Geheimgremium für Euro-Hilfen überwiegend verfassungswidrig

Geheimgremium für Euro-Hilfen überwiegend verfassungswidrig
Wichtige Euro-Rettungshilfen dürfen im Bundestag nach einem Urteil aus Karlsruhe nicht im kleinsten Kreis beschlossen werden. Ein geheim tagendes Sondergremium ist nur als Ausnahme erlaubt. Einmal mehr stärken die Verfassungsrichter damit die Parlamentsrechte.

Das Sondergremium des Bundestages zur Kontrolle des Euro-Rettungsschirms ist größtenteils verfassungswidrig. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verstößt das geheim tagende neunköpfige Gremium für eilbedürftige Euro-Entscheidungen gegen Beteiligungsrechte der Abgeordneten. Nur in einigen Ausnahmefällen mit besonderer Vertraulichkeit wie beim Ankauf bestimmter Staatsanleihen durch den Rettungsfonds EFSF sei eine Entscheidung durch das Kleingremium gerechtfertigt (2 BvE 8/11).

Mit der am Dienstag verkündeten Entscheidung gaben die Richter zwei SPD-Abgeordneten überwiegend recht, die durch das "Neuner-Gremium" ihre Rechte als Parlamentarier verletzt sahen und gegen die Regelung geklagt hatten.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nannte die Argumente plausibel und sprach von einem begrenzten Korrekturbedarf. Die FDP sah die Koalition grundsätzlich bestätigt. Die SPD nannte das Urteil eine Schlappe für Schwarz-Gelb und sah wie die Grünen sowie die Linken die Rechte des Parlaments erneut gestärkt.

Mehrheitsverhältnisse müssen berücksichtigt werden

Der Bundestag hatte im vergangenen Herbst auch mit den Stimmen der Opposition bei der Erweiterung des Euro-Rettungsschirms EFSF die Beteiligungsrechte des Parlaments neu geregelt. Entscheidungen mit besonderer Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit wurden aber an das Neuner-Gremium delegiert. Diesem gehören Vertreter aller Bundestags-Fraktionen an.

[listbox:title=Mehr im Netz[Urteilstext##Neuner-Gremium des Bundestages]]

"Diese Bestimmung verletzt die Antragsteller in ihren Abgeordnetenrechten", stellte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle klar. "Die Regelung schließt die nicht im Sondergremium vertretenen Abgeordneten von wesentlichen, die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages beruhenden Entscheidungen im vollen Umfang aus und bewirkt damit eine Ungleichbehandlung (...)." Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für diesen Ausschluss sei nicht erkennbar.

Etwas anderes gelte nur, soweit über den Ankauf von Staatsanleihen durch die EFSF am sogenannten Sekundärmarkt beraten und beschlossen werde. "Hier ist die Übertragung von Entscheidungskompetenz auf das Sondergremium ausnahmsweise aus Gründen der besonderen Vertraulichkeit gerechtfertigt, da ein Bekanntwerden auch nur der Planung einer solchen Notmaßnahme geeignet wäre, den Erfolg derselben zu vereiteln", sagte Voßkuhle. Allerdings muss nach der Karlsruher Entscheidung die Zusammensetzung des Gremiums geändert werden. Es muss die Mehrheitsverhältnisse der Fraktionen widerspiegeln.

Funktionsfähigkeit ist in den Augen der Richter kein Selbstzweck

Am Sekundärmarkt handeln Investoren untereinander mit Staatsanleihen, die bereits vor einiger Zeit ausgegeben wurden. Mit dem Kauf solcher Schuldtitel durch den EFSF soll bedrängten Euro-Staaten geholfen werden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte vor negativen Folgen gewarnt, sollten Entscheidungen zum Kauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt vorab bekanntwerden.

Das Gericht habe bei der Entscheidung die Funktionsfähigkeit des Bundestags in der Finanzkrise sehr wohl im Blick behalten, betonte Voßkuhle. "Funktionsfähigkeit ist aber kein Selbstzweck, sondern bleibt bezogen auf das Ziel, möglichst viel parlamentarische Legitimation zu ermöglichen."

Der SPD-Abgeordnete Swen Schulz, der zusammen mit seinem Fraktionskollegen Peter Danckert geklagt hatte, zeigte sich sehr zufrieden. Das Bundesverfassungsgericht habe dem Antrag zum größten Teil entsprochen. "Gewonnen haben aber nicht wir als einzelne Abgeordnete, sondern gewonnen hat letztlich der Parlamentarismus und die Demokratie."

"Scherbenhaufen der Koalition"

Bundestagspräsident Lammert betonte, die Karlsruher Richter hätten nicht das ganze Verfahren verworfen. Das von einer breiten Mehrheit des Bundestages getragene Gesetz müsse nun "nachjustiert" werden. "Ich bin überzeugt, das kriegen wir in einem (...) breiten Einvernehmen hin", sagte Lammert. Der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke erklärte: "Wir begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht dieses Entscheidungsgremium nun als grundsätzlich verfassungskonform anerkannt hat."

Nach den Worten des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, stärkt das Gericht die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages und reduziert die Zuständigkeit des Neuner-Gremiums auf das absolut notwendige Minimum. Laut SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider haben Union und FDP seinerzeit rechtliche Bedenken beiseite gewischt. "Heute steht die Koalition deshalb vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik."

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin betonte: "Der Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung über das notwendige Maß hinaus wird ein Riegel vorgeschoben." Wolfgang Neskovic von den Linken sieht in dem Urteil einen deutlichen Weckruf an den Bundestag, "sich endlich aus der selbstverschuldeten parlamentarischen Unmündigkeit zu befreien". Das Parlament erweise sich häufig als Vollzugsorgan der Bundesregierung.

dpa