarchie, mit gehobenem Schick und Glamour. Ein Repräsentant für "die da oben", aber für's Volk?
Ein zivilreligiöses Predigeramt
"Dahinter steht im Grunde eine undemokratische deutsche Institution, die im Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts wurzelt. Andererseits steckt ein republikanisches Element in dem Bedürfnis, den öffentlichen politischen Raum größer zu zeichnen, als er durch Parteien abgebildet wird. Im guten Sinne ist es ein zivilreligiöses Predigeramt, wenn es gut ausgeführt wird. Aber nach zwei Fehlbesetzungen darf man schon nach Sinn und Zweck fragen. Ein Technokrat wie Köhler funktionierte nicht, ein Karrierepolitiker wie Wulff auch nicht. Deshalb ist es ein Amt auf Bewährung", sagt Heinig. Jegliche Publikumsbeschimpfung helfe da nicht weiter. Es gebe eben eine hohe Sensibilität in der Bevölkerung. Das Volk sei besser als sein Ruf, sagt Heinig.
Lammert aber meint, nicht nur ein Bundespräsident, sondern Politiker überhaupt seien unverzichtbar. Aber man dürfe von ihnen eben nicht zu viel erwarten. Das Volk rufe immer nach dem Staat, den Politikern oder eben auch einem Bundespräsidenten, die es dann eben richten sollen. Es fehle im Volk die Bereitschaft, sich privat ins politische Ganze zu begeben und sich zu engagieren. Stattdessen begegne ihm die "gnadenlose Verachtung der Politikerkaste."
Sicher gebe es auch eine gewisse Bringeschuld der Politik gegenüber den Bürgern, etwa komplexe wirtschaftliche Sachverhalte in der Eurokrise besser zu erklären, um so wieder Vertrauen zurückzugewinnen. Klar sei aber, dass Politiker keine Supermänner oder -frauen seien. Auch bei direkter Wahl des Volkes würde man wohl nicht den Super-Bundespräsidenten finden. "Die Vorstellung ist irrig, man könne Menschen auf ihre vermeintliche Eignung für ein politisches Amt durchleuchten und die Politik würde dann besser. Das ist ein gigantischer Irrtum, sich dadurch einen Zuwachs an Humanität zu versprechen, dass Politiker als Privatpersonen in der Rolle aufzugehen haben", sagt Lammert.
Als Politiker - privat - im Gottesdienst
"Die Bereiche des Privaten werden immer weniger, in denen man sich unbeobachtet glauben kann", klagt der Bundestagspräsident. Als katholischer Christ will er sich wenigstens im Gottesdienst nicht mehr als Politiker, sondern als Teil des Ganzen fühlen. "Ich kämpfe seit Jahren etwa vor Bundesversammlungen bei der Übertragung von ökumenischen Gottesdiensten oder bei Kirchentagen gegen die selbstverständliche wie erbärmliche Neigung, prominente Gottesdienstbesucher vorführen zu wollen. Als wäre das der eigentliche Gegenstand der Berichterstattung."
Politiker und Bundespräsidenten - ob vom Volk gewählt, gemocht oder auch nicht - sie sind eben auch nur Menschen, wenn auch privilegierte. Oft genug werden sie von überhöhten Erwartungen des Volkes getrieben und von den Medien ins Rampenlicht gestellt. Was das Volk aber von seinen Vertretern erwarten darf, das sind verantwortliche und transparente Entscheidungen. Vom Bundespräsidenten, wenn es ihn und sein Amt nun einmal gibt, wünschen die Bundesbürger gegen den parteipolitischen Mainstream vor allem Ermahnungen und Orientierung in gesellschaftlichen Fragen.
Thomas Klatt ist evangelischer Theologe und freier Journalist in Berlin.