"Deutschland sucht den Superstar", "Germany's Next Topmodel", "X-Factor" und "The Voice of Germany" sind nur einige der Shows, die in Deutschland Millionen Zuschauer vor den Bildschirm locken. Doch eine neue Erfindung sind die Castingshows nicht – "sie finden jetzt nur in aller Öffentlichkeit statt", sagt Claudia Bullerjahn, Musikwissenschaftlerin an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dabei steht bei den meisten derzeitigen Shows nicht die Talentsuche im Vordergrund, sondern es gehe darum, "Werbekunden zu bekommen", meint Bullerjahn.
Aber auch die Einnahmen im Vordergrund stehen, funktionieren die Castingshows nicht, wenn die Teilnehmer gar kein Talent vorweisen können. "Die Teilnehmer sind alle gecastet", sagt der Medienwissenschaftler Bernd Schorb von der Universität Leipzig. "Es ist ja nicht so, dass jeder mitmachen kann, der da hinkommt." Die Shows müssen Abwechslung bieten, sonst werden sie nicht geschaut – auch wenn die "Charaktere austauschbar sind", wie Schorb beobachtet hat.
Große Begabung ist die Ausnahme - völlige Talentlosigkeit ebenso
Der Leiter des Popinstituts der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Kristof Hinz, sieht unter den Castingshows negative Beispiele wie "Deutschland sucht den Superstar" und positive Beispiele wie "The Voice of Germany". Auch er meint, dass "ein Künstler nicht am Reißbrett entwickelt werden kann". Das Publikum merke, ob jemand gar nichts könne – er müsse ja nicht ein guter Sänger sein, es gebe auch andere Talente wie eine gute Bühnenpräsenz. In der Popmusik-Geschichte seien freilich diejenigen mit größerer Begabung längerfristig erfolgreich gewesen, so Hinz.
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Castingshows erfüllen für alle Teilnehmer einen wichtigen Wunsch - "einmal wahrgenommen zu werden, einmal in der Öffentlichkeit zu stehen", meint Bernd Schorb. Dabei hätten alle Sendungen eines gemeinsam: Sie seien "Fließbandprodukte, die für die Zuschauer gut aufbereitet wurden".
Sich einmal von den anderen abheben - das ist es, was so viele Menschen dazu bringt, sich mit anderen zu messen. "Es gibt gemäß der Normalverteilung viele Menschen mit einer mittleren Begabung", so die Erfahrung von Claudia Bullerjahn. Ein großes Talent sei ebenso die Ausnahme wie völlige Talentlosigkeit.
Und selbst eine große Begabung allein reicht nicht aus, um Erfolg zu haben. Davon ist Medienwissenschaftler Schorb überzeugt: "Man muss schon mit seiner Begabung arbeiten. Aber auch mit Originalität und geistiger Leistung kann man in unserer Gesellschaft etwas erreichen." Für einen langanhaltenden Erfolg gehört außerdem dazu, sich richtig zu vermarkten, so Bullerjahn. Medien spielen dabei eine entscheidende Rolle – Internet, Social Networks, TV-Präsenz können helfen.
"Es gehört dazu, sich immer weiter zu entwickeln"
Der Umgang mit Medien muss jedoch geübt werden. Das Internet bietet zwar viele Chancen, aber es gibt eine unüberschaubare Flut von Angeboten – da fällt es dem Einzelnen schwer herauszustechen. Dass dies funktionieren kann, zeigt sich dennoch immer wieder: Es gebe Künstler, die es ohne die ganz große Medienunterstützung geschafft haben, erinnert der Popmusik-Experte Hinz etwa an die Band Wir sind Helden: "Anfangs hatten sie kein Management, keine Plattenfirma, sie haben alles selber gemacht – und es hat geklappt."
Einmal auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen, darum geht es den Teilnehmern der Castingshows. Das muss nicht schlecht sein, betont Claudia Bullerjahn: "Es gehört zum Leben dazu, sich immer weiter zu entwickeln." Jeder Einzelne müsse jedoch für sich erkennen, wenn Ansprüche von anderen falsch sind – "und sich davon frei strampeln". Ein Beispiel dafür sei der Gewinner von "Unser Star für Baku", Roman Lob. "Er hat bei 'Deutschland sucht den Superstar' aufgehört, weil er gemerkt hat, dass er sich zu sehr verbiegen musste", so die Musikwissenschaftlerin.
Dies ist auch für Kristof Hinz eines der Hauptprobleme bei aufstrebenden Künstlern - wenn sie versuchen, etwas zu sein, was sie nicht sind. "Man muss authentisch bleiben. Denn Musik und Kunst leben davon. Das ist die Sackgasse bei Castingshows, weil daraus Musiker hervorgehen, denen die Authentizität fehlt." Deshalb sind die meisten Sendungen auch für den Medienwissenschaftler Schorb "Trash", und zwar aus gleich mehreren Gründen: "Weil sie Egozentrierung herausstellen, die Teilnehmer von oben herab behandelt werden und in Vorgaben gepresst werden." Keine gute Basis für die Entfaltung des eigenen Potenzials.
Rosa Legatis arbeitet als freie Journalistin in Hannover.