Wo die jüngste Vergangenheit lebendig wird

Wo die jüngste Vergangenheit lebendig wird
Das Haus der Geschichte an der Bonner Museumsmeile zählte im vergangenen Jahr mit 600.000 Besuchern zu den Top Ten unter den deutschen Museen. Es ist zugleich das einzige Museum, in das man direkt mit der U-Bahn fahren kann. Zudem ist der Eintritt kostenlos. Kein Wunder also, dass der Präsident der Stiftung "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", Hans Walter Hütter, in Kürze den zehnmillionsten Besucher erwartet.
14.02.2012
Von K. Rüdiger Durth

Ebenfalls ist es bei dieser Erfolgsgeschichte kein Wunder, dass gegenwärtig in Brüssel ein Haus der europäischen Geschichte eingerichtet werden soll - nach Hütters Konzept. Das Museum im Eastman-Gebäude im Leopoldpark der belgischen Hauptstadt soll rund 31 Millionen Euro kosten. Die Brüsseler Einrichtung, die 2014 ihrer Bestimmung übergeben werden soll, geht auf eine Anregung des früheren Präsidenten des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, zurück. Dieser wiederum hatte das Bonner Haus der Geschichte vor Augen. Der Schwerpunkt des Brüsseler Museums soll auf der Geschichte des Zusammenwachsens der Europäischen Union liegen.

"Wie es damals war"

In Bonn sind es keineswegs nur Schulklassen, die die 4.000 Quadratmeter umfassende Dauerausstellung und die 600 Quadratmeter umfassenden Sonderausstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik besuchen, sondern Gruppen unterschiedlichster Art, nicht zuletzt aus den Kirchen. Und nicht zu vergessen der Großvater, der seinem Enkel zeigen will, "wie es damals war". Für den Opa nostalgische Erinnerungen, für den Enkel Geschichte aus alter Zeit. Wer aus dem U-Bahn-Schacht direkt ins Haus der Geschichte eilt, der begegnet sofort dem alten Salonwagen der Bahn, mit denen in der Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland der Bundeskanzler durch die Lande fuhr.

Die Strickjacke, die Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) am 16. Juli im Kaukasus bei den Verhandlungen mit Michail Gorbatschow um die deutsche Einheit trug. Sie ist heute im Bonner Haus der Geschichte zu sehen. 

Rund 7.000 Originale umfasst die Dauerausstellung - in den Depots liegen noch einmal die doppelte, wenn nicht dreifache Menge. Die Palette reicht vom ersten Dienstmercedes Konrad Adenauers bis zur Nobel-Urkunde von Willy Brandt, vom berühmten Pullover, den Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 im Kaukasus bei den Verhandlungen über die deutsche Einheit trug, bis hin zum T-34-Panzer der Sowjetunion, mit der der Aufstand des 17. Juni 1953 niedergeschlagen wurde. Gern nehmen die Besucher auf den Originalsesseln des ersten Bundestages Platz, in denen sie sichn auch Plenardebatten anhören können. Es fehlen nicht die wichtigsten Wahlplakate seit 1949, ein Originalkino aus den 1950er Jahren oder Transparente der friedlichen Revolution in der DDR 1989.

Das Haus der Geschichte geht auf die erste Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 1982 zurück: Vor allem für die junge Generation sollte die Erinnerung an die Entstehung der Demokratie auf den Trümmern des Zweiten Weltkrieges wach gehalten werden. Um das Museum vor politischem Missbrauch zu schützen, wurde es in die Hände einer Stiftung mit verschiedenen Gremien gelegt, die sich aus allen politischen und gesellschaftlichen Gruppen zusammensetzt. Auch die Kirchen sind vertreten.

Das Haus der Geschichte, entworfen von dem Braunschweiger Architektenehepaar Ingeborg und Hartmut Rüdiger, steht übrigens selbst auf historischem Grund: auf einem bei den Bauarbeiten gefundenen römischen Keller aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert , der restauriert wurde und selbstverständlich auch besucht werden kann. Seit der Einweihung ist das Museum um weitere Einrichtungen gewachsen: Das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig erfreut sich ebenso großen Zuspruchs wie der "Tränenpalast" am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Bei der langen Museumsnacht Ende Januar in Berlin konnte der Tränenpalast als ehemaliger Grenzübergang der DDR zu Westberlin mit seiner Dauerausstellung "GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung" den Besucherandrang kaum fassen. Und in der Berliner Kulturbrauerei wird bald die wohl größte Sammlung von Alltagsgegenständen aus der DDR ausgestellt.

Vorbild für ganz Europa

140 Mitarbeiter zählt die Stiftung "Haus der Geschichte", die auch Führungen durch den ehemaligen Kanzlerbungalow, das Palais Schaumburg (erstes Kanzleramt mit original eingerichtetem Arbeitszimmer von Bundeskanzler Adenauer) und den ehemaligen Plenarsaal des Bundesrates anbietet. Das Bonner Museum, von 1989 bis 1994 gebaut, ist zum Vorbild für ganz Europa geworden. Nicht nur die EU-Kommission orientiert sich am Haus der Geschichte, auch Österreich, die Niederlande und Frankreich haben ein entsprechendes Interesse signalisiert.

"Wir haben nichts gegen Nachahmer. Ganz im Gegenteil", heißt es in Bonn. Inzwischen ist die Dauerausstellung zweimal umgestaltet worden. Mit immer neuen Originalgegenständen. Schließlich erhält das Haus der Geschichte auch viele Gegenstände von zeithistorischem Wert geschenkt. So befindet sich in seinem Besitz beispielsweise auch die "Senfkorn"-Bibel des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann, die dieser täglich bei sich trug. Und selbst ältere Besucher können sich kaum noch daran erinnern, dass es nach der Währungsreform 1948 keine 50-Pfennig-Stücke gab, sondern ½ Mark-Scheine. Denn das Münzmetall war damals noch knapp.


Das Haus der Geschichte an der Bonner Museumsmeile ist dienstags bis freitags von 9 bis 19 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Am besten ist das Museum mit den U-Bahnlinien 16, 63 und 66 (Haltestelle Heussallee/Museumsmeile) zu erreichen.

K. Rüdiger Durth ist Journalist und Theologe. Er schreibt regelmäßig für evangelisch.de.