Acht Jahre ist es her, dass sich ein christlich-muslimisches Paar an Pfarrerin Ulrike Schweiger wandte. Die aus der Türkei stammende Muslima und der gebürtige Frankfurter wollten ihre Ehe nicht nur standesamtlich besiegeln, sondern ihr Gelübde auch vor Gott ablegen. Daher baten sie die evangelische Amtsträgerin aus Frankfurt-Höchst um Unterstützung.
Für Pfarrerin Schweiger war das damals ein ungewöhnliches Anliegen. "Darf ich das überhaupt? Wenn ja, wie soll und wie kann solch eine Zeremonie gestaltet werden?": Diesen Fragen habe sie sich stellen müssen, berichtet die Pfarrerin heute. Auf der Suche nach Antworten musste sie feststellen, dass es kein Nachschlagewerk gab, der ihr in diesem besonderen Fall auf die Schnelle hätte helfen können. Also machte sie sich mit dem Thema aus evangelischer Perspektive vertraut und informierte sich über islamische Positionen. Schließlich befand die evangelische Geistliche, dass sie der Bitte des christlich-muslimischen Paares nachkommen könne.
Im Gottesdienst aus dem Koran lesen - das können Pfarrer nicht
Mit der Bitte, einem christlich-muslimischem Paar das Trauversprechen abzunehmen, seien inzwischen auch andere christliche Amtsträger immer wieder mal konfrontiert. Nur die wenigsten könnten sich aber mit dem Thema ausführlich beschäftigen und Position beziehen, meint Ulrike Schweiger. Zwar studierten Pfarrerinnen und Pfarrer etliche Semester christliche Theologie und beleuchteten dabei auch durchaus das Verhältnis zu anderen Religionen. "Innerhalb gemeinsamer Gottesdienste aus dem Koran rezitieren oder islamische Gebete vortragen können wir trotzem nicht", sagt die 48-Jährige. Als evangelische Pfarrerin könne sie weder von ihrer Rolle noch von ihrem Glauben her einem muslimischen Gebet gerecht werden.
[listbox:title=Mehr im Netz[Die Orientierungshilfe "Lobet und preiset ihr Völker!"##Das Zentrum Ökumene der EKHN]]
Diese Überlegungen waren unter anderem ihr Motiv dafür, an einer Handreichung zu gemeinsamen Feiern von Christen und Muslimen mitzuarbeiten. "Lobet und preist ihr Völker! Religiöse Feiern mit Menschen muslimischen Glaubens" ist die Publikation betitelt, die das Zentrum Ökumene (ZÖ) der Evangelischen Kirche Hessen Nassau (EKHN) herausgegeben hat. Unter der Leitung von Pfarrerin Susanna Faust Kallenberg, der Beauftragen für den interreligiösen Dialog, erarbeitete eine vierköpfige Gruppe das rund 80 Seiten umfassende Heft, das sich "gezielt" an kirchliche Ansprechpartner richtet. Damit reagiert das ZÖ nach Worten der Dialogbeauftragten auf die Realität, eine multireligiöse Gesellschaft zu sein, und vor allem auf die vielen Anfragen von evangelischen Amtsträgern nach theologischer Beratung und praktischer Hilfe.
Dürfen Pfarrer und Pfarrerinnen christlich-muslimische Paare trauen? Wenn ja, wie soll solch eine Zeremonie gestaltet werden? Wie können gemeinsame religiöse Feiern anlässlich einer Bestattung gestaltet werden? "Das sind theologisch und damit auch kirchenpolitisch schwierige Fragen", sagt Pfarrerin Faust Kallenberg. Dahinter seien nämlich Fragen nach dem Verhältnis der Religionen untereinander vorborgen. "Glauben Christen und Muslime an denselben Gott? Oder besitzt nur einer den wahren Glauben und jedes gemeinsame Gebet mit Menschen anderer Religion gefährdet diesen Glauben?"
Das gemeinsame Gebet ist vom Gottesverständnis abhängig
In der evangelischen Kirche werde über diese Fragen nicht nur diskutiert, sondern regelrecht gestritten. Den Entscheidungsträgern einiger Landeskirchen erscheine das Thema zu schwierig, es gebe aber auch Landeskirchen, die es für unwichtig hielten, und wieder andere, die sich derzeit den obigen Fragen widmeten. Die EKHN veröffentlicht mit "Lobet und preiset ihr Völker!" erstmals eine Orientierungshilfe, die Theologie und Praxis umfasst: Neben Kapiteln zu theologischen Grundlagen für gemeinsame Feiern und zum islamischen Glauben aus christlicher Perspektive enthält das Heft nämlich auch eine Reihe von Praxismodellen; diese beziehen sich etwa auf religiöse Feiern anlässlich christlich-muslimischer Trauungen und auf die Gestaltung religiöser Feiern anlässlich christlich-muslimischer Bestattungen.
Die theologischen Grundlagen für gemeinsame Feiern von Christen und Muslimen erörtert in der Handreichung Professor Reinhold Bernhardt, der an der Universität Basel lehrt. Der evangelische Theologe bezieht sich dabei auf altchristliche Überlieferungen und vertritt die Position, "dass das gemeinsame Gebet nicht vom gemeinsamen Gottesverständnis abhängig ist". Und die Antwort auf die Frage, ob Muslime und Christen zum selben Gott beten, hat Professor Bernhardt im Heft detailliert ausgeführt und kurz so zusammengefasst: "Es gibt nur den einen Gott und dieser Gott ist der Gott des ganzen Kosmos, der die gesamte Geschichte mit seinem Geist durchdringt und sich damit auch den Angehörigen aller Religionen vergegenwärtigt."
Bisher nur positive Reaktionen
Die Handreichung ist das Ergebnis intensiver Diskussionen mit christlichen Amtsträgern und muslimischen Kooperationspartnern; von der Idee bis zu den gedruckten Exemplaren dauerte es fast vier Jahre. Nach dem Wunsch der Herausgeber soll das Papier eine Grundlage für weitere Beschäftigung mit den Themen sein. Kritische Anmerkungen und Rückmeldung zur Erfahrung in der Praxis sind daher ausdrücklich erwünscht, betonte ZÖ-Leiter Detlev Knoche bei der Vorstellung der Publikation am Mittwochabend.
Es sei kein verbindlicher Ratgeber für alle kirchlichen Amtsträger, schon gar nicht ein vollendetes Nachschlagewerk. Vielmehr soll es zur Reflexion gegenwärtiger Praxis beitragen und die Debatte in den Gemeinden fördern. "Sie sind Teil dieses Prozesses", sagte Oberkirchenrat Knoche und appellierte an evangelische Amtsträger, sich an der Diskussion zu beteiligen. In ein paar Jahren soll die Handreichung nämlich evaluiert werden.
Die bisherigen Reaktionen auf die Handreichung beschreibt Pfarrerin Faust Kallenberg als "durchweg positiv"; eine Landeskirche werde Gebete aus dem Kapitel über die Trauungen in die eigene Trau-Agende übernehmen; andere Landeskirchen betrachteten die Handreichung als ein Beispiel zur Orientierung für eigene Publikationen.
Die Handreichung kann für einen Unkostenbeitrag in Höhe von 5 Euro unter der Rufnummer 069/ 97651811 oder per Email (info@zoe-ekhn.de) beim Zentrum Ökumene bestellt oder hier heruntergeladen werden.
Canan Topçu ist Journalistin und widmet sich seit vielen Jahren den Themen Migration, Integration und Islam. Sie lebt in Hanau und arbeitet für unterschiedliche Medien.